Ohne Regierung kein Geld

Libanon leidet unter einer schweren Wirtschaftskrise und hängt am Tropf internationaler Geberinstitutionen

  • Karin Leukefeld, Beirut
  • Lesedauer: 5 Min.

Es ist kein Ende in Sicht: Seit zwei Jahren wird der Libanon von einer massiven Wirtschaftskrise erschüttert. Verschärft wird die Lage durch politische Krisen: Rücktritt der Regierung Saad Hariris 2019, die Blockade der nachfolgenden Regierung von Hassan Diab 2020, die durch Fahrlässigkeit provozierte Explosion im Hafen von Beirut im August 2020 und der darauf folgende Rücktritt der Diab-Regierung. Eine galoppierende Inflation, Korruption und Vetternwirtschaft haben das Land an den Rand des Zusammenbruchs gemacht. Ersparnisse der Libanesen auf Bankkonten lösten sich nahezu in Luft auf, wurden nicht ausgezahlt oder die Menschen erhielten nur einen Bruchteil dessen, was das Geld einmal wert war. Seit 2019 hat das Libanesische Pfund mehr als 80 Prozent seines Wertes verloren.

Inzwischen ist die Subventionierung von Grundnahrungsmitteln, Brot und Benzin gefährdet. Staatliche Gehälter und Pensionen sind eingebrochen, Ärzte, medizinisches Fachpersonal, Lehrer oder Ingenieure verlassen zu Tausenden das Land, um in den Golfstaaten, in Europa oder an einem anderen Ort gut bezahlte Arbeit zu finden.

Um Zugriff auf internationale Gelder zu bekommen, braucht Libanon eine Regierung. Erneut wurde Saad Hariri mit der Regierungsbildung beauftragt. Doch ein Streit zwischen ihm und dem amtierenden Präsidenten Michel Aoun um zwei Ministerposten, die entsprechend der konfessionellen Ordnung mit Christen besetzt werden müssen, ist seit Monaten ungelöst. Die beiden großen schiitisch orientierten Parteien, Amal und die Hisbollah, versuchen seit Monaten zu vermitteln. Andere bringen vorgezogene Neuwahlen ins Spiel, was der Vorsitzende der Hisbollah, Hassan Nasrallah, am Dienstagabend zurückwies. »Angesichts der schweren sozioökonomischen Krise braucht das Land so schnell wie möglich eine handlungsfähige Regierung«, sagte Nasrallah. Diejenigen, die Neuwahlen forderten, sollten zur Bildung einer neuen Regierung beitragen und nicht parteipolitische Interessen verfolgen.

Der Alltag ist hart. Lange Schlangen vor den Tankstellen, die nur noch stundenweise öffnen. Ölfrachter liegen vor der Küste und löschen die Ladung nicht, weil Libanon nicht bezahlt. Betroffen davon ist die Stromversorgung, die nur funktioniert, wenn die Elektrizitätswerke mit Öl oder Gas versorgt sind und betrieben werden können. Das Stromversorgungsschiff Orhan Bey von der türkischen Firma Karadeniz Powership, das nördlich von Saida ankert und Strom ins nationale Netz einspeiste, stellte Mitte Mai den Betrieb ein, weil Rechnungen in Millionenhöhe seit 18 Monaten nicht bezahlt worden waren. Viele Libanesen gleichen den täglichen Strommangel aus, indem sie Strom von lokalen Generatoren dazu kaufen. Am vergangenen Wochenende kündigte der Zusammenschluss der Generatoren-Besitzer an, ihr Stromangebot täglich um fünf Stunden zu verringern, weil sie nicht genügend Öl für die Generatoren kaufen könnten.

Die libanesische Zentralbank hatte bisher den Kauf von Öl subventioniert und die Einkäufer mit US-Dollar zum ursprünglichen Kurs von 1500 Libanesischen Pfund versorgt. Nun wisse man nicht, ob man weiter mit US-Dollar versorgt werde, hieß es vonseiten der Generatorenbetreiber. Sollte die Subventionierung ausfallen, werde das Angebot eingeschränkt.

Mangel an Strom könnte den wirtschaftlichen Neubeginn nach acht Monaten Corona-Lockdown stoppen, heißt es in libanesischen Medien. Unternehmen und Fabriken, aber auch Krankenhäuser, Schulen und Universitäten wären betroffen. Hassan Nasrallah, Generalsekretär der libanesischen Hisbollah, schlägt eine andere Lösung vor: Am Dienstagabend, anlässlich des 30-jährigen Bestehens des Nachrichtensenders Al-Manar, der der Hisbollah nahesteht, sagte er, sollte der Staat das Land nicht mit Öl und Strom versorgen, werde die Hisbollah Öl aus dem Iran holen und an die Bevölkerung verteilen.

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Am Dienstag beriet sich der noch amtierende Ministerpräsident Hassan Diab mit den Interimsministern für Finanzen Ghazi Wazni und Energie Raymond Ghajar. Diab unterzeichnete schließlich eine Anordnung für die Zentralbank, dem staatlichen Stromversorger Électricité du Liban einen Kredit von 200 Millionen US-Dollar zur Verfügung zu stellen, um Öl und Benzin zu kaufen. Präsident Michel Aoun zeichnete gegen. Erwartet wird nun, dass in den nächsten Tagen die vor der Küste wartenden Öltanker ihre Fracht löschen und die Stromversorgung stabilisiert werden kann. Man habe mit dem Irak ein Abkommen über weitere Öllieferungen zu günstigen Konditionen abgeschlossen, sagte Energieminister Ghajar.

Die Wirtschaftskrise im Libanon wird von der Weltbank als eine der schlimmsten Wirtschafts- und Finanzkrisen im Libanon und weltweit seit 1850 bezeichnet. Verhandlungen mit dem Internationalen Währungsfonds über ein Hilfsprogramm stagnieren.

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Gegen den Direktor der Zentralbank Riad Salamé sind derweil in der Schweiz und in Frankreich Ermittlungen wegen »grober« Fälle von Geldwäsche eingeleitet worden. Salamé, der die Zentralbank seit 30 Jahren leitet, wird beschuldigt, sich mit Hilfe seines Bruders persönlich bereichert zu haben. In einem Schreiben der Schweizer Ermittler heißt es, dass Salamé seinem Bruder Radscha mindestens seit 2002 bei der Veruntreuung von Geld geholfen haben soll. Es soll um mehr als 300 Millionen US-Dollar (247 Millionen Euro) gehen. Radscha Salamé sitzt im Vorstand des libanesischen Bau- und Immobilienunternehmens Solidere. Das veruntreute Geld soll an eine Offshore-Firma auf den Britischen Jungferninseln geflossen und dann in Immobilien in der Schweiz und Großbritannien investiert worden sein.

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