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Gasthaus »Krone«: Ein neuer alter Ort für die Nachbarschaft
Im thüringischen Schweina renoviert eine Bürgerinitiative ein historisches Fachwerkhaus
An Visionen mangelt es niemandem hier. Nicht Dorothee Willer und Martin Biedermann, die an diesem Tag durch das alte Gasthaus »Krone« führen. Und auch nicht den anderen Mitgliedern der Bürgerinitiative Krone Schweina. Für den großen Raum im Obergeschoss des denkmalgeschützten Hofes inmitten der kleinen Ortschaft Schweina im westthüringischen Wartburgkreis haben sie schon eine konkrete Vorstellung, ebenso wie für den viel kleineren im Erdgeschoss. Und auch für den Rest des Gebäudes gibt es Ideen, was hier einmal entstehen soll.
Oben könnte zum Beispiel bald eine kleine Herberge für Wanderer und Radler betrieben werden. Für Menschen, die auf dem Rennsteig unterwegs sind. »So wie es manche Pilgerwege gibt«, sagt Biedermann. Klar, diese Herberge wäre dann recht spartanisch eingerichtet. Im Wesentlichen würde sie aus einer Dusche, einer Toilette und einem Dach über dem Kopf bestehen.
Doch wer pilgert, möchte in der Regel ohnehin zurück zum einfachen Leben und Abstand vom hektischen Alltag nehmen. Wer auf diese Weise unterwegs ist, könnte sich durchaus wohlfühlen in diesem alten Fachwerkhaus, in dem der Geruch von Holz und Lehm in der Luft liegt. Heute noch mehr als vor etwa vier Jahren, als vor allem die Fassade saniert wurde und die als Verein organisierte Initiative den Deutschen Nachbarschaftspreis gewonnen hatte.
Dieser Geruch, der an die vielen Arbeitsstunden und die verwendeten Baumaterialien erinnert, hat sich in den Räumen festgesetzt. Schon 2011 haben einzelne Mitglieder der Initiative den alten Gasthof erworben, langfristig soll die Immobilie an den Verein gehen. Seit acht Jahren wird daran gearbeitet. Die Bürgerinitiative Krone hat seitdem viele Fortschritte gemacht. Inzwischen hat das historisch bedeutsame Fachwerkhaus aus dem 15. Jahrhundert, in dem schon der Kirchenreformator Martin Luther eingekehrt sein soll, wieder ein liebevoll gestaltetes Bad.
Der Fußboden im Erdgeschoss ist auch fertig. Von dort aus führt eine ebenfalls sanierte schwere Holztreppe nach oben – dorthin, wo in nicht allzu ferner Zukunft vielleicht Wanderer und Radler übernachten werden. Zudem ist der kleine Raum rechts neben dem Vordereingang bereits hergerichtet. Vor einiger Zeit gab es darin einen Kurzfilmabend, den Kinder und ihre Eltern dort gemeinsam verbrachten.
Das Projekt lebt von der Anerkennung und von Spenden. Einerseits lassen Menschen aus der Region dem Verein regelmäßig Beträge zukommen. Es gibt aber auch mal eine Großspende. Im vergangenen Jahr kamen auf diese Weise gut 10 000 Euro zusammen, die für Baumaterial zur Verfügung stehen. Außerdem erhält der Verein Fördermittel aus den üblichen Programmen für den ländlichen Raum. Die behutsame Sanierung findet mittlerweile weitreichende Aufmerksamkeit in der Baubranche: 2023 erhielt die Initiative den Thüringer Denkmalschutzpreis, im vergangenen Jahr sogar die Silberne Halbkugel des Deutschen Preises für Denkmalschutz.
Noch beachtlicher als all das in den vergangenen Jahren verbaute Material ist aber, wie sehr der ehemalige Gasthof auf den Ort ausstrahlt. Die Bürgerinitiative versucht beständig, das ehemalige Gasthaus »wachzuküssen«, wie sie das hier nennen. »Wir sehen hier gerade eine Belebung des ganzen Platzes«, sagt Dorothee Willer. Sie ist die Vorsitzende der Bürgerinitiative, Martin Biedermann einer ihrer Stellvertreter. Er verweist auf ein kleines Kulturcafé, das gegenüber der »Krone« eröffnet worden ist. In den Fenstern hängen dort wie in der »Krone« bunte Plakate, mit denen sich die Betreiber ebenso wie die Bürgerinitiative zu liberal-demokratischen Werten bekennen. Das ist keine Selbstverständlichkeit in dieser Region: Die AfD hat bei der Bundestagswahl im Wahlkreis mehr als 40 Prozent der Stimmen bekommen.
