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Mit Braunkohle wird es heiß
Was ein altes Rittergut in Plotha und Palmen am Großräschener See mit dem Strukturwandel in der Lausitz zu tun haben
Das alte Rittergut im Ortsteil Plotha beherbergte früher eine Schule, seit 2015 steht es leer. Nun will die Stadt Teuchern im sachsen-anhaltischen Burgenlandkreis dort wieder eine Grundschule unterbringen, dazu eine Großküche, die Schulen und Kitas versorgt. Sechs Millionen Euro Fördermittel erhofft sich die Stadt für dieses Vorhaben. »Das klingt erst einmal so, als habe das mit dem Strukturwandel nichts zu tun«, sagt Bürgermeister Marcel Schneider (parteilos) am Donnerstagnachmittag bei der Konferenz »Reviertransfer Lausitz« im sächsischen Hoyerswerda. Doch schaffe man Arbeitsplätze - und darauf kommt es an, wenn die Jobs bei der Mitteldeutschen Braunkohlengesellschaft (Mibrag) wegfallen.
Der Kohleausstieg, den die Bundesrepublik 2034 oder spätestens 2038 geschafft haben möchte, betrifft Teuchern früher als andere Städte und Gemeinden. Denn die Mibrag will das ebenfalls zum Gemeindegebiet gehörende Braunkohlekraftwerk Deuben bereits Ende 2021 schließen. Damit entfallen der Stadt Teuchern eine Million Euro Gewerbesteuern im Jahr, wie Bürgermeister Schneider vorrechnet. Diese Summe will erst einmal kompensiert sein. Als neuer Industrie- und Gewerbestandort soll die Kommune aus dem Strukturwandel aber nicht hervorgehen, denn solche Standorte seien bereits die benachbarten Gemeinden, so Schneider. Teuchern soll ein Wohnort sein - vielleicht für Familien aus Leipzig, das etwa 40 Kilometer Luftlinie entfernt liegt. Mit nichts anderem als dem Strukturwandel werden sich künftig im sachsen-anhaltischen Burgenlandkreis 38 Mitarbeiter beschäftigen. Fünf dieser Stellen entfallen auf die Kommunen, eine Stelle bekommt die Stadt Teuchern.
Doch was hat diese Kommune überhaupt mit der Lausitz zu tun? Warum erzählt Schneider das in der Lausitzhalle von Hoyerswerda? Weil man ihn dazu eingeladen hat. Weil die Kommunen im Lausitzer und im Mitteldeutschen Braunkohlerevier vor ähnlichen Herausforderungen stehen und es nicht schaden kann, erste Erfahrungen auszutauschen und sich von guten Ideen anderer zu eigenen Lösungen anregen zu lassen.
Zuständig für den Strukturwandel
Für den brandenburgischen Teil des Lausitzer Reviers gibt es seit 2018 einen Beauftragten der Landesregierung für den Strukturwandel: Klaus Freytag. Der frühere Landesbergamtspräsident erzählt in Hoyerswerda, wie ihn Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) zu sich gerufen und gesagt habe, er brauche einen Lausitz-Beauftragten und Freytag solle es machen. Fünf Minuten später sendete der Rundfunk RBB zufällig einen Bericht über das »Beauftragtenunwesen«, mit dem Schluss gemacht werden müsse. Freytag nimmt das mit Humor. Auch Sachsen ernannte einen Beauftragten für seinen Teil der Lausitz: Stefan Rohde. Der ist auch zuständig für die Region um Leipzig, die zum Mitteldeutschen Revier gehört. Rohde schickte Jörg Huntemann nach Hoyerswerda, seinen Abteilungsleiter für die Abstimmung mit dem Bund. Abzustimmen gibt es viel. 40 Milliarden Euro Fördermittel sind für den Strukturwandel in den deutschen Kohleregionen vorgesehen. Der Bund hat sich das größte Stück von diesem Kuchen zur Verteilung vorbehalten, wie Klaus Freytag sagt. Ihn wurmt das. Er sagt: »Brandenburg müsste mal auf dem Euro stehen.«
