- Kultur
- Krieg gegen die Sowjetunion 1941 -1945
»Der Kommunist ist kein Kamerad«
Hannes Heer und Christian Streit über ein deutsches Elitenprojekt: den Vernichtungskrieg im Osten
Lange bevor Truppen des faschistischen Deutschland wort-brüchig am 22. Juni 1941 die Grenzflüsse Bug und Njemen überschritten, war den Naziführern, der Wehrmacht und dem Großkapital klar, was sie wollten. Es ging nicht um einen Präventivschlag, um einem Angriff der Sowjetunion zuvorzukommen, nicht um einen »normalen« Krieg zur Eroberung von Territorien, Menschen und Rohstoffen. Sie wollten die vollständige Niederwerfung des politischen Erzfeindes im Osten und »Lebensraum« für deutsche Wehrbauern, Großagrarier und vor allem für die deutsche Wirtschaft erobern. Hitler hatte dies bereits in seinem programmatischen Pamphlet »Mein Kampf« offenbart. In deutschen Militärs und Wirtschaftsführern fand er jene interessierten Partner, die ihn 1933 gegen die linke Gefahr in Deutschland und den sozialistischen Staat im Osten an die Macht brachten.
Im März 1941, nach den erfolgreichen Feldzügen im Westen und knapp vier Monate nachdem Hitler die Ausarbeitung des Angriffsplans gegen die Sowjetunion befahl, das »Unternehmen Barbarossa«, sprach er vor seiner Generalität vom »Kampf zweier Weltanschauungen gegeneinander. Vernichtendes Urteil über Bolschewismus, ist gleich asoziales Verbrechertum. Kommunismus ungeheure Gefahr für die Zukunft. Wir müssen von dem Standpunkt des soldatischen Kameradentums abrücken. Der Kommunist ist vorher kein Kamerad und nachher kein Kamerad. Es handelt sich um einen Vernichtungskampf. Wenn wir es nicht so auffassen, dann werden wir zwar den Feind schlagen, aber in 30 Jahren wird uns wieder der kommunistische Feind gegenüberstehen. Wir führen nicht Krieg, um den Feind zu konservieren.« Das war nicht nur ein Kriegsplan, das war ein Vernichtungsplan!
Dieses Dokument ist zentral in einer Sammlung von weiteren 19 Reden, Weisungen und Protokollen, ergänzt um bemerkenswerte Fotodokumente, aber auch um entlarvende Auszüge aus Feldpostbriefen einfacher Soldaten sowie von NS-Funktionsträgern. Hannes Heer, Kurator der legendären, einst heftig attackierten Wehrmachtausstellung der 90er Jahre, und Christian Streit, ausgewiesener Kenner der faschistischen Terrorpolitik, zeichnen für dieses Buch verantwortlich. Sie greifen unmittelbar in aktuelle Dispute um Vergangenheitsbewältigung sowie den aktuellen Umgang mit Russland und anderen Nachfolgestaaten der Sowjetunion ein. Sie wollen verhindern, dass der brutale Vernichtungskrieg im Osten, die deutschen Verbrechen in Polen und der Sowjetunion in Vergessenheit geraten. Sechs Millionen Juden, eine halbe Million Sinti und Roma, drei Millionen Polen und zwei Millionen Jugoslawen wurden im Zweiten Weltkrieg ermordet.
Vor allem aber hält ihr Buch die Erinnerung an 27 Millionen ermordete, tote, gefallene, verhungerte Sowjetbürger wach. Vier zentrale Aufsätze behandeln den »Massenmord nach Plan«, das Anfangsverbrechen der Wehrmacht im Holocaust, den »Hungerplan« gegen die Sowjetvölker, »um sich im Osten gesundzustoßen«, sowie das Schicksal sowjetischer Kriegsgefangener.
Herausgeber und Autoren machen deutlich, dass es sich nicht um die Folgen eines außer Kontrolle geratenen Kriegs handelte, sondern um einen planmäßigen, von der faschistischen Führung, von Hitler, Himmler und Göring, aber ebenso von der Wehrmachtsgeneralität geplanten Eroberungs- und Vernichtungsfeldzug. Sie erinnern an den »Kommissarbefehl«, der die Ausrottung der politischen Führungskräfte in der Roten Armee anordnete. Sie erinnern an den Krieg gegen die Zivilbevölkerung, darunter das Aushungern Leningrads während der 900 Tage Blockade mit 1,1 Millionen Opfern. Und an das von der Wehrmacht billigend in Kauf genommene Sterben von 3,3 Millionen Kriegsgefangenen in deutschen Lagern. Im Protokoll einer Staatssekretärsbesprechung vom 2. Mai 1941 ist zu lesen: »Der Krieg ist nur weiter zu führen, wenn die gesamte Wehrmacht im 3. Kriegsjahr aus Russland ernährt wird. Hierbei werden zweifellos zig Millionen Menschen verhungern, wenn von uns das für uns Notwendige aus dem Lande herausgeholt wird.«
Es sind zwei Aspekte, die den Rezensenten jedoch etwas irritieren: Die Verantwortung der deutschen Unternehmen, ihr handfestes Interesse am eroberten »Lebensraum« bleiben nur allgemein, nicht konkret benannt. Der »Generalplan Ost« wird erwähnt, aber durchaus divergierende Interessen der Wirtschaft und der rassenideologisch argumentierenden SS über die wirtschaftliche Verwertung des eroberten Landes und der zu versklavenden Bevölkerung erscheinen hier unterbelichtet. Auf der Basis vorliegender Forschungsergebnisse wären hierzu ausführlichere Darlegungen wünschenswert gewesen. Stärker müsste auch die zentrale Rolle des Holocaust, der Ermordung der Juden in der Sowjetunion, hinterfragt werden. Dann stieße der aufmerksame Leser nämlich schnell auf den untrennbaren Zusammenhang zwischen der Denunzierung der Juden als »bolschewistische« Propagandisten und dem Hass auf Kommunisten und gegen Slawen generell, ob Polen oder Sowjetbürger, die nach NS-Ideologie allesamt zu »eliminieren« seien.
Frank Heidenreich und Lothar Wentzel, Gewerkschaftssekretäre und in der politischen Bildung engagiert, ergänzen Heers Polemik gegen die Verleumdungen und Verfälschungen der Wehrmachtausstellung vor zwei Jahrzehnten, mit denen versucht wurde, den Mythos von der angeblich sauberen Wehrmacht zu verteidigen.
Die Herausgeber resümieren knapp die Vergangenheitspolitik der alten Bundesrepublik, die sich generell schwertat (teils heute noch), die Rolle der Wehrmacht in diesem Vernichtungskrieg und die Verantwortung für die Morde in der Sowjetunion zu akzeptieren. »Aus diesem Befund und historischer Erfahrung ergibt sich für die Gewerkschaften die geradezu fundamentale Notwendigkeit, in ihren Organisationen und in den Betrieben rechtsextremen Einstellungen entgegenzuarbeiten. Die Gewerkschaften in Deutschland verdanken der Befreiung vom Faschismus 1945 die Wiedergewinnung ihrer legalen Existenz und ihre von Repression weitgehend freie Betätigung. Ohne Demokratie keine freien Gewerkschaften.« Eine Forderung nicht nur an Gewerkschafter.
Hannes Heer/Christian Streit: Vernichtungskrieg im Osten. Judenmord, Kriegsgefangene und Hungerpolitik. VSA, 240 S., br., 19,80 €.
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