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- Preisbildung in der DDR
Im Bermudadreieck
Preisbildung in der DDR zwischen Innovationszwang, politischem Konservatismus und sozialem Anliegen
Am Beginn stand eine akademisch scheinende Frage mit großer praktischer Tragweite: Ist der Sozialismus eine warenproduzierende Gesellschaft oder nicht? Wenn ja, dann muss man die Preise wie auch Dinge wie Geld, Markt, Kredit und deren Bewegungsgesetze ernst nehmen. Gleichzeitig sollte er aber auch eine planmäßig gestaltete Gesellschaft sein. Es war vorherrschende Auffassung, dass sich Preise in ein Planungssystem einordnen lassen und dass sie planbar sind. Theorie und Praxis der Preisbildung in der DDR wurden davon bestimmt, wie man mit den dabei deutlich werdenden Widersprüchen umging.
Unter den Bedingungen der Nachkriegszeit war dies erst einmal unwichtig, irgendwie musste das Leben aufrechterhalten werden. Für viele Waren des täglichen Bedarfs wurden die Preise auf dem Niveau des Jahres 1944 eingefroren. Für die Gründer:innengeneration der DDR waren stabile und relativ niedrige Konsumgüterpreise die Erfüllung einer alten Forderung der Arbeiter:innenbewegung. Die Erinnerung an die Inflation nach dem Ersten Weltkrieg mit all ihren sozialen Folgen war noch im gesellschaftlichen Gedächtnis präsent. Insoweit war die Fixierung auf stabile Preise durchaus ehrlich gemeint, wurde auch in der Öffentlichkeit geteilt und hatte eine bedenkenswerte Grundlage. Zum Zeitpunkt der Gründung der DDR hatte sich so bereits ein doppeltes Preissystem herausgebildet – eines für Konsumgüter, eines für die Produzenten. Es entstand zudem als ein Binnenpreissystem, das durch das staatliche Außenhandelsmonopol abgesichert war.
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Wir werden uns hier auf die Erzeuger- bzw. Industrieabgabepreise konzentrieren, weil diese den entscheidenden Einfluss auf die Wirtschaft in ihrer Gesamtheit hatten. Sie sollten gewährleisten, dass die Produzenten ihre Kosten ersetzt bekamen und einen Gewinn realisieren konnten. Die Preise wurden durch die Wirtschaftsverwaltung festgesetzt bzw. bestätigt. Bei der Kalkulation hatten sich die Unternehmen an ein vorgegebenes Schema zu halten, in dem auch fixiert war, welche Faktoren zu berücksichtigen waren und welche nicht. Insgesamt hielt man aber die Preise in den ersten Jahren gar nicht für so wichtig, da die volkseigenen Betriebe nach damaliger Auffassung keine Waren produzierten, der Sozialismus auch überhaupt keine Warenwirtschaft sei. Für die Verteilung der Ressourcen in der Gesellschaft wurde der Planung ein viel höherer Stellenwert zugemessen. Aus diesem Blickwinkel schienen langfristig stabile Preise eine praktikable Möglichkeit, die Verteilung den ökonomischen und sozialen Anforderungen entsprechend zu gestalten.
Die Vorstellung der Unveränderbarkeit von Preisen erwies sich schnell als Irrtum, denn schon in den 1950er Jahren liefen den Produzenten die Kosten davon. Anfang der 1960er Jahre betrug das Niveau der Kostendeckung durch die Preise für feste Brennstoffe 55 Prozent, für Wolle, Baumwolle und Bastfasern nur 45 Prozent. Die Differenz wurde durch den Staatshaushalt ausgeglichen. Mit anderen Worten: Effektiv arbeitende Produzenten mussten die anderen mit durchschleppen. Die Preise regten keinen dazu an, wirtschaftlicher zu arbeiten. Irgendwie wurde jeder Aufwand gedeckt. Die Kosten und der Gewinn verloren ihre Bedeutung für die Bewertung der Arbeit der Betriebe. Die weitgehend unveränderten Preise standen aber neben veränderten technologischen und sozialen Bedingungen. Wenn z.B. bei der Erneuerung des Maschinenparks teurere Maschinen angeschafft werden, erhöhen sich natürlich die Abschreibungen, die ihrerseits in die Kosten eingehen. Wenn aber der Preis des Endprodukts gleich bleibt, erleidet der Produzent Verluste, soweit er an anderen Stellen nicht einsparen kann oder die Produktivität deutlich steigt. Das war aber gar nicht nötig, da der Verlust ja aus dem Staatshaushalt gedeckt wurde. So oder so hatten materielle und finanzielle Prozesse immer weniger miteinander zu tun, weil die Preisbildung nicht zwischen ihnen vermittelte. Die Versuche, dieses Vermittlungsproblem zu lösen, sollten bis zum Ende der DDR die theoretischen Debatten und die praktischen Entscheidungen zur Preisbildung bestimmen.
