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Was ist ein Teilchen?
Spätestens mit der Entdeckung des Welle-Teilchen-Dualismus der Quantenphysik geriet ein Grundbegriff der klassischen Physik ins Wanken. Bis heute sind Physiker unsicher und vertreten verschiedenste Ansätze zu einer Definition
In der Alltagssprache bezeichnet ein »Teilchen« viele Dinge, von kleinen Gegenständen bis zu süßen Backwaren. In der Physik hingegen könnte man eine klare Definition erwarten, ist ihnen mit der Teilchenphysik doch ein ganzes Spezialgebiet gewidmet. Doch gibt es nicht die eine Definition, und je nach Fachgebiet rückt mal die eine, mal die andere Eigenschaft der Teilchen stärker in den Fokus.
In seiner allgemeinsten Definition ist ein Teilchen ein Objekt, das klein im Vergleich zum betrachteten Maßstab ist. Dieser Definition wird auch das Quark-Teilchen in der Bäckerei gerecht. Ein Beispiel der Physik ist die Punktmechanik, die auf Isaac Newton zurückgeht. Ihm gelang es im 17. Jahrhundert, das Gravitationsgesetz aus der Bewegung von Planeten um die Sonne herzuleiten, indem er die Himmelskörper auf schwere, punktförmige Objekte reduzierte.
Punktförmige, massive Objekte
Doch in den meisten Fällen verstehen Physiker unter dem Begriff »Teilchen« etwas anderes: die kleinsten Bausteine unserer Welt. Bereits etwa 400 v. u. Z. postulierte der antike Philosoph Demokrit, die Welt bestehe aus verschiedenen festen und unteilbaren Einheiten. Er nannte sie Atome, vom altgriechischen Begriff für »unteilbar«. Nach seiner Vorstellung träten Atome in unterschiedlichen Größen und Formen auf, wie Würfel, Zylinder oder Kugeln, und bestimmten, wie wir Objekte wahrnehmen.
Noch bis ins 20. Jahrhundert hinein war die Existenz von Atomen umstritten. Erst 1905 lieferte Albert Einstein den entscheidenden Beitrag, als er die bislang unverstandene ruckartige Bewegung kleinster Partikel in Flüssigkeiten und Gasen, bekannt als Brownsche Bewegung, mithilfe zusammenstoßender Atome erklärte. Sechs Jahre später konnte Ernest Rutherford das Bild vom Atom präzisieren. Aus seinen berühmten Experimenten, in denen er eine hauchdünne Goldfolie mit Alphastrahlung beschoss, schlussfolgerte er, dass Atome aus einem winzigen, positiv geladenen Kern bestehen, um den negativ geladene Elektronen kreisen. Während der Atomkern weiter zerlegt werden kann, war das Elektron das erste fundamentale Teilchen, das je entdeckt wurde. Daraus ergibt sich die präzisere Definition von Teilchen als punktförmige, unteilbare und massive Objekte. Heute sind viele weitere dieser Art bekannt und werden unter dem Begriff »Elementarteilchen« zusammengefasst. Die Idee der Punktförmigkeit beruht darauf, dass kein Experiment bisher in der Lage war, eine räumliche Ausdehnung der Elementarteilchen festzustellen. Doch »was ist ein Objekt, das keine Ausdehnung hat?«, fragt sich Hermann Kolanoski, experimenteller Teilchenphysiker an der Humboldt-Universität zu Berlin. Eine Frage, die Physikern bis heute Kopfzerbrechen bereitet.
Kollabierte Wellenfunktionen
Anfang des 20. Jahrhunderts entwickelte sich eine neue physikalische Theorie, die an den Grundpfeilern der Physik und insbesondere am klassischen Teilchenbild rüttelte: die Quantenmechanik. Auf die Spitze trieb es ein Experiment, das Clinton Davisson und Lester Germer im Jahre 1927 durchführten. Als sie einen Elektronenstrahl auf einen Kristall richteten, beobachteten sie ein Interferenzmuster, wie es typisch für Wellen ist. In anderen Experimenten verhielten sich Elektronen jedoch wie harte Kugeln. Aus diesem und anderen Experimenten zogen Physiker den Schluss, dass die Unterteilung von Objekten in »Wellen« und »Teilchen« nicht länger möglich ist. Diese Erkenntnis trägt den Namen Welle-Teilchen-Dualismus und ist ein Grundpfeiler der Quantenmechanik.
Die Quantenmechanik beschreibt Objekte als abstrakte Wellenfunktionen, die lediglich deren Aufenthaltswahrscheinlichkeit im Raum widerspiegelt. Somit bewegen sich Elektronen nicht, wie zuvor angenommen, auf festen Bahnen um den Atomkern. Vielmehr sind sie wie Wolken um ihn verschmiert und halten sich nur noch mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit an einem Ort auf. Auf die scheinbar banale Frage »Was ist ein Teilchen?« gibt es keine simple Antwort mehr.
Doch die Lösung offenbart sich (wortwörtlich) beim genauen Hinsehen. Denn auch wenn die abstrakte Wellenfunktion eines Quantenobjekts zuvor verschmiert war, so wissen wir doch genau, wo es sich befindet, sobald ein Detektor klickt. »Als Experimentalphysiker sehe ich sehr unmittelbar, dass Teilchen real sind, weil ich ihre Spuren in meinem Detektor sichtbar machen kann«, erzählt Kolanoski. Nach der Messung reduziert sich die Wellenfunktion auf einen sehr kleinen Raumbereich und ein Teilchen »manifestiert« sich, was Physiker den Kollaps der Wellenfunktion nennen.