»Jeder, der dabei ist, nimmt bei jedem Arbeitseinsatz eigentlich immer wieder etwas Neues mit nach Hause, lernt etwas dazu.«
Eike Biedermann
Bürgerinitiative Krone Schweina
Ein weiterer Beleg für die Wiederbelebung des Ortes ist für Willer und Biedermann ein gepflasterter Weg, der an der Rückseite der »Krone« entlangführt. Früher, erzählt Martin Biedermann, sei hier ein Trampelpfad gewesen, den man im Ort früher scherzhaft den »Ho-Chi-Minh-Pfad« nannte. Der Name rühre daher, dass die Beschäftigten einer nahegelegenen Fabrik zu DDR-Zeiten während der Arbeitszeit auf den Platz vor der »Krone« kamen, wenn es dort etwas Gutes oder Seltenes zu essen gab. Im Vietnam-Krieg hatte es eine nach dem Revolutionär und Kommunisten benannte Versorgungsroute der nordvietnamesischen sozialistischen Volksarmee gegeben.
Nach dem Ende der DDR wurde der Weg kaum noch genutzt – bis es sich für Menschen wegen der Restaurierungsarbeiten an der »Krone« wieder lohnte, herzukommen. Deshalb habe die Gemeinde ihn nun pflastern lassen, erzählt Biedermann. Für Städter mag es belanglos klingen, dass man sich in Schweina über die Wiederbelebung eines solchen Wegs freut. Doch im ländlichen Raum können diese 100 Kopfsteinpflaster etwas Besonderes sein.
Überhaupt sind es Kleinigkeiten, an denen sich die Mitglieder der Bürgerinitiative erfreuen. Da sind zum Beispiel die metallenen Eicheln an den Bändern einer Tür im Erdgeschoss, auf die Eike Biedermann, wie sein Sohn Martin Mitglied im Verein, aufmerksam macht. Ein geradezu winziges Detail des großen Baus. Aber eins, auf das sie hier stolz sind.
Die Langsamkeit des Bauens, die aus der Zeit gefallen scheint, hat hier in gewisser Weise Methode. Natürlich haben die Mitglieder der Bürgerinitiative auch ein Leben jenseits der »Krone«, aber hier kommen sie vor allem am Wochenende zusammen und verbringen gemeinsam ihre Freizeit. Die Sanierung ist ihr Hobby, und für manche bestimmt auch eine Obsession. »Wir wollen das Gebäude genießen«, sagt Martin Biedermann.
Was er damit meint, zeigen die Pläne, die sie für den kleineren Raum im Erdgeschoss haben. Das nur ein paar Quadratmeter messende Zimmer wollen Dorothee Willer, die beiden Biedermanns und die anderen Vereinsmitglieder und Helfer bis zum Ende des Jahres fertig ausgebaut haben. Vor allem muss die Decke noch fertiggestellt werden. Wer es eilig hat, könnte das Zimmer sicher in wenigen Tagen, bestenfalls Wochen fertigstellen. Doch warum solche Eile? Kleine Schritte, nahe Ziele und das Erleben von Gemeinschaft dabei, darum gehe es hier doch, sagen die drei – und bestimmt nicht um noch mehr Hektik in einer sich ohnehin immer mehr beschleunigenden Welt.
»So, wie es jetzt passiert und wie es jetzt gemacht wird, fühlt es sich gut an«, sagt Martin Biedermann. »Und am Ende eines Jahres sind wir dann doch immer erstaunt, was wir alles geschafft haben«, ergänzt Dorothee Willer. Der Raum im Erdgeschoss könnte bald als Vereinszimmer und auch als Begegnungsraum für andere Menschen im Ort dienen.
Über Fragen danach, wann die Arbeiten an der »Krone« wirklich beendet sein sollen, können sie bei der Bürgerinitiative und auch sonst im Ort eigentlich nur noch lächeln. »Wir arbeiten uns Raum für Raum durch das Gebäude«, sagt Dorothee Willer. Und vielleicht werde es auch deshalb nie langweilig mit dem alten Gasthaus, dem Arbeiten daran und mit allen, die bei der Sanierung mitmachen, erklärt Eike Biedermann: »Jeder, der dabei ist, nimmt bei jedem Arbeitseinsatz eigentlich immer wieder etwas Neues mit nach Hause, lernt etwas dazu.«
Nicht der Abschluss der Arbeiten ist hier also das Ziel, sondern die Arbeit selbst – weil sie Gemeinsinn stiftet und Gemeinschaft schafft in einer Zeit, in der die Gesellschaft mehr und mehr zersplittert, vereinzelt, vereinsamt.
Draußen gehen auch an diesem Tag immer mal wieder Passanten vorbei. Manche laufen an der Vorderseite des Hauses vorbei. Andere gehen den »Ho-Chi-Minh-Pfad« entlang. Sie alle wenden ihren Blick zumindest für ein paar Sekunden oder Minuten dem von außen schon prächtig erstrahlenden Gebäude zu. Der frühere Gasthof ist inzwischen wieder so viel mehr als eines der vielen Bauwerke im ländlichen Raum, die Menschen daran erinnern, was für eine große Vergangenheit sie hier hatten. So wie die »Krone« jetzt wieder dasteht, ist sie ein Haus, das die Menschen daran erinnert, was für eine großartige Zukunft sie haben können. Wenn alle mit anpacken.
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