- Kultur
- Bärbel Bohley
Mitfühlend sachlich
Die Galerie Pankow zeigt eine Werkschau der Künstlerin und Bürgerrechtlerin Bärbel Bohley
Engel fallen vom Himmel« (Mischtechnik auf Karton) heißt eine Arbeit von Bärbel Bohley aus dem Schicksalsjahr 1989: schwarz, bedrohlich ein Vogelwesen mit geöffneten Schwingen und gespreizten Krallen vor einem roten, mit weißen Bahnen übermalten Hintergrund, der ein Stadtbild andeutet. Hier fällt kein Engel vom Himmel, sondern ein Raubvogel steigt auf in die Lüfte - wird er die Mächtigen auf Erden das Fürchten lehren? Oder verdunkelt er mit seinen ausgebreiteten Schwingen das Leben unter sich, hinterlässt er Stagnation und Aussichtslosigkeit? Aus fast absichtslos gesetzten Strichen und Formen ergibt sich das Bildzeichen, das sich zum psychisch-assoziativen Element verdichtet. Eine wie traumhaft erlebte Vision wird aus einer plötzlichen Assoziation als ein durchdachtes, aber durchaus mehrdeutiges Element weitergeführt.
Bis November 1989 war Bärbel Bohley künstlerisch tätig, danach widmete sich die DDR-Bürgerrechtlerin, die im Herbst 1989 zu den Initiator*innen der Oppositionsbewegung »Neues Forum« gehörte, ausschließlich ihrem politischen Engagement. »Manchmal ist Kunst abwesend«, schrieb sie auf ein Blatt anstelle der Grafik, die von ihr erwartet wurde. Als sie 1996 für ein Hilfsprojekt nach Kroatien ging, nahm sie zwar ihr Malzeug mit, aber auch dort ist sie nicht zur künstlerischen Arbeit gekommen. An Krebs erkrankt, kehrte sie 2008 nach Berlin zurück, wo sie 2010 starb. Anlässlich ihres 75. Geburts- und zugleich des 10. Todestages im letzten Jahr wird nun in der Galerie Pankow die erste Werkschau der Künstlerin nachgeholt (tatsächlich, vor gut 30 Jahren hatte sie ihre letzte Einzelausstellung) - mit monochromen Mischtechniken, Zeichnungen und Grafiken der 70er und 80er Jahre; sie stammen alle aus dem Nachlass des Sohnes Anselm Bohley.
»Ich bin keine politische Künstlerin. Ich bin ein politischer Mensch, der Kunst macht«, so hat sich Bärbel Bohley geäußert. Es sind Aktdarstellungen, Figuren im Raum, Daseinszustände, existenzielle Situationen, Porträts, auch weitgehend abstrahierte Arbeiten, die hier gezeigt werden. Ihre Figuren sind Träger von Gesten und Handlungen, die das Gefährdetsein, die Verletzlich- und Hilflosigkeit verkörpern, das Stürzen und Fallen, Warten, Sinnen und Nachdenken. Der nackte Körper in seiner schutzlosen Blöße fordert den Betrachter zum Behüten und Bewahren heraus. Alles, was Bohley am Menschen entdeckt, verwandelt sich bei ihr in eine sich ständig ändernde Körpersprache.
Die Künstlerin hat selbst auf ihre Nähe zu Goya und zur Kollwitz verwiesen. Aber wie ihre Körper aus dunklen Hintergründen herausmodelliert werden, erinnert auch an Rembrandt. Im Gegen- und Ineinanderwirken des Hell-Dunkels, in den eindringlichen Abstufungen von Licht und Schatten beruht ihre Aussagekraft. Kohle- und Tuschfederblätter werden in verschwimmende Pinselarbeit eingebettet. Es verdichtet sich der übergreifende Grund in zunehmender Dunkelheit fleckenhaft mit modellierenden Lichtern. Dann aber haben wir es wieder mit die klare Kontur betonenden Zeichnungen zu tun; die Figur ist mit klarer Lineatur gezeichnet und steht vor einem weißen Blattgrund.
»Schweigen« (1985): Eine Figurengruppe sitzt hintereinander, mit gesenktem Kopf, aber die Arme zaghaft hilfesuchend nach dem anderen ausstreckend. Es gibt keine ausgebreitete Szenerie. Die Konstruktion des Gerüsts des »Liegenden Aktes hinter Gittern« (1989) ist nur angedeutet, damit der Frauenkörper in seiner erbarmungswürdigen Schutzlosigkeit dem Betrachter ausgeliefert ist. Die Zeichnung erweist ihren handschriftlichen Charakter, die psychische Reaktion wird in die Bildform übertragen. Im Porträt wiederum zeigt sich Bärbel Bohleys Begabung einer mitfühlend abwägenden Sachlichkeit.
Vereinzelt Collagen, die Montage von Dingen in der Fläche. Das eingeklebte Element, der Zeitungsausschnitt, hier das »ND« vom August 1989, unterstreicht durch die schlagzeilenartigen Mitteilungen das dynamisch ablaufende Geschehen.
Aber eben auch das kann sie: Aus hingeworfenen Pinselstrichen, Schlieren und flirrenden Klecksen und Tropfen ergeben sich die Bildzeichen eines Gewächses oder eines Raubvogels. Flüssige Linien und ausfahrende Bewegungen lassen die Rohrfeder sich sträuben, dass die Tusche spritzt und kleckst. Der Vorgang des Ineinanderlaufens, des Zerfließens der monochromen Farbe kommt zum Erstarren nach Analogie von auch in Naturerscheinungen wirksamen Gesetzen. Tachistische Malerei (franz. tachisme, Fleckwerk) hält die Materie in Bewegung und damit als Vorgang in Analogie zur Schöpfung. Die Originalität einer starken kreativen Persönlichkeit hat sich hier zu einem unverwechselbaren bildnerischen Ausdruck wie zu einer künstlerischen Meisterschaft und Menschlichkeit in der Aussage zusammengefunden.
Wenn nun aber doch wirklich Engel vom Himmel fallen und die finanziellen Mittel für ein Werkverzeichnis der etwa 1000 Werke aus dem Nachlass der Künstlerin bringen? Wenn sie auch dafür sorgen könnten, dass die Bohley-Biografie von Irena Kukutz endlich einen Verleger findet? Wäre denn nicht dieses Doppel-Jubiläum dazu ein geeigneter Anlass?
Bis 11. Juli, Galerie Pankow, 13187 Berlin
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.