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Der Gegenpapst
Warum gegen Donald Trump noch immer nicht Anklage erhoben worden ist
Mit der verlorenen Präsidentschaftswahl hat Donald Trump auch den Schutz vor zivil- und strafrechtlichen Ermittlungen verloren. Nur ein amtierender Präsident gilt als immun. Zwar holte er 74 Millionen Wählerstimmen, doch Joe Biden holte sieben Millionen mehr. Seitdem bestreitet Trump seine Niederlage grundlos mit Fälschungsvorwürfen. Und seit der von ihm geschwänzten Amtsübergabe im Januar nimmt er als »antipope«, als Gegenpapst aus seinem Exil in Florida, den neuen Präsidenten mit Schmähungen und Drohungen unter Feuer. Was Biden an sich abperlen lässt, um »dem Kerl von früher«(»the former guy«) keine Zusatzreklame zu sichern.
Unter einem Gegenpapst - pseudopapa oder antipapa - versteht die Kirche das gelegentlich aufgetretene Phänomen, dass ein weiterer Kandidat einem ordentlich gewählten Papst das Amt streitig macht. Die in der amtlichen Liste geführten Gegenpäpste konnten jeweils eine relevante Anhängerschaft für sich beanspruchen. Erster anerkannter Gegenpapst war Anfang des 3. Jahrhunderts Hippolyt von Rom, bislang letzter Felix V. Donald Trump besitzt noch immer eine große Anhängerschaft unter republikanischen Wählern, weshalb er durchaus Voraussetzungen für einen Antipapa erfüllt. Mit seiner freiwilligen Abdankung hingegen ist bei ihm - anders als Felix V. 1449 - nicht zu rechnen. Trump hadert seit seinem Abgang mit Gott und der Welt, aber mehr noch mit der Demokraten-Regierung unter Joe Biden.
Wie andere politische Führer, die Amt und Würde verloren, schlägt Trump die Zeit mit Dingen tot, die ihm kein Ersatz für entgangene Macht sind. Napoleon redete im Exil auf St. Helena mit Kaffeesträuchern. Äthiopiens zwischenzeitlich geschasster Kaiser Haile Selassie tummelte sich gern in der Kurzwarenabteilung eines Kaufhauses im südenglischen Bath, und Trump hat gerade damit geprahlt, »wieder inthronisiert« zu werden, sobald Bidens Sieg als gefälscht bestätigt worden sei. Doch die aktuell dringliche Frage ist nicht, wie lange er die Republikaner noch in Geiselhaft halten kann, sondern: Warum ist Trump bisher nicht in Untersuchungshaft oder unter Anklage? Dass beides nicht erfolgte, kommt nach den Worten nicht nur des »Guardian«-Kolumnisten Simon Tisdall »einem Rätsel, einem Skandal, ja einer Verschwörung gleich«.
In Trumps stattlicher Liste krimineller Verfehlungen finden sich Vorwürfe von Machtmissbrauch und Justizbehinderung, von Fälschung, Steuerhinterziehung und Geldwäsche, Wahlmanipulation und Schweigegeldzahlungen, ja von Mord, wie im Fall des auf Trumps Befehl Anfang 2020 getöteten iranischen Generals Soleimani, laut UNO möglicherweise ein Kriegsverbrechen. Gewiss, Trump wurde wegen Anstiftung zum Aufruhr gegen das Kapitol, das Bundesparlament, und den neuen Präsidenten ein zweites Mal einem Amtsenthebungsverfahren unterzogen. Doch seine Republikaner sprachen ihn wie schon beim ersten Impeachment trotz erdrückender Beweise frei.
Im Frühjahr, Trump war längst nicht mehr im Amt, betonten US-Behörden mehrfach, die Untersuchungen gegen ihn liefen auf Hochtouren. Ende Mai teilte die Generalstaatsanwältin des Staates New York mit, sie ermittle nun auch strafrechtlich. Der Generalstaatsanwalt von Manhattan erklärte, er denke wegen des Verdachts des Steuer-, Bank- und Versicherungsbetrugs »ernsthaft« über eine Anklage nach. Dann berief er sogar eine Sonder-Grand Jury. Dieses Geschworenen-Gremium wird gewöhnlich nur eingesetzt, wenn die Staatsanwaltschaft genügend Beweise für eine Anklageerhebung zu haben glaubt. Aber seither nichts Neues von Belang.
Auch die politisch schwereren Vorwürfe von Machtmissbrauch und Justizbehinderung, denen Russland-Sonderermittler Robert Mueller nachgegangen war, blieben bisher ergebnislos. Dabei hatte Mueller zehn Fälle genannt, in denen der damalige Präsident mutmaßlich Ermittlungen zu möglicher Zusammenarbeit zwischen Trumps Wahlkampfteam 2016 und Russland behinderte. Mueller riet, dem nachzugehen, da er selbst nicht befugt sei, einen amtierenden Präsidenten anzuklagen. Bisher ist nicht erkennbar, dass Bidens Justizminister Merrick Garland Muellers Rat aufgreift. Warum nicht? Und weshalb blieb Trumps Aufforderung an die Wahlaufsichtsbehörde von Georgia, das dortige Ergebnis der Präsidentschaftswahl nachträglich zu seinen Gunsten zu verändern - eine klare Straftat - folgenlos?
Seltsam mithin, dass Trump weiter frei rumläuft. Dass er wahrheitswidrig von gestohlener Wahl spricht, weiter Spendenessen für 250 000 Dollar pro Kopf ausrichtet und weiter republikanische Trump-Gegner abstrafen lässt. Welches andere auf »law and order« gegründete Land würde so etwas erlauben? So traurig die Antwort anmutet: Ihn einzusperren könnte einen weiteren Aufstand auslösen. Der aber wäre das Letzte, wonach sich Biden und das Land sehnen. Doch Trump davonkommen zu lassen, schwächt die gerupfte Demokratie in den USA ebenfalls.
Mehr als die Hälfte der Republikaner teilt auch acht Monate nach der Wahl die Behauptung, sie sei Trump gestohlen worden. Auf dem Republikaner-Parteitag von North Carolina, wo er vor einer Woche als Ex-Präsident erstmals wieder öffentlich auftrat, war er ganz der Alte. Der Mann, der mit seinem Dilettantismus eine persönliche Aktie an den rund 600 000 Corona-Toten in den USA hat, verlangte von Peking Reparationen für die Pandemie. China müsse »zehn Billionen US-Dollar an die Vereinigten Staaten und die Welt zahlen« - Trump, wie er singt und lacht.
Er mag die Kontrolle über seine Twitter- und Facebook-Konten eingebüßt haben, die Kontrolle über Anhängerschaft und Republikaner hat er noch nicht verloren. Auch Biden, der wirtschaftliche und soziale Vorhaben von historischer Größe angestoßen hat, fürchtet »den Kerl von früher«. Bidens Angst scheint zu groß, um seinen Vorgänger, der am heutigen Montag 75 wird, Recht und Gesetz zuzuführen. Und ein weiterer Punkt trägt auch nicht gerade zur Gelassenheit von Papst Joe, dafür zu Dreistigkeit bei Antipope Donald bei: Noch nie seit dem ersten Staatschef George Washington 1789 wurde ein ehemaliger US-Präsident strafrechtlich angeklagt.
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