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Aus der Tiefe des Traumes
Joachim Löw will mit aller Macht siegen, auch gegen seine Kritiker. Aber die Schatten des Erfolgs sind lang
Der letzte Eindruck soll ja bekanntlich der bleibende sein. Insofern darf sich Joachim Löw glücklich schätzen, dass ihm Leon Goretzka mit seinem späten Ausgleichstreffer im letzten Gruppenspiel gegen die Ungarn mindestens noch einen weiteren Auftritt als Bundestrainer beschert hat. Und was für einen: An diesem Dienstag geht es im Achtelfinale dieser Europameisterschaft gegen England, im Wembley-Stadion.
Die Kritik an Löw nach dem zähen Ringen seiner Mannschaft gegen die Magyaren war hart. Und berechtigt. Denn dieses Spiel zeigte mal wieder den Fußballlehrer, den viele seit dem Aufstieg in den Trainerolymp im Jahr 2014 als unbelehrbar beschreiben. Wieder ganz Weltmeistertrainer, hatte er das drohende Debakel gar selbst angekündigt. »Ich habe nicht so sehr gegrübelt«, sagte er nach dem 4:2-Erfolg im zweiten Gruppenspiel gegen Portugal selbstsicher über seine siegbringenden Gedankenspiele zur Aufstellung gegen den amtierenden Europameister. Vor der Partie gegen die Ungarn hätte sich Löw vielleicht etwas mehr Zeit nehmen sollen.
Es gibt immer mal wieder Spiele, in denen es nicht nach Wunsch und Plan läuft. Aber: Es war schon sehr erstaunlich, wie der Bundestrainer seine Spieler gegen die Ungarn ins Verderben rennen ließ. Selbst nach einer lehrreichen ersten Halbzeit, deren Ergebnis von 0:1 wie schon bei der WM 2018 zu einem erneuten Vorrundenaus geführt hätte, verließ Löw seine Linie nicht. Fast hätte er sich damit selbst geschlagen. Der Gegner ist daran nur knapp gescheitert, dabei hätte der Bundestrainer wissen müssen, was ihn und seine Mannschaft erwartet. Beim Remis gegen Weltmeister Frankreich hatten die lauf- und abwehrstarken sowie leidenschaftlich kämpfenden Ungarn gezeigt, wie sie die Stärken des Gegners entkräften.
Nun ist nicht alles so schlecht, wie es der letzte Eindruck vermitteln könnte. Das deutsche Auftaktspiel bei dieser EM gegen Frankreich war vom Niveau eines der besten dieses Turniers, beiderseits. Der nachfolgende Sieg gegen Portugal wurde auf teilweise beeindruckende Art herausgespielt. Und natürlich gibt es für Löw und die vor allem offensiv sehr gut besetzte DFB-Elf keinen anderen Weg, als auf die eigenen Stärken zu bauen - und zu versuchen, sie auszuspielen. Ihr Verhängnis aber ist, dass System und Taktik viel zu berechenbar sind. Weil es keinen Stürmer gibt, der das Angriffszentrum besetzt und dort als Anspielstation dient, läuft das offensive Spiel zumeist über die Außenbahnen. Weil die Ungarn aber genau dort weder Platz zum Spielen noch Raum zum Laufen ließen, blieben die deutschen Bemühungen harmlos und wirkten zunehmend planlos.
Spätestens nach der ersten Halbzeit hätte es taktische Änderungen geben müssen. Doch der Bundestrainer beschränkte sich, abgesehen von der verzweifelten Schlussoffensive, auf personelle Wechsel. Und so erinnerte das sture Weiterspielen nach Löws Masterplan doch sehr an die WM 2018 mit dem letztlichen Ausscheiden gegen Südkorea. Die Statistik dieser EM bestätigt das: Die DFB-Elf gab weniger Torschüsse ab als die Schweizer, Schotten oder Polen und liegt nur in den eher wenig zielführenden Kategorien Ballbesitz und gespielte Pässe im Spitzenbereich.
Die Angst, erneut zu scheitern, war Löw während der 90 Minuten gegen Ungarn tief ins Gesicht geschrieben. Die Explosion der Erleichterung danach ebenso. Diese Emotionen kommen aus der Tiefe seines Traumes: Er will den Titel. Weil er noch nie Europameister geworden ist. Einen entsprechenden Abgang als längster und erfolgreichster Bundestrainer in der 121-jährigen Geschichte des Deutschen Fußball-Bundes wünscht er sich natürlich ebenso. Weil er es aber hasst, sich rechtfertigen zu müssen und offensichtlich begangene Fehler öffentlich einzugestehen, will er den Erfolg auch, um seine Kritiker zu besiegen.
Da kommen Löw jetzt England und das große Spiel im Wembley-Stadion gerade recht. »Da habe ich keine Sorgen«, sagte er mit Blick auf den Fußballklassiker. »Das wird ein völlig anderes Spiel, was uns sicherlich entgegenkommt.« Weil sein System so anfällig ist, wenn der Gegner nicht das macht, was der Bundestrainer will, hofft er auf ein spielfreudiges Team der Three Lions und großen Druck von den Tribünen. 45 000 Zuschauer werden im Stadion sein. »Die Engländer müssen zu Hause sicherlich auch nach vorne spielen«, meint er - und erwartet dadurch zwangsläufig mehr Räume für das eigene Offensivspiel.
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