In den 1960er Jahren setzte sich die Erkenntnis durch, dass beides nicht nur durch den Anspruch, soziale Sicherheit für alle zu gewährleisten, sondern auch durch die marxsche Werttheorie bestimmt sein müsse: Die gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit bestimmt den Wert und damit auch den Preis. Es stellten (und stellen) sich damit aber eine ganze Reihe von Fragen, z.B.: Was ist »gesellschaftlich notwendig«, was bedeutet das für eine Planwirtschaft, welcher Aufwand wird bei der Bestimmung des Wertes und des Preises anerkannt, wie lässt sich dieser Aufwand messen, welche Rolle spielt der Gebrauchswert einer Ware und wie beeinflussen die Preise auf dem kapitalistisch dominierten Weltmarkt die in einer sozialistischen Planwirtschaft? Die Veränderung der Rolle der Preise war Teil des Reformprojektes des Neuen Ökonomischen Systems (NÖS) Mitte der 1960er Jahre, das einschneidende Veränderungen im Stellenwert von Geld, bei Marktbeziehungen, der Selbstständigkeit der Betriebe und der Rolle der Banken brachte. Im Zusammenhang mit einer Industriepreisreform traten die realen Selbstkosten in das Zentrum der Preisbildung, zuzüglich eines Gewinns, der, differenziert nach Erzeugnisgruppen bzw. Wirtschaftszweigen, als ein bestimmter Prozentsatz dieser Selbstkosten berechnet wurde. Ende der 1960er Jahre wurde dann ein »fondsbezogener Preis« eingeführt, der sich aus den Selbstkosten und einem auf die eingesetzten materiellen Fonds, Maschinen und Material, bezogenen Gewinnanteil zusammensetzte. Als ein bestimmter Prozentsatz der eingesetzten Fonds schloss der Preis auch eine Abgabe ein, die an den Staatshaushalt abgeführt werden musste. (Produktionsfondsabgabe) Damit wurden in der Preisbildung die gesellschaftlichen Kosten der Produktion berücksichtigt. Später, in den 1980ern, wurde auch eine Abgabe in Abhängigkeit vom Lohnfonds (Beitrag für gesellschaftliche Fonds) eingeführt, mit der die Betriebe stärker an den Kosten der sozialen und kulturellen Entwicklung beteiligt werden sollten. Selbstkosten errechneten sich nach für einzelne Produktionsschritte entwickelten Normativen, die sich an den Kosten in den fortgeschrittenen Unternehmen orientierten. Die Preisbildung wurde dezentralisiert und an die jeweils wichtigsten Produzenten delegiert.
In der Kalkulation der Preise konnten die Betriebe Kosten aus Forschung und Entwicklung geltend machen, wobei im Entwicklungsprozess selbst bereits Kostenobergrenzen vorgegeben werden sollten. Die Erhöhung des Gebrauchswertes, also des Nutzens für die Abnehmer, wurde ebenfalls als Zuschlag kalkuliert. Veraltete Produkte sollten Preisabschläge hinnehmen müssen. Für Exporterzeugnisse wurden Limits in Abhängigkeit von dem zu erlösenden Preis angesetzt. All das setzte eine aktive Beobachtung der Bedarfs- und Marktentwicklung, Prognosearbeit bezüglich Trends in Wissenschaft und Technik und neue Formen der Planung unter Nutzung der aufkommenden Computertechnik voraus. Die Verantwortung, aber auch das Gewicht der Betriebe im Wirtschaftsmechanismus stieg. Die gewachsene Flexibilität in der Preisbildung, begleitet von einer erhöhten Selbstständigkeit der Betriebe gegenüber den staatlichen Organen und einem gewachsenen Stellenwert des Gewinns in der Leistungsbewertung zeigte durchaus Erfolge hinsichtlich Produktivität und Qualität. Die für diese Preisbildung notwendige Analyse des eigenen Wirtschaftens gab den Betrieben Signale für Veränderungen. Die neuen Preise erlaubten die Modernisierung von Anlagen und Innovationen wurden auf dieser Grundlage begünstigt. Es lohnte sich für die Betriebe und ihre Belegschaften, besser zu arbeiten.
