- Kultur
- Polizeiruf 110
Die feine Balance
Der »Polizeiruf 110« ist 50 geworden. Drei Folgen zum Jubiläum zeigen, warum er besser als der »Tatort« ist
Letztes Jahr wurde der »Tatort« 50, dieses Jahr ist es der »Polizeiruf 110« geworden. Anders als die DDR durfte der »Polizeiruf« nach 1990 weiterbestehen, wenngleich die Größenverhältnisse dieser beiden ARD-Formate nicht ganz denen der zwei deutschen Staaten entsprechen. So stehen aktuell 22 »Tatort«-Ermittlerteams lediglich fünf des »Polizeirufs« gegenüber. Ein etwas besseres Verhältnis ergibt sich, wenn man insgesamt die westdeutschen Drehorte (17) mit den ostdeutschen (7) vergleicht.
Zum 50-jährigen Jubiläum hatte sich der »Polizeiruf« im Mai ein neues Ermittlerteam geschenkt. In Halle (Saale) hatte der MDR schon den von Andreas Schmidt-Schaller gespielten »Schimanski des Ostens«, Thomas Grawe (1986-1994), und später das Team Schmücke und Schneider (Jaecki Schwarz und Wolfgang Winkler) ermitteln lassen. In der Folge »An der Saale hellem Strande« ließ Regisseur und Co-Autor Thomas Stuber die neuen Kommissare Henry Koitzsch (Peter Kurth) und Michael Lehmann (Peter Schneider) zum Jubiläum eine feine Balance zwischen Vergangenheit und Gegenwart, Nostalgie und Zuversicht suchen - und finden.
Sie versuchen erfolglos, den Mord an einem Kellner aufzuklären, dabei gibt es potenzielle Zeugen zuhauf. Die Autoren Stuber und Clemens Meyer schufen hier ein Panoptikum aus erzählerischen Kleinodien und setzen dadurch ihren eigenen Akzent innerhalb der »110«-Tradition, die im Vergleich zum »Tatort« weniger auf Action und Gewalt, sondern mehr auf die Ausgestaltung der Figuren baut. Dass am Ende zwar weitere Fälle aufgedeckt und gelöst werden, der ursprüngliche Mordfall aber weiterhin offen bleiben muss, ist da nur konsequent.
Besondere Aufmerksamkeit gilt natürlich den Kommissaren. Peter Schneiders liebenswert überforderter Lehmann darf zu Hause mit keinem geringeren als dem erwähnten DDR-Ermittler Grawert alias Schmidt-Schaller als Schwiegervater über Polizeiarbeit und Weltlage einst und heute philosophieren. Und sensationell ist es, wie Peter Kurth einmal mehr mit spielerischer Größe zugleich Souveränität und die biografische Gebrochenheit verkörpert, die andere Fernsehkriminaler nur als fade Pose inszenieren können.
Für authentische Abgewracktheit legendär sind auch die inzwischen dienstältesten »Polizeiruf«-Kommissare Katrin König und Sascha Bukow, als die Anneke Kim Sarnau und Charly Hübner seit 2010 in Rostock ermitteln. Im vergangenen Jahr konnte sich das heilsam-knisternd dauerknirschende Zweigespann nach zehn Jahren am Ende einer fulminanten Folge endlich näherkommen. Zuletzt duften sie im März unmittelbar vor der Jubiläumssendung noch einmal in der nicht minder spektakulären Episode »Sabine« (Regie: Stefan Schaller, Drehbuch: Florian Oeller ) die ersten 50 Jahre »Polizeiruf« zu einem denkwürdigen Abschluss bringen.
Während die beiden Ermittler auf der Trauerfeier für Bukows Vater mit einer herzerweichenden Karaoke-Version des Ton-Steine-Scherben-Klassikers »Halt dich an deiner Liebe fest« Gänsehaut erzeugen, beginnt in einer atemberaubenden Parallelmontage eine junge Mutter namens Sabine Brenner (Luise Heyer) eine Mordserie. Sie ist alleinerziehend, Hartz-IV-Aufstockerin, bereits zweimal umgeschult, und nun droht die Schließung der Werft, bei der sie über eine Zeitarbeitsfirma beschäftigt ist. Außerdem wird ihr der Strom abgestellt. Sie ist am Ende, doch anstatt zur Selbstmörderin wird sie zur Rächerin der Entehrten. Man mag das für etwas plakativ halten, und doch geht es hier um faktische Verhältnisse, die nicht oft genug aufgezeigt werden können. Wenn es zu den Besonderheiten sowohl der »Tatort«- als auch der »Polizeiruf«-Reihe gehört, die lokale Prägung sozialer Realitäten glaubwürdig abzubilden und in sich geschlossene Filme mit dem horizontalen Erzählen seriellen Fernsehens zu verknüpfen, dann ist der »Polizeiruf« womöglich der bessere »Tatort« und das Team aus Rostock sein bestes Exemplar. Nun gab der NDR allerdings bekannt, dass Charly Hübner im nächsten Jahr die Reihe verlassen wird.
Der »Polizeiruf« ist ein Ostklassiker, doch nach 1991, dem Ende des DDR-Fernsehens, wurde auch schon im Westen ermittelt, in Heilbronn, Wien oder Offenbach. Und natürlich in München. Der »Polizeiruf« des BR wusste schon immer Fernsehunterhaltung mit Filmkunst zu verbinden (wofür Namen wie Dominik Graf und Christian Petzold stehen) und hatte bereits mit dem homosexuellen und behinderten Ermittler Jürgen Tauber (Edgar Selge) und dem adligen Hans von Meuffels (Matthias Brand) Neuerungen in die Reihe gebracht. Meuffels Nachfolgerin im Münchner »Polizeiruf« ist nun seit zwei Episoden die junge Streifenpolizistin Elisabeth »Bessie« Eyckhoff (Verena Altenberger).
Sie ist durch und durch gutherzig, hat aber in ihren ersten beiden Auftritten so ziemlich alles an abgestandener Fernsehkrimikonvention durchgewirbelt, was man sich nur vorstellen kann - von fehlenden Toten über unkonventionellen Teamgeist bis hin zu Handstandsex mit einem Finanzbeamten. Doch die beiden Regisseure, der junge Wilde Florian Schwarz und Großmeister Dominik Graf, haben das nicht als billigen Klamauk inszeniert, wie man ihn aus so manchem »Tatort«-Folgen gewohnt ist, sondern als ernsthafte Kunstwerke. Stellenweise ein wenig zu sehr zur Posse gerät nun leider der neueste Fall von Eyckhoff, der diesen Sonntag ausgestrahlt wird. In »Frau Schrödingers Katze« (Regie: Oliver Haffner, Drehbuch: Clemens Schönborn) ist selbige entlaufen und wird zum geheimen Schlüssel in einem Todesfall, der im Zusammenhang mit einer Erbschleichung steht.
An sich ist dieser Ausflug ins geruhsamere kriminologische Vorstadtmilieu so sympathisch wie die namensgebende betagte Katzenbesitzerin (hinreißend gespielt von Ilse Neubauer) und doch wünschte man, der Film hätte sich bei seinem Vorgänger aus Halle etwas besser abgeschaut, wie sich dabei ein stellenweises Abdriften ins Vorabendniveau konsequenter vermeiden ließe. Bessie Eyckhoff wird übrigens zur Kripo befördert.
»Frau Schrödingers Katze« , So, 20.6., 20.15 Uhr, die anderen beiden Folgen sind in der ARD-Mediathek zu sehen
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.