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Ziviler Ungehorsam bei Rekordtemperaturen
Der lokale Ableger von Extinction Rebellion blockierte über einen Tag lang Teile von Finnlands Hauptstadt
Der Mannerheimintie ist der zentraler Boulevard Helsinkis - er führt am Nationalmuseum, am Opernhaus und am finnischen Parlament vorbei. Von Donnerstag auf Freitag blockierte Elokapina, der finnische Ableger der Umweltschutzbewegung Extincion Rebellion, mit fast 200 Aktivist*innen die Hauptverkehrsstraße. Die Sitzblockade ging länger als 30 Stunden an und ist in der jüngeren finnischen Geschichte die größte und am längsten andauernde Aktion zivilen Ungehorsams.
Tanzstudentin und Aktivistin Iiris Laisi zeigte sich im Gespräch mit »nd.DerTag« überrascht, dass die Helsinkier Polizei sie so lang unbehelligt ließ: »Die Aktion ist besser gelaufen, als wir es erwartet hatten. Wir hatten nicht gedacht, dass wir hier über Nacht bleiben können, aber das ist ein guter Ort hier vor dem Parlament - wir üben gut Druck aus von hier.« Die Helsinkier Polizei übt sich bei dieser Demonstration von Elokapina in Zurückhaltung, noch im Oktober 2020 hatte sie bei einer ähnlichen Sitzblockade der Organisation Pfefferspray gegen die sitzenden Aktivist*innen eingesetzt und über 50 von ihnen festgenommen.
Die Folgen waren eine Solidaritätswelle mit der Umweltschutzbewegung, Anzeigen gegen Polizeibeamte und ein tagelang andauernder Sturm der Entrüstung. Diesmal sperrte die Polizei zunächst die Straße rund um die Sitzblockade ab und trat in Verhandlungen. Aktionen zivilen Ungehorsams sind in der finnischen Demonstrationskultur relativ neu, ein souveräner Umgang der Behörden längst nicht eingeübt.
Auch die grüne Umweltministerin Krista Mikkonen und zahlreiche Parlamentsabgeordnete besuchten die Blockade und kamen ins Gespräch mit den Aktivist*nnen. Mikkonen versprach auf Twitter die Anliegen von Elokapina mit in die nächste Regierungssitzung mitzunehmen und insbesondere bei den Etatverhandlungen der Mitte-Links Koalition im Herbst zu beachten.
Die finnischen Klimaziele gehören bereits zu den ambitioniertesten der europäischen Staaten. Der Kohlenstoffdioxidhaushalt soll schon im Jahr 2035 neutral sein. Die EU selbst hat das Ziel, bis 2050 klimaneutral zu sein. Noch in der letzten Woche wurde Finnland im Nachhaltigkeitsbericht der Bertelsmann Stiftung und des Sustainable Development Solutions Network Bestnoten erteilt. Doch obwohl Finnland weltweit führend in der Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele ist, sieht der Bericht die Klimaneutralität als größte Herausforderung des Landes.
Für die 22-jährige Elokapina-Aktivistin Iiris Laisi reicht das Tempo nicht aus: »Die finnische Regierung arbeitet nicht schnell genug. Das ist Zeitverschwendung - die Klimakrise ist jetzt schon da. Wir brauchen Klimaneutralität bis 2025 und Marins Regierung muss den Klimanotstand ausrufen.«
Auch die Beteiligung des finnischen Energieriesen Fortum über seinen deutschen Ableger Uniper an der Inbetriebnahme des Steinkohlekraftwerks Datteln IV wird kritisiert. Fortums Hauptaktionär ist der finnische Staat, der rund 50,8 Prozent der Anteile hält. Die momentane Hitzewelle erreichte am Wochenende auch den hohen Norden und sorgte für neue Temperaturrekorde im Juni. Die warme Nacht in den Zelten vor dem Parlament zeigt sich in den euphorisierten, aber müden Gesichtern. Die 34-jährige Frühpädagogin und Umweltaktivistin Upo Lautunen wirkt ein wenig übernächtigt: »Nein, ich habe hier schon gut geschlafen, aber unsere Aktionen sind antiautoritär und demokratisch und wir stimmen sehr viel ab. Ich habe gerade eine sehr lange Abstimmung moderiert.«
Am Freitagabend hatte das Aktionsplenum entschieden, dem Bitten der Polizei nach einer Ortsverlegung der Demonstration zuzustimmen. Nach über 30 Stunden bewegten sich Elokapina vom zentralen Mannerheimintie auf eine kleinere, weniger befahrene Straße unweit des Doms von Helsinki, die Blockade bekam einen Festivalcharakter. Im klassizistischen Zentrum Helsinkis schulten die Umweltaktivist*nnen aber auch Neumitglieder in ihren Aktionsformen. Die Organisation kündigte weitere Aktionen in der kommenden Woche an.
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