Migrationspläne: »Menschenrechtlich inakzeptabel«

Pro Asyl übt scharfe Kritik am Sondierungspapier von Union und SPD. In einem Punkt streiten Konservative und Sozialdemokraten selbst noch

  • Pauline Jäckels
  • Lesedauer: 4 Min.
Nach den Plänen von Union und SPD sollen Asylsuchende künftig an der deutschen Grenze zurückgewiesen werden können, obwohl dies gegen EU-Recht verstoßen würde.
Nach den Plänen von Union und SPD sollen Asylsuchende künftig an der deutschen Grenze zurückgewiesen werden können, obwohl dies gegen EU-Recht verstoßen würde.

Das Thema Migrationspolitik gehört zu den wichtigsten Punkten, auf die sich CDU/CSU und SPD in ihrem Sondierungspapier geeinigt haben. Die kurze Bilanz: In fast allen Fragen konnte sich die Union durchsetzen, Schwarz-Rot will die Rechte von Geflüchteten weiter einschränken und die Begrenzung von Migration wieder zum offiziellen Ziel der Migrationspolitik erklären. Die Geflüchtetenorganisation Pro Asyl übt scharfe Kritik an den Plänen – und zu einem Punkt sind sich CDU und SPD offenbar doch noch nicht ganz einig geworden. Zunächst die wichtigsten Punkte im Überblick:

  • Zurückweisungen: »In Abstimmung mit unseren europäischen Nachbarn« soll es an den Grenzen Zurückweisungen auch von Asylsuchenden geben.
  • Kein Familiennachzug: Der Familiennachzug subsidiär Schutzberechtigter soll befristet ausgesetzt werden, hier wird aber noch kein Zeitraum genannt.
  • Deportationsoffensive: Bei Abschiebungen soll es keinen verpflichtenden Rechtsbeistand mehr geben, die Bundespolizei soll Abschiebehaft anordnen dürfen.
  • Entzug der Staatsbürgerschaft: Es soll geprüft werden, ob »Terrorunterstützern, Antisemiten und Extremisten« die deutsche Staatsbürgerschaft aberkannt werden kann.
  • Zuwanderung von Fachkräften: Neue Migrationsabkommen sollen »die legale Zuwanderung steuern«. Die Fachkräfteeinwanderung soll vereinfacht werden – durch weniger Bürokratie und eine leichtere Anerkennung von Abschlüssen.

»Die Ergebnisse der Sondierungsgespräche zeigen: In der künftigen Koalition drohen Menschenwürde, Menschlichkeit und Menschenrechte unter die Räder zu kommen. Recht wird zur Seite geschoben, absehbare Rechtsbrüche werden teils mit Formelkompromissen kaschiert«, kommentiert Karl Kopp, Geschäftsführer von Pro Asyl, die Einigung.

Das Aussetzen des Familiennachzugs für Menschen mit subsidiärem Schutz sei für die Betroffenen dramatisch und menschenrechtlich inakzeptabel, da ein Zusammenleben mit der Familie aufgrund der drohenden Gefahren im Herkunfts- oder einem Drittland meist unmöglich ist, argumentiert Pro Asyl weiter. »Die Folge: zerrissene Familien. Schutzberechtigte werden über lange Zeiträume von ihren Angehörigen getrennt und ihres Rechts auf Familienleben beraubt.«

Außer Aufnahmeprogrammen und dem Familiennachzug gibt es kaum sichere Fluchtmöglichkeiten für Asylsuchende. Mit dem Aussetzen des Familiennachzugs werde nun also »die letzte Rettungslinie für Menschenrechtsverteidiger*innen zum Beispiel aus Afghanistan gekappt – eine schäbige Entscheidung«. Dies zwinge verfolgte Menschen erst auf die gefährlichen und »irregulären« Wege, die bekämpft werden sollten, so Kopp.

Außerdem kritisiert Pro Asyl die Abschiebepläne von CDU und SPD. Aus Rettungsflügen sollen nun Abschiebeflüge werden. In der Einigung heißt es, dass die Abschiebungen beginnend mit Straftätern und Gefährdern durchgeführt werden sollen. »Das Wort ›beginnend‹ zeigt offen: Perspektivisch sollen sich nicht nur Straftäter und Gefährder, sondern alle mit prekärem Aufenthaltsstatus nicht mehr sicher fühlen.« Dies sei ein gezieltes Angst- und Verunsicherungsprogramm für die große afghanische und syrische Community in Deutschland.

Besonders kritisch sieht die Organisation das Vorhaben, Asylsuchende an den bundesdeutschen Grenzen zurückzuweisen. Denn: Laut Europarecht dürfen Asylsuchende nicht an den Binnengrenzen zurückgewiesen werden, mit der Regelung würde man also sowohl das individuelle Recht auf Asyl einschränken als auch gegen EU-Recht verstoßen. »Der Formelkompromiss der Sondierenden wird in der Praxis zu mehr rechtswidrigen Zurückweisungen führen. Im zweiten Schritt besteht die Gefahr, dass diese rechtswidrige Praxis europaweit ausgeweitet wird«, kritisiert Karl Kopp.

Genau bei dem Punkt gibt es allerdings doch noch Streit zwischen den Sondierenden. Unions-Fraktionsvize Jens Spahn (CDU) sagte am Sonntag, »Abstimmung« erfordere nicht Zustimmung, notfalls könne auch gegen den Willen der Nachbarländer gehandelt werden. SPD-Chefin Esken interpretierte die Passage im Ergebnispapier strenger. »Wir haben was anderes vereinbart, und dabei bleiben wir auch«, sagte sie im Deutschlandfunk. Sie warnte die Union vor dem Versuch, in der Migrationspolitik »mit dem Kopf durch die Wand zu gehen«. Sie selbst werde »ganz klar dagegen halten, wenn es weiter debattiert wird«. Man wolle das Thema bei den nächsten Verhandlungen mit der Union klären. »Aber wir haben ein Sondierungspapier, in dem das auch ganz klar beschrieben ist.«

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