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Verhinderungswahl gegen die AfD
Bei der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt stand vor allem die Frage im Raum, ob die rechtsradikale Partei weiter an Macht gewinnt
Die Nervosität war Reiner Haseloff deutlich anzumerken. «Momentan geht es nur darum», sagte der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt beim digitalen Wahlkampfabschluss seiner CDU kurz vor der Landtagswahl: «Wer das Kreuz am Sonntag nicht bei mir oder bei uns macht, der schadet Sachsen-Anhalt.» Eine Aussage, die in den sozialen Netzwerken für mächtig Verstimmung sorgte. Haseloff beschimpfe die Wähler anderer demokratischer Parteien, kritisierte die SPD. Beim Regierungschef, der seit fünf Jahren eine Kenia-Koalition mit SPD und Grünen leitet, und seine dritte Amtszeit anstrebt, lägen «die Nerven blank», schrieb Wulf Gallert von der Linken auf Twitter: «Wer aus Angst vor der AfD CDU wählt, versucht, Feuer mit Benzin zu löschen.»
Die Auseinandersetzung verdeutlichte, wie angespannt die politische Lage in Sachsen-Anhalt ist. Im Zentrum der Wahl stand die Frage, ob die ohnehin starke AfD weiter an Macht gewinnt. Bei der Wahl 2016 hatten die Rechtsradikalen mit 24,3 Prozent für bundesweites Aufsehen gesorgt. Die letzten Umfragen vor der Entscheidung am Sonntag deuteten eine Verstetigung des AfD-Ergebnisses auf hohem Niveau an: 20 bis 26 Prozent. Schon vor der ersten Prognose um 18 Uhr war also damit zu rechnen, dass die Partei fünf Jahre nach dem Schock-Ergebnis erneut mit einer üppigen Mannschaft ins Magdeburger Parlament einziehen könnte.
Haseloff sucht den Schuldigen
Die Suche nach dem Schuldigen ging unterdessen munter weiter. Reiner Haseloff beklagte gar, seine politischen Mitbewerber würden ihn beim Kampf gegen die AfD im Stich lassen. Er sagte sinngemäß, die Zahlen der anderen Parteien seien zu schlecht, um die AfD zu stoppen.
Das ist jedoch nur die halbe Wahrheit. Zwar erscheinen Haseloffs persönliche Bestrebungen durchaus glaubwürdig, der Ministerpräsident hat sich immer klar von der AfD abgegrenzt und war stets bemüht, das wankende Kenia-Bündnis als Bollwerk gegen Rechts zu verkaufen. Dass es Teile seiner eigenen Fraktion mit diesen Abgrenzungen nicht immer ganz so genau nahmen, ist jedoch ebenso bekannt – und darf durchaus als Teil des Problems herangezogen werden.
Noch gut in Erinnerung ist beispielsweise die von Haseloff im letzten Moment verhinderte gemeinsame Abstimmung mit der AfD gegen den Rundfunkstaatsvertrag, ebenso wie die Einrichtung einer Enquete-Kommission gegen Linksextremismus auf Antrag der AfD-Fraktion – mit Hilfe von CDU-Stimmen. Mehr noch: Die CDU-Abgeordneten Lars-Jörn Zimmer und Ulrich Thomas veröffentlichten eine Denkschrift, in der sie «das Soziale mit dem Nationalen» zu versöhnen forderten – eine deutlich sichtbare Liebäugelei mit den Rechtsradikalen.
Eines ist beim Blick auf die Zahlen jedenfalls klar: Nachdem die 24,3 Prozent der AfD vor fünf Jahren von vielen Beobachtern noch als reiner Protest abgetan wurden, zeigt die Verstetigung, dass sich die Partei in Sachsen-Anhalt längst etabliert und eine gesellschaftliche Basis aufgebaut hat. Entsprechend bestand ein Gutteil des Wahlkampfs entschiedener Demokraten darin, nicht nur eigene Projekte voranzutreiben, sondern auch, auf die Notwendigkeit der Verhinderung eines zusätzlichen AfD-Machtgewinns aufmerksam zu machen.
