Walisische Tänzchen
Zirkus Europa
Was macht eigentlich Hal Robson-Kanu? Vor ein paar Wochen ist er 32 geworden, aber die Party fiel eher bescheiden aus. Sein Vertrag beim Premier-League-Absteiger West Bromwich Albion ist nicht verlängert worden, und auch im ganz großen Zirkus spielt er nicht mal mehr eine Nebenrolle. Hal Robson-Kanu gehört nicht zu den roten Drachen, zum Kreis der walisischen Nationalmannschaft, die in diesen Tagen in Europa an das anknüpfen will, was sie vor gar nicht so langer Zeit in Frankreich begonnen hat. Fünf Jahre ist das jetzt her, dass die kleine Subnation aus dem großen Britannien eine Party feierte, die in Lille immer noch unvergessen ist. Dort, wo die Waliser im Viertelfinale der Europameisterschaft 2016 die Belgier aus dem Weg gebolzt hatten, den gar nicht so geheimen Geheimfavoriten des Turniers. Und der Stürmer Hal Rabson-Kanu war einer ihrer Hauptdarsteller.
Wales ist ein Fußballzwerg. Ein Ländchen, das zwar über die Ausnahmespieler Aaron Ramsey und Gareth Bale verfügt, seine Mannschaft darüber hinaus aus international zweit- und drittklassigen Klubs rekrutiert. Hal Robson-Kanu war vor der EM in Frankreich nicht mehr gut genug für den englischen Zweitligisten FC Reading. Dann aber schoss er in Lille das großartige Tor zum vorentscheidenden 2:1. Mit dem Rücken zum Tor stoppte er den Ball, schob ihn erst durch die eigenen Beine und zirkelte ihn dann zwischen zwei Belgier ins Tor. Eine Demonstration ganz großer Fußballkunst.
Am Ende gewann Wales 3:1, und anschließend warteten Robson-Kanu, Bale, Ramsey und Co. höflich, bis die armen Belgier den Platz verlassen hatten. Dann begann die Party, aber wie! Auf ihren Bäuchen rutschen die Waliser über den vom Regen aufgeweichten Rasen Richtung Fankurve. Weiter ging es zur Tribüne, wo die Wags warteten, die wives and girlfriends. Frauen und Freundinnen reichten Kinder über die Absperrung auf den Fußballplatz. Die walisischen Kids bolzten im Strafraum, die Väter tanzten und die Stadionregie hatte ein Gespür für den Zauber des Moments. Jemand stellte die öde Musik vom Band ab, auf dass der walisische Anhang das gesamte Stadion mit seinem zugleich wunderschönen und programmatischen Lied beglücken durfte, es ging so: Don’t take me home, please don’t take me home!
Vier Tage später, nach einer 0:2-Niederlage gegen Portugal, war die Party zu Ende. Gareth Bale flog nach Hause zu Real Madrid und Robson-Kanu nach West Bromwich, das seine neu gewonnene Popularität mit einem Vertrag veredelte. Er ist West Brom treu geblieben und nach einem zwischenzeitlichen Rücktritt auch den roten Drachen.
Bis zu jenem Abend vor ein paar Wochen in Vale of Glamorgan, wo sich die Waliser auf ihr WM-Qualifikationsspiel gegen Tschechien vorbereiteten und Robson-Kanu mit zwei Kollegen einen kleinen Ausflug unternahm, der sich nicht ganz mit den Corona-Richtlinien vertrug. Der Held von Lille hat seitdem nicht mehr für Wales gespielt und wird nur vor dem Fernseher verfolgen könne, wie seine Kollegen am Mittwoch in Baku im zweiten Spiel der Vorrundengruppe A gegen die Türkei das weiterführen wollen, was vor fünf Jahren in Lille seinen Anfang nahm.
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