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Das Dilemma von Greenpeace
Warum gibt es einen öffentlichen Aufschrei wegen eines schief gelaufenen Klimaprotests von Greenpeace und nicht wegen anhaltender Umweltzerstörung?
Am 15. Juni hatte Greenpeace Großes vor: Anlässlich des EM-Spiels Deutschland gegen Frankreich planten sie eine Aktion gegen den Turniersponsor Volkswagen. Der Pilot sollte über dem Stadion schweben und einen Ball mit der Aufschrift »Kick-out Oil!« auf die Spielfläche fallen lassen. Gemeint war die Forderung nach einem VW-Abschied von Verbrennermotoren. Eine ganz normale Aktion für eine Umwelt-NGO wie Greenpeace.
Nur lief sie nicht nach Plan. Nachdem der Motor kurz ausgefallen war, geriet der Pilot in die Dachkonstruktion und musste mitten im Stadion notlanden. Dabei streifte er zwei Menschen am Kopf und verletzte sie.
Die Uefa, der DFB und zahlreiche CDU-Politiker stürzten sich sofort auf den Vorfall. Als rücksichtslos und gefährlich bezeichnete die Uefa diesen. »Wir verurteilen die Aktion«, sagte ein DFB-Sprecher. Friedrich Merz (CDU) forderte, die Gemeinnützigkeit von Greenpeace zu untersuchen. Auch viele Medien berichteten kritisch. Vielen Artikeln konnte man nicht einmal das Anliegen der Aktion entnehmen, so sehr dominierte die Empörung über den Unfall.
Während es verständlich und wichtig ist, bei Aktionen sicherzugehen, dass niemand verletzt wird, lohnt sich dennoch ein näherer Blick auf die Reaktionen. Denn obwohl sehr schnell klar wurde, dass es nicht die Absicht von Greenpeace war, bei Menschen zu verletzen, interessierte das die Herrschaften von Uefa, DFB und der CDU herzlich wenig. Warum auch? Die missglückte Aktion war eine ideale Vorlage, um endlich mal den Schuld-Ball zurück an die Umweltaktivist*innen zu spielen. Und um ja kein Eigentor zu schießen, ergibt es natürlich wenig Sinn, öffentlich zum Anlass der Greenpeace-Aktion Stellung zu beziehen und die Kritik zu würdigen. In dieser Weise reagiert der VW-Konzern schon seit geraumer Zeit auf Proteste.
Dass man sich auf deren Form und nicht auf das Anliegen konzentriert, ist eine Strategie, mit der die inhaltliche Schlagkraft der Klimabewegung geschwächt werden soll. Hätte Greenpeace eine legale Demonstration vor dem Stadion gemacht, würde niemand darüber reden. Übertritt die Aktionsform gesellschaftliche Normen oder gar Gesetze, wird sie schnell als zu radikal wahrgenommen - wie bei jener Greenpeace-Aktion. Wie soll die Klimabewegung mit diesem Dilemma umgehen? In einer Zeit, in der die andauernde Klimakrise nach wie vor ignoriert wird, müssen Aktivist*innen auf unkonventionelle Strategien zurückgreifen, um Aufmerksamkeit zu generieren.
Von diesem Dilemma können auch Aktivist*innen von Fridays for Future ein Lied singen. Sie wollen Aufmerksamkeit für die gesellschaftliche Krise, in die die Menschheit wegen des Klimawandels stürzen könnte. Die Bewegung wählte den Schulstreik. Was letztlich gesellschaftliche Empörung hervorrief, war nicht die Tatenlosigkeit der Regierenden, sondern dass junge Menschen freitags die Schule schwänzten. Auch Aktivist*innen im Hambacher oder Dannenröder Forst mussten diese Erfahrung machen. Für viele Protestgegner*innen war es ein Leichtes, die Proteste auf ihre Form zu reduzieren und ihr Anliegen auszublenden.
Die Frage ist, warum es überhaupt Aktionen braucht, um auf die Missstände in der Klimapolitik hinzuweisen. Wie kann es sein, dass sich VW und die CDU bei einer Aktion gegen ihre Tatenlosigkeit nicht in der Verantwortung sehen, nur weil die Aktion anders gelaufen ist als geplant? Wie kann es sein, dass es einen Aufschrei wegen der Notlandung gibt, aber nicht, weil die Emissionen im Verkehrssektor seit 1990 nicht abgenommen haben und VW trotzdem weitermachen darf wie bisher? Wie kann es sein, dass die CDU ein Wahlprogramm veröffentlicht, das nicht mit dem 1,5-Grad-Ziel in Einklang steht?
Das sind relevante Fragen. Konzerne wie VW werden wohl nie den inneren Antrieb haben, ihre Produktion zu überdenken - warum auch, wenn sie so viel Geld damit verdienen? Aktivist*innen können nicht von ihnen erwarten, dass sie auf Aktionen wie die von Greenpeace reagieren. Was von der Gesellschaft jedoch beeinflusst werden kann: wann und ob es einen öffentlichen Aufschrei gibt. Wenn Greenpeace eine Notlandung hinlegt oder wenn sich die Doppelmoral von Regierenden oder Autokonzernen offenbart? Das liegt an uns.
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