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Schäden am Gemüt
JEJA NERVT: Auch wenn Xavier Naidoo in der Berliner Zitadelle keine Bühne kriegen wird - öffentlich reden wird er, da könnt ihr Impfstoff (Naidoo: »Gift«) drauf nehmen
Ich hätte es gerne gesehen, wenn jemand in der laufenden Woche einen Artikel über Xavier Naidoo mit »Er ist wieder da« angeteasert hätte. Das wäre ein schöner Einstieg in den bei niedrigen Inzidenzen anlaufenden Veranstaltungssommer gewesen. Am Mittwoch wurde bekannt, dass Naidoo in der Spandauer Zitadelle in Berlin spielen sollte. Das Haus ist in Hand des Bezirksamtes, gebucht hatte den singenden Verschwörungsschnulli ein Konzertveranstalter. Wir erinnern uns: auch Naidoo hatte unter der globalen Gesundheitskrise schlimme Schäden am Gemüt davon tragen müssen. So waren seine Mitteilungen an die Öffentlichkeit bald nach Auftreten von SARS-CoV-2 noch mal zwei Umdrehungen verrückter als sowieso schon.
Den Widerstand gegen die Skandalisierung durch den Berliner »Tagesspiegel« (»erbärmliche Recherche«) gab der Konzertveranstalter Trinity Music bereits nach einigen Stunden auf. Schon am Abend die Ankündigung: »Wir werden Xavier Naidoo keine Bühne geben!« An den entsprechenden vertragsrechtlichen Regelungen arbeite man nun. Man teile das Weltbild des Künstlers auf keinen Fall, distanziere sich von Antisemitismus, Rassismus und Faschismus. Weltoffenheit, divers, blasülz. Immerhin.
Naidoo hatte sich noch Ende 2019 gerichtlich ausstellen lassen, dass man ihn nicht einen Antisemiten und dies »strukturell nachweisbar« nennen dürfe. Vor dem Kadi beteuerte er, kein Antisemit zu sein, er stehe für »Frieden« und »Liebe«. Im Februar diesen Jahres teilte er in seinem Telegram-Kanal eine PDF mit einer Zusammenfassung der »Protokolle der Weisen von Zion« aus der Feder des NSDAP-Hetzers Alfred Rosenberg. Kommentar: »Ihr sucht die Wahrheit? Hier bekommt ihr sie. Ungefiltert und unzensiert.« Darauf hatte noch am selben Tag Jan Rathje hingewiesen, der für die Amadeu Antonio Stiftung zu Verschwörungsdeologien arbeitet.
Der »Tagesspiegel« hat noch einige weitere einschlägige Äußerungen und holocaustleugnerisches Material aufgeführt, das über Naidoos Kanäle ging. Im April 2020 streamte er einen tränenreichen, minutenlangen Zusammenbruch. Der Grund: eine globale Elite entführe kleine, kleine Kinder und foltere sie. Kürzlich saß er übrigens mit dem Holocaustleugner Nikolai Nehrling, dem ehemaligen Sänger der Neonazi-Hooliganband Kategorie C und einem Reichstagsstürmer auf einem Online-Podium.
Auf diesen ganzen Haufen Mist, den er im vergangenen Jahrzehnt aufgetürmt hatte, dabei natürlich stets von Kritker*innen schrecklich unverstanden und in irgendwelche Ecken gestellt, setzte er noch einen drauf. Der Rückendeckung durch Dreiviertel-Popkultur-Deutschland konnte er sich dabei stets sicher sein. Die Naidoo-Dramaturgie sollte man im Hinterkopf haben, wenn auf Kritik an menschenverachtenden Inhalten vor allem Rumgeopfere und Gegenvorwürfe folgen, nicht aber Offenheit, Zuhören und eine differenzierte Selbstkritik.
Weitere Naidoo-Konzerte sind für Rostock, Halle an der Saale, Kassel, Mannheim, Emmendingen, Mönchengladbach, Salem, Ulm, Regensburg und Füssen (Shoutout!) angekündigt. Doch jedes mal, wenn Kritik an einem Konzert laut wird, werden auch die Gegenvorwürfe laut: Naidoo eine Konzerthalle zu verweigern (Shout-out!) sei ein Verstoß gegen die Rede- und Meinungsfreiheit, heißt es dann. Die Stadt Rosenheim bemühte 2017 zur Verteidigung Naidoos sogar einen Nazi-Vergleich: es sei das erklärte Ziel der Verfassungsväter gewesen, nach der Unterdrückung und Nazi-Barbarei »nie wieder Gesinnungsschnüffelei auf deutschem Boden zuzulassen«. Brudi, chill!
Wenn niemand sein Wohnzimmer für die Rede- und Singfreiheit Xavier Naidoos hergeben muss, muss auch niemand seine Halle dafür hergeben. Meinungs- und Redefreiheit gelten auch für Kritik und Absageforderungen. Öffentlich reden wird der Mann, da könnt ihr Impfstoff (Naidoo: »Gift«) drauf nehmen.
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