- Politik
- Migrationspolitik von Joe Biden
Kamala Harris: »Kommt nicht!«
Vizepräsidentin der USA auf Migrationsverhinderungsmission
Abschreckung und Hilfe, das ist die Botschaft von Kamala Harris. Auf Geheiß von Joe Biden, der das politische Problem »Migranten an der Südgrenze« an seine Vizepräsidentin delegiert hat, befindet sich Harris derzeit auf ihrer ersten Auslandsreise - in Mittelamerika. Nach dem Gespräch mit dem rechten Präsidenten von Guatemala, Alejandro Giammattei, hatte Harris eine simple Botschaft für die Menschen vor Ort: »Kommt nicht!« Wer sich illegal an die Südgrenze der USA begebe, werde abgewiesen. Die Guatemalteken sollten »Nachbarn« und Familienmitglieder davon abraten, sich auf die »extrem gefährliche« Reise zu begeben, von der größtenteils Schleuser profitieren würden. Das passt zur harten Linie von Biden, der nach seinem Amtsantritt die Praxis der Trump-Regierung übernahm und weiterhin die meisten erwachsenen Migrant*innen abschieben lässt.
Der guatemaltekische Präsident Giammattei sagte, er habe während eines Treffens mit Harris die US-Regierung erneut gebeten, einige Guatemaltek*innen vorübergehend von der Abschiebung aus den USA auszunehmen. Er habe um die Gewährung von Schutz für sie gebeten, der normalerweise für Menschen vorgesehen sei, die vor Naturkatastrophen oder Krieg fliehen und verwies auf zwei Hurrikans, die letztes Jahr auf Mittelamerika trafen. Als Giammattei Harris vor der Presse auf das Thema ansprach, wich sie aus. Doch sie konnten verkünden, dass die US-Regierung vorhabe, über die nächsten vier Jahre vier Milliarden US-Dollar in Mittelamerika zu investieren - doch Details dazu gibt es noch keine. Außerdem hatte Harris bereits im April 310 Millionen Dollar an US-Hilfsgeldern für humanitäre Hilfe und zur Bekämpfung von Nahrungsmittelunsicherheit zugesagt. Zusätzlich zur Abschreckungsrhetorik will man also die Fluchtursachen in den Ländern Mittelamerikas bekämpfen.
An der US-Südgrenze ist die Zahl der Migrant*innen seit einem Rückgang in der Corona-Pandemie 2020 seit Beginn der Amtszeit von Joe Biden seit Januar wieder deutlich gestiegen - auf ein Niveau, das es zuletzt zu Amtszeiten von George W. Bush gab. Damals kamen jährlich etwas weniger oder etwas mehr als eine Million Migrant*innen zur Südwestgrenze, unter Präsident Barack Obama waren es nur noch 300 000 bis 400 000 pro Jahr. Doch aktuell scheint der Ansturm auf die Grenze wieder etwas abzuebben. Im April inhaftierte der US-Grenzschutz 40 000 Migrant*innen beim Überqueren des Rio Grande, das waren 4000 weniger als noch im März.
Von zwei Seiten unter Druck
Das Weiße Haus steht in der Frage von zwei Seiten unter Druck. Von rechts suggerieren Republikaner*innen und der Kabelfernsehsender Fox News seit Monaten, dass Biden die Kontrolle über die Grenze verloren habe und man gibt sich alle Mühe, eine große Krise herbeizuberichten, was die Demokraten bei ähnlich starkem Andrang nach 2001 nicht taten. Von links wiederum machen progressive Demokraten im US-Kongress und die aktivistische Parteibasis und Nichtregierungsorganisationen Druck. Nachdem man zwei Jahre lang Donald Trump wegen der Politik der Familientrennung und der Unterbringung von Flüchtlingskindern in käfigähnlichen Unterkünften zum Monster stilisiert habe, könne man nun nicht eine ähnliche Politik fortführen. Biden, der zwar den Mauerbau an der Grenze gestoppt hat, will aber auch nicht als »zu weich« in Migrationsfragen erscheinen. Er kündigte zunächst an, die Obergrenze für Flüchtlinge im Land auf 65 000 pro Jahr zu erhöhen, um dann im März laut zu überlegen, es zunächst bei Donald Trumps-Obergrenze von 15 000 belassen zu wollen. Nach einem Aufschrei in der eigenen Partei erklärte er im Mai, dieses Jahr doch bis zu 62 000 Geflüchtete ins Land zu lassen.