Will heißen: Brandenburg würde gern selbst entscheiden, wohin und wofür die Mittel fließen. Denn warum geht Geld, das für den Strukturwandel in der Lausitz gedacht ist, nach Wildau? Dort eröffnete Ende März ein Zentrum für Zukunftstechnologien als Zweigstelle des Robert Koch-Instituts - vor den Toren Berlins und damit weit weg von der Lausitz. Das wolle den Menschen in der Lausitz nicht in den Kopf, sagt Marco Bedrich, DGB-Regionsgeschäftsführer in Südbrandenburg. Er stimmt auch nicht ein in den Jubel über die Ansiedlung der Tesla-Autofabrik in Grünheide. Die ehemalige Grünenchefin Gunda Röstel, die in der Kohlekommission mitarbeitete, meint: »Brandenburg hat einen großen Coup gelandet mit Tesla. Das wird ausstrahlen.« Grünheide liegt aber bei Berlin und damit von Cottbus ungefähr so weit weg wie Wildau. Bedrich befürchtet, Tesla werde Fachkräfte aus der Lausitz weglocken, die dort dringend benötigt werden.
Denn anders als man denken sollte, bedeutet der Wegfall einiger Tausend Jobs in den Tagebauen und Braunkohlekraftwerken nicht zwangsläufig, dass der Lausitz Massenarbeitslosigkeit droht. Es ist im Gegenteil sogar errechnet worden, dass ein Arbeitskräftemangel herrschen könnte, weil viel mehr Beschäftigte in Rente gehen als Schulabgänger nachrücken. Schon jetzt gibt es in der Gegend nur 2500 Bewerber für 3500 Ausbildungsplätze, sagt Bedrich. Bedrohlich für den Arbeitsmarkt wäre demnach gar nicht der Kohleausstieg selbst, sondern der psychologische Effekt, dass Jugendliche in der Lausitz langfristig keine Zukunft für sich sehen und gleich woanders hingehen, obwohl sie durchaus in der Heimat ihr Auskommen finden könnten. Bedrich bedauert: »Wir haben zu lange das Lied gesungen: ›Wenn es die Kohle nicht mehr gibt, gibt es keine Perspektive für junge Menschen.‹«
Auf der anderen Seite hält es der Gewerkschafter für falsch, so zu tun, als ließen sich die alten Bergleute und Kraftwerker noch umschulen. Wenn jemand sein gesamtes Berufsleben die Kessel im Kraftwerk gereinigt habe und 58 Jahre alt sei, dann solle man nicht behaupten, der könne noch drei Jahre in eine Weiterbildung gesteckt werden, damit er sich für die kurze Zeit, die ihm bis zur Rente bleibt, völlig neu orientiert. Dem sollte man erlauben, in den Vorruhestand zu treten, fordert Bedrich.
Die Enttäuschung sitzt tief
Mut haben, zuversichtlich sein, Chancen nutzen: Genau davon ist immer wieder die Rede während der Konferenz. Das kommt so oft vor wie der Bergmannsgruß »Glück auf« am Ende eines Vortrags. »Mut, den haben wir«, bestätigt Jörg Krakow (FDP), Bürgermeister von Peitz, einer Gemeinde in Sichtweite des Kraftwerks Jänschwalde. Nach seiner Darstellung erlebt die Gegend von Peitz nun bereits den dritten Strukturwandel. Den ersten habe es vor 50 Jahren gegeben, als Verkehrsverbindungen durch den Tagebau gekappt worden sind. Diesen Strukturwandel habe man gut gemeistert - »was die beiden anderen betrifft, naja«. Als nach der Wende Zehntausende Beschäftigte der Braunkohleindustrie ihre Arbeitsplätze verloren, war das ein schwerer Einschnitt, ein traumatisches Erlebnis.