Genügend Stoff zur Begründung von Abgrenzungsbestrebungen hat die AfD in den vergangenen fünf Jahren auf jeden Fall geliefert. Die 21 übrig gebliebenen Abgeordneten der Fraktion – vier Mandatsträger waren zwischendurch ausgetreten – haben sich im Landtag nicht unbedingt als produktive Diskussionspartner erwiesen, im Gegenteil: Die AfD benutzte den Landtag vor allem als Bühne für ihre Propaganda und trug maßgeblich zur Verunglimpfung parlamentarischer Standards bei. Landtagspräsidentin Gabriele Brakebusch (CDU) und ihre Stellvertreter verhängten insgesamt 18 Ordnungsrufe, davon 16 gegen AfD-Abgeordnete und einen gegen André Poggenburg, der 2016 noch als Spitzenkandidat der AfD an- und im Laufe der Legislaturperiode nach einer offen rassistischen Rede zum Politischen Aschermittwoch und internen Querelen aus Fraktion und Partei ausgetreten war. Zum Vergleich: In der vorherigen Periode von 2011 bis 2016 gab es keinen einzigen Ordnungsruf.
Lehmann und die «Ficki-Ficki-Anleitung»
Im Gedächtnis blieb beispielsweise eine unflätige Rede des AfD-Politikers Mario Lehmann, der in seinen Ausführungen zur Flüchtlingspolitik plötzlich einen Schwenk zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk machte und meinte, der KiKA solle in «Ficki-Ficki-Anleitungs-TV» umbenannt werden, weil dort erklärt werde, «wie man BHs öffnet». Abgeordnete von SPD, Grünen und Linken verließen daraufhin unter «Nazis raus!-Rufen den Saal, Lehmann klatschte höhnisch Beifall: »Sie haben wohl Hunger und gehen Mittag essen?« Pikant: Als Präsident saß in diesem Moment Lehmanns Parteikollege Willi Mittelstädt dem Landtag vor, der nicht etwa die Wortwahl des Redners beklagte, sondern nur »mehr Ruhe« einforderte.
Der SPD-Abgeordnete Andreas Steppuhn meldete sich daraufhin zu Wort und forderte Mittelstädt zum Handeln auf: »Ich möchte Sie an dieser Stelle bitten, einzugreifen. Es ist nicht hinnehmbar, was Herr Lehmann hier vom Stapel lässt. Wenn hier kein Ordnungsruf und kein Handeln des Präsidenten möglich ist, dann frage ich mich: Wann überhaupt?« Doch Mittelstädt dachte offenbar überhaupt nicht daran, Lehmann zur Raison zu bringen. Die Rettung nahte in Person von Gabriele Brakebusch, die Mittelstädt von seinem Platz verscheuchte und die Sitzung kurzerhand übernahm. Sie unterbrach die Versammlung, berief eine Ältestenratssitzung ein und machte deutlich: »Das Hausrecht habe ich hier!«
»Im Osten gab es kein 1968«
Torsten Hahnel von »Miteinander e.V.« über die AfD in Sachsen-Anhalt und ihre gesellschaftliche Basis in Ostdeutschland
Eine Szene, die klarstellte: Die AfD ist an der Lösung konkreter Probleme des Landes überhaupt nicht interessiert. Vielmehr nutzt die Partei ihre Stellung, um Parlament und Demokratie zu verhöhnen. Dass sich solche Auftritte wie der von Mario Lehmann nicht negativ ausgewirkt haben, deutet derweil auf ein tiefer liegendes Phänomen hin, wie auch Beobachter der extremen Rechten immer wieder betonen. Sachsen-Anhalt habe »ein gesellschaftliches Problem mit Alltagsrassismus und Zustimmung zu extrem rechten Parolen, das sich schon bei früheren Wahlen zeigte: 1998 zog die DVU mit 12,9 Prozent in den Landtag ein, 2011 hätte die NPD beinahe den Einzug geschafft«, sagt Torsten Hahnel von »Miteinander e.V.«.
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