Allerdings gab es auch neue Probleme. Die neue Art der Preisbildung trug dazu bei, dass Leistungsunterschiede zwischen den Betrieben deutlicher zutage traten – Unterschiede, die oft nur durch zusätzliche Investitionen aus dem Staatshaushalt hätten abgebaut werden können, die nicht zu leisten waren. Das wirkte sich zum Teil auch auf die Einkommen der Beschäftigten aus und wurde damit zu einem Politikum. Einige Betriebe nutzten ihre gewonnene Selbstständigkeit, um ihr Produktionssortiment in teurere Preissegmente zu verschieben, was an anderen Stellen zu Engpässen in der Versorgung führte – sowohl im Konsum- als auch im Investitionsgüterbereich. Die vorhandenen Instrumente in Planung und Bilanzierung waren darauf nicht eingestellt. Man hätte also die Reformen konsequent weitertreiben müssen. Diesen Problemen wollten sich maßgebliche Teile der Parteiführung nicht stellen.
Mit dem VIII. Parteitag der SED 1971 wurde die Reform abgebrochen und in diesem Zusammenhang die Preisfestlegung wieder zentral in staatliche Hand genommen. Natürlich kalkulierten die Betriebe ihre Preise nach wie vor selbst, festgelegt wurden sie aber an anderen Stellen. Je nach Bedeutung des jeweiligen Produktes entschieden nun der Ministerrat oder die Minister bzw. das Amt für Preise – das betraf 80 Prozent des Sortiments. Gleichzeitig wurde postuliert, dass im Rahmen eines Fünfjahrplanes die Preise stabil zu bleiben hätten. So wurde die Eigenständigkeit der Betriebe wieder begrenzt. Die Unternehmen sahen sich immer weniger in der Lage, flexibel auf die wachsende wirtschaftliche und soziale Dynamik im Land selbst wie auch auf den Exportmärkten zu reagieren.
Man vergegenwärtige sich die 1970er Jahre – Preisveränderungen im Rohstoffsektor und die immer mehr Fahrt aufnehmende wissenschaftlich-technische Revolution, internationale Spannungen, Wettrüsten und ökonomischer Boykott seitens des Westens bei wesentlichen Technologien trafen die DDR als exportorientierte Volkswirtschaft hart. Auch die Veränderung der Bedürfnisse der Bevölkerung in der DDR hielt sich nicht an den Fünfjahresrhythmus. Die Industriepreiserhöhung fiel 1976 dementsprechend saftig aus – für Erzeugnisse der Erdölverarbeitung betrug sie z.B. 85 Prozent und für Energie 47 Prozent. So mussten Jahr für Jahr viele Preise korrigiert werden, ein für alle Beteiligten quälendes Hin und Her. Unausgesprochen wurden immer wieder Ansätze des NÖS aufgegriffen, ohne dass es zu einem konsequenten Reformkurs gekommen wäre. Viele Preisanpassungen, die eigentlich in den Betrieben selbst hätten gemacht werden können, mussten nun durch gesonderte Zu- und Abschläge oder Interventionen des Staatshaushaltes abgefedert werden. Erst in den 1980er Jahren wurde es unter dem Druck der angestauten Probleme möglich, das Gewicht des Preises im Wirtschaftsmechanismus wieder zu erhöhen.
Was bleibt? Planmäßige Preisbildung ist möglich – aber voraussetzungsvoll. Zu diesen Voraussetzungen gehörten an hervorragender Stelle die Eigenständigkeit und Eigenverantwortung der Unternehmen sowie ein offenes und kooperatives Verhältnis zwischen den wirtschaftlichen Akteuren. So lag das Problem der DDR nicht in der Art der Preisbildung, sondern in der Art, wie der Preis in den Wirtschaftsmechanismus eingebunden war und wie man mit entstehenden Problemen umging. Das gilt ausdrücklich auch für das hier nicht betrachtete Konzept der stabilen Verbraucherpreise. Die Geschichte des Preises in der DDR entfaltet so ein Panorama von Problemen und Widersprüchen, denen sich jede Form alternativen Wirtschaftens wird stellen müssen.
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