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- Breitscheidplatz-Untersuchungsausschuss
Der Elefant im Raum
An der Praxis der Untersuchungsausschüsse muss sich dringend etwas ändern, meint Daniel Lücking.
Es mag zynisch wirken, die Arbeit der Untersuchungsausschüsse von vornherein als aussichtslos anzusehen, doch im Kern ist es ein offenes Geheimnis, was Parlamentarier*innen in jedem neuen Ausschuss erst mühsam lernen müssen. Mit den Stimmen der Regierungsparteien ist zu oft gesetzt, wie die Arbeit im Untersuchungsausschuss abläuft. Dass das Mehrheitsprinzip an dieser Stelle zum Tragen kommt, lähmt die Ermittlungsarbeit. Besonders problematisch ist es, wenn Straftaten aufzuklären sind, bei denen Menschen getötet wurden. Eigentlich arbeiten Untersuchungsausschüsse wie in einem Strafprozess und sollen ermitteln. Doch Richter*innen achten darauf, dass sie nicht befangen sind, und müssen das immer wieder unter Beweis stellen.
Die Langzeitbeobachter*innen der Ausschüsse erkennen bald, wo und wie die Regierungsparteien im Sinne der Behörden verschleppen und verhindern. So wurde beispielsweise im Breitscheidplatz-Ausschuss eine Reihe von Zeug*innen eingeladen und angehört, für die der Auftritt im Bundestag bereits der dritte Untersuchungsausschuss zum Thema Anis Amri war. Es ist dem Publikum wie auch den Zeug*innen schwer zu vermitteln, dass eher belanglose Aussagen nicht per Akteneinsicht einfließen. Auf die Spitze trieb es ein genervter Staatsanwalt, der sich in Massenverfahren mit Fahrraddiebstählen befasst und dessen Unterschrift unter einer Formalie zu finden war, die mit Anis Amri in Verbindung stand. Er sagte nach Nordrhein-Westfalen und Berlin nun im dritten Untersuchungsausschuss mit dem erwartbar belanglosen Endergebnis aus. So unterhaltsam das juristische Proseminar war, das der Staatsanwalt abhielt, so sehr diskreditierte es die Aufklärungsarbeit. Das Publikum lernte zweierlei Dinge. Zunächst, dass es auf die Bewegung der Tretkurbel eines Fahrrades ankommt, wenn zu entscheiden ist, ob ein Diebstahl und damit eine strafbare Gebrauchsanmaßung vorliegt. Amri konnte letztlich die Tretkurbelbewegung nicht nachgewiesen werden. Das Verfahren war einzustellen.Die andere Lehre: Offensichtlich ging es den Regierungsparteien darum, möglichst viel Zeit verstreichen und möglichst wenig Inhalt dabei bearbeiten zu lassen. Wenn Parlamentarier*innen der Regierungsfraktionen bei wesentlichen Punkten immer wieder sehr »behördenfreundlich« wenig Kritik äußern, Rechtfertigungen für Fehlverhalten suchen oder wesentliche Fragen nicht stellen, dann ist der schmale Grat der Befangenheit offenkundig. So gab es einzelne Ausschussmitglieder der Regierungsparteien, die darüber feixten, dass es der Opposition nicht gelungen war, V-Mann-Führer und Spitzel selbst vernehmen zu dürfen. Wäre es nach FDP, Grünen und Linken gegangen, so hätte es – wenn auch unter Ausschluss der Öffentlichkeit – intensive Vernehmungen von V-Leuten und ihren sogenannten Führern gegeben. Doch damit wollten die Angehörigen der Regierungsparteien nichts zu tun haben, ließen es auf eine Klage ankommen und duldeten anschließend, dass die Regierung durchaus entscheiden könne, die Akten freizugeben, es aber nicht müsse. Wer glaubt da noch an die von denselben Regierungsvertretern erwähnten sorgenvollen und schlaflosen Nächte während der Ermittlungsarbeit?
Demonstrative Arglosigkeit gab es auch an anderen Stellen zuhauf. Der Verfassungsschutz liefert drei Jahre nach Beginn des Ausschusses doch noch größere Mengen an Akten. Absichtlich zurückgehalten? Geht es nach der SPD-Fraktion, dann ist das nur ein Fehler, der passieren kann und nicht etwa Absicht der Behörden. Schon früh entpuppte sich die vom Innenministerium in den Ausschuss entsandte Vertreterin als befangen. Ihre vorherige Tätigkeit beim Verfassungsschutz und nah am Themenbereich Amri hatte sie irgendwie nicht erwähnt, dafür aber viel interveniert, wenn sich das Sitzungsgeschehen kritisch entwickelte. Zu den Erfolgen, die trotz der schwankenden Ambitionen der Regierungsparteien im Breitscheidplatz-Untersuchungsausschuss zu verzeichnen waren, zählt der erneute Beleg, dass der Verfassungsschutz täuschte, um eigene Fehler zu kaschieren. Die Konsequenz daraus war in dieser Legislaturperiode dann aber leider die Ausweitung der Überwachungsbefugnisse.
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