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Delta-Alarm in Britannien
Indische Variante wirft Öffnungspläne Londons über den Haufen
Die britische Regierung ist alarmiert. Die Delta-Variante des Coronavirus ist deutlich ansteckender als die Mutante, die zuerst in Kent festgestellt wurde - Studien schätzen, dass das Ansteckungsrisiko zwischen 40 und 80 Prozent höher liegt. So droht eine dritte Welle über Großbritannien hereinzubrechen - und das, obwohl das Land ein überaus schnelles Impfprogramm aufgezogen hat. Mehr als 62 Prozent der Bevölkerung haben bereits die erste Dosis erhalten, fast 45 Prozent die zweite. Das Problem: Die Biontech/Pfizer- sind ebenso wie die Oxford/AstraZeneca-Impfungen gegen die Delta-Variante weniger wirksam. Laut einer Studie vom Mai bietet eine einzige Impfung einen Schutz von gerade mal 33 Prozent. Umso wichtiger ist es, so viele Britinnen und Briten so schnell wie möglich mit zwei Dosen zu versorgen, um eine dritte Welle doch noch abzuwenden.
Die Antwort heißt Aufschub
»Jetzt ist es an der Zeit, den Fuß vom Gaspedal zu nehmen«, sagte Premierminister Boris Johnson am Montagabend, als er ankündigte, das für den 21. Juni geplante Ende der Einschränkungen in England um vier Wochen zu verschieben. Der Grund ist die Delta-Variante, die zuerst in Indien entdeckt wurde und sich seit einigen Wochen in Großbritannien schnell ausbreitet: »Die Fälle nehmen pro Woche um rund 64 Prozent zu, und in den am härtesten getroffenen Gebieten verdoppelt sich die Zahl jede Woche«, sagte Johnson. Auch werden seit Anfang Juni immer mehr Patienten mit Covid ins Krankenhaus eingeliefert, der Großteil davon unter 65 Jahre alt.
Wenn man an den Öffnungsplänen festhalte, »könnten Tausende mehr Todesfälle auftreten, die andernfalls hätten verhindert werden können«, sagte Johnson. Mit dem Aufschub soll der Gesundheitsdienst NHS »ein paar entscheidende Wochen erhalten, um jenen, die sie benötigen, die Impfungen zu verabreichen«, sagte der Premierminister am Montag. Derzeit gibt es im Land noch immer rund 1,3 Millionen Menschen über 50 Jahre, die auf ihre zweite Impfung warten. Das Ziel sei es, bis zum 19. Juli rund zwei Drittel der erwachsenen Bevölkerung mit zwei Dosen zu versorgen. Für jene über 40 Jahre wird zudem die Zeitspanne zwischen den zwei Impfungen von zwölf auf acht Wochen reduziert.
Von Tanzen und Singen wird abgeraten
Die derzeit geltenden Einschränkungen werden bis mindestens 19. Juli beibehalten. Das heißt: In Innenräumen dürfen sich maximal sechs Menschen oder Personen aus zwei Haushalten aufhalten, bei öffentlichen Veranstaltungen gelten weiterhin Maßnahmen zum Social Distancing, und die Nachtclubs bleiben zu. Eine Ausnahme gilt für Hochzeiten: Die bislang geltende maximale Teilnehmerzahl von 30 wird aufgehoben - wenn auch vom Tanzen und Singen abgeraten wird.
Johnson gibt sich zuversichtlich, dass diese Maßnahmen ausreichen, um einen weiteren Lockdown zu verhindern. Der medizinische Chefberater der Regierung, Chris Whitty, sagte, dass Covid-19 zwar nicht verschwinden werde - aber er geht davon aus, dass man die Krankheit irgendwann mehr oder weniger im Griff haben wird. Er warnte jedoch auch: »Wir werden mit diesem Virus, der weiterhin schwere Infektionen verursachen und Menschen töten wird, leben müssen - und zwar für den Rest unseres Lebens.«
Eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov zeigt, dass die Regierung bei ihrer Entscheidung auf die breite Unterstützung der Bevölkerung zählen kann: Über 70 Prozent der Befragten sprachen sich für die Verschiebung des letzten Öffnungsschritts aus.
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