Auch bei der aktuellen Harris-Reise war diese Unentschlossenheit in Stanzen wie diesen sichtbar: »Wir sind immer noch im Informationsbeschaffungsmodus und stehen kurz davor, ihn abzuschließen«, so ein Mitarbeiter des Weißen Hauses gegenüber dem Nachrichtensender CNN. Teil der »Informationsbeschaffung« ist auch ein Treffen mit dem mexikanischen Präsidenten Andrés Manuel López Obrador. Und: Der Auftrag umfasst zusätzlich auch die mittelamerikanischen Länder Honduras und El Salvador. Die Probleme in der Region seien miteinander verbunden: Ohne Eindämmung von Korruption und Gewalt wollten Unternehmen nicht in die Region investieren. Ohne Investitionen seien die Beschäftigungsmöglichkeiten begrenzt und die Menschen machen sich aufgrund ihrer Armut auf den Weg in die USA. Durch die Migration fehlen der Region Arbeitskräfte, das mache sie für Investitionen durch Unternehmen weniger attraktiv, so das Weiße Haus und viele US-Medien.
Unternehmen als Helfer?
Doch eine solche Betrachtung übersieht die Probleme, die bereits durch Unternehmen in der Region verursacht wurden: etwa Schiedsgerichtsverfahren nach den Regeln von Freihandelsabkommen. So verklagt aktuell das Bergbauunternehmen Kappes, Cassiday & Associates (KCA) aus dem US-Bundesstaat Nevada die guatemaltekische Regierung auf 400 Millionen US-Dollar wegen der angeblichen Verletzung von Investoren-Schutzbestimmungen. KCA behauptet, die Regierung von Guatemala habe es versäumt, für angemessenen Schutz ihrer Goldmine zu sorgen. Lokale Gemeinden hatten ein friedliches Protestcamp errichtet, aus Angst, der Minenbetrieb könnte die knappe Wasserzufuhr verunreinigen. Dabei war die guatemaltekische Polizei bereits gegen die Protestierenden vorgegangen - obwohl KCA weder die Umweltauflagen in Guatemala erfüllte, noch überhaupt je eine Genehmigung für den Bau seiner Goldmine erhielt. Es ist nur eines von etwa 300 Schiedsgerichtsverfahren, die Investoren aus dem Ausland gegen lateinamerikanische Regierungen angestrengt haben. Das schränkt die Möglichkeiten von lokalen oder nationalen Regierungen in der Region ein, Sozialpolitik zu machen oder Umweltstandards durchzusetzen.
Das Weiße Haus setzt nun ausgerechnet auf mehr unternehmerische Hilfe durch US-Unternehmen und meint, damit eine Lehre aus den Fehlern der Obama-Regierung in der Region gezogen zu haben. Damals war ebenfalls ein Vize-Präsident in die Region geschickt worden: Joe Biden. Die aktuelle Nummer zwei im Weißen Haus verkündete bei ihrer Reise auch, dass ein Dutzend Unternehmen, darunter Mastercard, Nespresso und Microsoft, sich bereit erklärt hätten, in der Region zu investieren um so Arbeitsplätze vor Ort zu schaffen.
Trippel-Schritte zu mehr Humanität
Laut Umfragen in den USA scheint die rechte Kampagne gegen Biden in Sachen Migration eine gewisse Wirkung zu haben - im Gegensatz zu seinem Handeln gegen die Corona-Pandemie und der Zufriedenheit mit seiner Wirtschaftspolitik fällt die Bewertung seiner Politik in Migrationsfragen deutlich schlechter aus. Die Bekämpfung von Migrationsursachen ist ein scheinbarer Ausweg. Eine Civiqs-Befragung durch Migrationsforschern aus dem April zeigt hohe parteiübergreifende Zustimmung dazu. 86 Prozent der Demokraten-Wähler*innen, 87 Prozent der Republikaner-Unterstützer*innen und 81 Prozent der »Unabhängigen« stimmen zu, dass die Regierung enger mit anderen in der Region zusammenarbeiten soll, um proaktiv die Migration zu reduzieren.
Gleichzeitig geht die Biden-Administration Trippelschritte in Richtung einer humaneren Flüchtlingspolitik. Zu Beginn seiner Präsidentschaft hatte Biden die Trump-Praxis, dass Flüchtlinge bis zur Entscheidung über einen Asylantrag in Mexiko bleiben müssen, suspendiert. Anfang Juni wurde sie offiziell beendet. Kurz zuvor hatte das US-Heimatschutzministerium offiziell die Politik der Familientrennung bei Migrant*innen, die beim Grenzübertritt gefasst werden, verboten. Die Zahl der jungen Migrant*innen, die länger als 72 Stunden in Regierungsgewahrsam war, sei von rund 6000 Ende März auf 455 Mitte Mai gefallen, erklärte Heimatschutzminister Alejandro Mayorkas. Außerdem hat die Biden-Regierung laut Associated Press »still und leise« sechs Bürgerrechtsorganisationen um Hilfe gebeten bei individuellen Entscheidungen, welche besonders schutzwürdigen Migrant*innen ins Land gelassen werden sollen. Doch die Schlagzeilen, die man generieren will, sind solche der Abschreckung, dass zeigt die brüske Warnung von Vizepräsidentin Kamala Harris in Guatemala.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.