Mein Kopf sagt Autobahn

Spaß und Verantwortung

  • Olga Hohmann
  • Lesedauer: 4 Min.

Vor ein paar Jahren wollte ich unbedingt so schnell wie möglich das Land verlassen. »Für immer«, dachte ich. Um das auf familiär anerkannte Weise tun zu können, musste ich mich für ein Masterstudium im Ausland bewerben. Dafür war das Bestehen eines Englischtests notwendig - des so genannten TOEFL-Tests (gesprochen: Töffel).

Mein Englisch war damals nicht besonders gut - unter anderem deshalb, weil ich in einem »neuen Bundesland« zur Schule gegangen war. Alle meine Sprachlehrerinnen waren ursprünglich Russischlehrerinnen gewesen, die nach der »Wende« hatten umschulen müssen. »Sechs Wochen Sprachkurs an der südenglischen Küste« hatte meine Englischlehrerin uns erzählt - und seitdem unterrichtete sie die Weltsprache.

Meine Englischlehrerin Frau N. ist mir bis heute sympathisch: Sie hatte zum Beispiel eine heftige Obsession für Barack Obama, sodass die gesamten Wände des Klassenraumes mit Porträts des Politikers vollgeklebt waren. Ihre Lieblingsthemen, die wir in einer Debattierclub-artigen Struktur diskutierten, waren »Teenage Pregnancy« und »Binge Drinking«. Vor allem letzteres beschäftigt mich bis heute. Frau N. hatte auch eine gewisse Street Smartness, die sie, in ihren Sternstunden, zitierwürdige Sätze hervorbringen ließ: »I hate sexism, women are better!«

Da meine Sprachkenntnisse also bei »Teenage Pregnancy« und »Binge Drinking« stehengeblieben waren, war es nicht einfach für mich, jenen Töffel-Test zu bestehen. Schnell stellte sich jedoch heraus, dass Sprachkenntnisse für das Bestehen jenes Testes komplett unnötig sind. Stattdessen musste man die Struktur der Prüfung selbst verstehen lernen. Für diese Aufgabe hatte ich eine Art gut bezahlten Nachhilfelehrer: Max (gesprochen: Mäx).

Max war Australier, sah einschüchternd gut aus und hatte Fashion studiert - was mich, sein Erscheinungsbild kennend, nicht überraschte. Wir hatten nicht viel Zeit für Small Talk, denn ich war daran interessiert, dass sich das Geld, das er an mir verdiente, auch lohnte - die einzig »private« Sache, die ich ihm dennoch entlockte, war, dass er einmal eine Maxi-Packung Shrimps aufgegessen hatte. Seitdem ekelte er sich vor ihnen. Garnelen, sagte er, könne man nur gut dosiert essen - man müsse immer das Gefühl haben, man hätte noch ein- oder zwei Shrimps zu wenig auf dem Teller, dann sei es die richtige Portionsgröße.

Der Töffel-Test hatte verschiedene Teile - »Reading«, »Listening«, »Speaking« und »Written Expression«, was man als »selbstständiges Schreiben« übersetzen konnte. Natürlich handelte es sich bei jener »Selbstständigkeit« nicht um eine solche. Überhaupt ging es hauptsächlich um Schnelligkeit. Max coachte mich darin, einen generischen Text zu schreiben, der aus vorformulierten Phrasen bestand, die man jedem möglichen Thema zuordnen konnte. Er brachte mir auch bei, Informationen zu filtern - und machte mich mit den üblichen, ins System eingebauten Fallen und Tricks vertraut.

Dank Mäx schnitt ich am Ende mit einer für mein eigentliches Niveau erstaunlich hohen Punktzahl ab - sie befand sich genau an der unteren Grenze des Spektrums, das man erreichen musste, um in einem normalen Masterprogramm zu studieren. Für eine Ivy-League-Uni hätte man wesentlich höher liegen müssen. Was meinen Punktestand negativ beeinflusst hatte, war der »Speaking«-Teil gewesen. Etwa in der Mitte des gut dreistündigen Testes nämlich musste ich ein lautes Gespräch mit dem Computer führen (mit dem ich ja ohnehin schon schriftlich im Gespräch war).

In der ersten Frage, die der alte graue Computer mir stellte, ging es darum, eine Errungenschaft aus dem eigenen »Heimatland« genauer zu beschreiben. Man hatte 15 Sekunden Zeit, dann musste man aus dem Stegreif ein kurzes Referat halten. Und das einzige Wort, das meinen Kopf intuitiv besetzt hielt, war »Autobahn«. Trotzdem ich wusste, dass der PC nicht meine politische Gesinnung bewerten würde, brachte ich es einfach nicht über mich, das Wort auszusprechen. Mir fiel aber auch keine andere »Errungenschaft meines Heimatlandes« ein. Alles, was mein Hirn mir minutenlang sagte, war: Autobahn.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.