Weißwassers Oberbürgermeister Torsten Pötzsch (parteilos) sagt, er höre oft: »Damals hat uns die Politik im Stich gelassen. Warum sollte es heute anders sein?«
Die in den 1990er Jahren erlebte Enttäuschung sitze noch tief, weiß auch Brandenburgs ehemaliger Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD). Man brauche keinem Lausitzer zu erklären, was Strukturwandel bedeute, denn dies hätten sie damals »mit Wucht« erfahren. Platzeck war einer der Vorsitzenden der Kohlekommission und dringt nun darauf, den erzielten Kompromiss nicht aufzuweichen. »Die Lausitz hat geliefert, sie hat geliefert für den Klimawandel, sie hat geliefert, was man von einer Gesellschaft überhaupt fordern kann, nämlich diesen Zusammenbruch überstehen und hinterher gestalten«, erklärt Platzeck. Die Politik müsse sich an ihre Zusagen halten und die versprochene Hilfe gewähren. Man verspiele das Vertrauen, »wenn man daran anfängt zu schrauben und dabei anfängt zu relativieren und zu sagen: ›Das war nicht ganz so gemeint, das kann nicht funktionieren‹.« So ähnlich wollte Platzeck das in der Lausitzhalle von Hoyerswerda sagen. Er bleibt allerdings mit seinem Auto im Stau stecken. Darum liest Weißwassers Oberbürgermeister Pötzsch vor, was Platzeck vor dem Termin einer Nachrichtenagentur zu Protokoll gegeben hat.
Der Landtagsabgeordnete Christian Görke (Linke), der bei der Bundestagswahl im September in Cottbus und Spree-Neiße kandidiert, sieht das genauso wie Platzeck. Er sagt: »Man muss zu den Zusagen stehen und darf nicht wie Bundesfinanzminister Olaf Scholz einen Großteil der 2,4 Milliarden Euro des europäischen Fonds für gerechten Wandel unter anderem dem Lausitzer Revier vorenthalten und mit den Strukturmitteln des Bundes einfach mal verrechnen.«
Konkrete Projekte sind gefragt
Um verspieltes Vertrauen wieder aufzubauen, braucht es konkrete Projekte. Einiges ist in Vorbereitung und dauert viel zu lange. Eine neue Bahnstrecke nützt der Lausitz wenig, wenn sie erst nach einem in Deutschland üblichen Planungsvorlauf von acht bis zehn Jahren realisiert werden kann. Es ist schließlich gut möglich, dass der Kohleausstieg bereits 2030 kommt, weil sich mit dem Rohstoff schon bald kein Geschäft mehr machen lässt. Was den Klimaschutz betrifft, lässt sich sagen: Je eher der Kohleausstieg kommt, desto besser. Immerhin gehören die drei extrem trockenen Sommer der vergangenen Jahre schon zu den fatalen Auswirkungen des Klimawandels. Darum muss der Strukturwandel schnell Fahrt aufnehmen.
Zügige Entscheidungen sind gefragt, so wie bei der Neuen Bühne Senftenberg, die für die Erneuerung und Erweiterung ihrer Werkstätten 6,5 Millionen Euro erhält. Dieses Theater der Bergarbeiter - so hieß es von 1958 bis 1990 - wurde bereits 1946 gegründet. Damals mangelte es den Bergarbeitern noch an Wohnungen, aber die Menschen sollten und wollten nicht ohne Kultur leben. Die Theatergründung in dieser Zeit war erstaunlich und ermutigend.
Um mitzureden beim Strukturwandel, hat sich jetzt eine Lausitz-Kommission formiert. Sprembergs Bürgermeisterin Christine Herntier (parteilos) und Marco Bedrich vom DGB machen mit, außerdem Jan Hinrich Glahr vom Bundesverband Windenergie - was als Zeichen zu verstehen ist. Denn die Lausitz möchte weiter Strom erzeugen, wenn nicht mehr mit Kohle, dann mit Wind und Sonne. Hier und da drehen sich schon Windräder und glitzern Solarmodule im Licht.
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