Der Welle-Teilchen-Dualismus gilt nicht nur für Objekte wie Elektronen, sondern lässt sich auch andersherum verstehen. Licht ist in der klassischen Physik eine elektromagnetische Welle. Aber bevor sich die Wellentheorie im 19. Jahrhundert durchsetzte, war Licht der Menschheit lange Zeit ein Rätsel und wurde in diversen Theorien beschrieben: als Wellen, Teilchen, oder gar Sehstrahlen, die von den Augen ausgingen.
Anregungen von Quantenfeldern
Bereits 1905 wurde auch die Wellentheorie erneut angefochten, als es Albert Einstein gelang, den photoelektrischen Effekt mithilfe eines Teilchenmodells des Lichts zu erklären. Der Photoeffekt beschreibt das Herauslösen von Elektronen aus einer Metalloberfläche, wenn Licht einer bestimmten Frequenz darauf fällt. Die Beobachtung ließ sich mit der Wellentheorie des Lichts nicht erklären. Stattdessen postulierte Einstein, dass Licht aus Energiepaketen bestünde, deren Energie proportional zur Frequenz sei. Nur wenn die Energie der Pakete groß genug ist, können sie Elektronen aus der Oberfläche lösen. Ein Durchbruch, wie sich herausstellte: Die Lichtteilchen erhielten den Namen Photonen und leiteten das Quantenzeitalter ein.
Später fanden Forscher heraus, dass die zwei Gestalten des Lichts - Photonen und elektromagnetische Wellen - nur zwei Seiten der gleichen Medaille sind. Elektromagnetische Wellen sind Schwingungen des elektromagnetischen Feldes. Dieses Feld konnten Forscher »quantisieren«, indem sie es nur in festen Stufen schwingen ließen. Ein Photon ist dann lediglich eine Anregung - eine »Stufe« - des elektromagnetischen Feldes. In diesem Kontext fungiert das Photon auch als Austauschteilchen der elektromagnetischen Wechselwirkung. Diese Vereinheitlichung der Quantenmechanik mit der klassischen Feldtheorie wird Quantenfeldtheorie genannt und lässt sich auf die meisten bekannten Felder und Teilchen anwenden. Sie erlaubt, drei der vier physikalischen Grundkräfte mit ihren jeweiligen Austauschteilchen zu verknüpfen: die elektromagnetische, starke und schwache Wechselwirkung; die letzteren beiden spielen vor allem innerhalb des Atomkerns eine Rolle. Lediglich für die Gravitation ist die Vereinheitlichung noch nicht gelungen.
Eine Ansammlung von Eigenschaften
Zusammenfassend können alle Elementarteilchen in zwei Klassen eingeteilt werden: Austausch- und Materieteilchen. Zu Letzteren gehört das Elektron sowie seine schwereren Brüder Myon und Tauon, zudem die masselosen Neutrinos. Neutronen und Protonen, die den Atomkern bilden, sind wiederum aus kleineren Teilchen zusammengesetzt, den sogenannten Quarks. Beide Klassen sind im Standardmodell der Teilchenphysik in ähnlicher Form wie die Elemente im Periodensystem der Chemie zusammengefasst.
Alle Elemente dieses »Teilchenzoos« haben bestimmte Eigenschaften. »Manche dieser Eigenschaften sind unveränderlich und daher charakteristisch für das Teilchen, wie die Werte der Ladungen, des Spins und der Ruhemasse. Andere, wie Energie und Impuls, können verändert werden«, erklärt Michael Kobel, Teilchenphysiker an der TU Dresden und Leiter des Netzwerks Teilchenwelt. Das Netzwerk möchte Jugendlichen Einblicke in die (Astro-)Teilchenphysik vermitteln und Neugier an Grundlagenforschung wecken. In der Physik sind unveränderliche Eigenschaften von Objekten eng mit deren Symmetrien verknüpft. Wenn sich ein Objekt zum Beispiel mit der Zeit nicht verändert - also symmetrisch bezüglich der Zeit ist -, muss seine Energie erhalten bleiben. Dies ist lediglich eine andere Formulierung des bekannten Energieerhaltungssatzes. Die unveränderlichen, fundamentalen Eigenschaften von Teilchen, wie z.B. ihre Ladung, lassen sich auf andere, abstraktere Symmetrien zurückführen. Insgesamt lässt sich ein Teilchen dann durch die Gesamtheit seiner Symmetrien und fundamentalen Eigenschaften charakterisieren, und nicht länger durch seine Gestalt. »Ein Teilchen ist eine nicht in Unterstrukturen zerlegbare lokalisierte Ansammlung von Eigenschaften,« fasst Kobel zusammen.
Symmetrien sind so stark in der Physik verankert, dass dank ihrer neue Phänomene oder Teilchen vorhergesagt werden können. Aus der Verletzung einer Symmetrie schlossen Physiker auf die Existenz des Higgs-Bosons. Mit dessen experimentellem Nachweis war ein relevantes Puzzlestück des Standardmodells gefunden. Doch noch immer lässt das Standardmodell viele Fragen offen. Kolanoski glaubt, »dass alles das, was wir bisher über Teilchen wissen, nicht die letzte Wahrheit ist. Was Demokrit als Atom bezeichnete, war letztendlich teilbar. Ist das, was wir heute als unteilbar ansehen, auf einer viel kleineren Skala vielleicht doch wieder teilbar?« Selbst die scheinbar einfache Frage, was ein Teilchen sei, entpuppt sich als Herausforderung. Kolanoskis ehrliche Antwort lautet: »Obwohl ich mich seit mehr als 50 Jahren sehr intensiv mit Teilchen beschäftige, komme ich zu dem ernüchternden Schluss, dass ich eigentlich nicht weiß, was sie sind.«
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