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Von großen Produktionsfirmen zur »Porno Ich-AG«
Die Digitalisierung hat die Pornobranche verändert - und deren Arbeitsbedingungen, erzählen die Darsteller*innen Theo Meow und Candy Flip
Pornografie ist für viele Menschen ein Tabuthema und die Branche hat einen zweifelhaften Ruf. Der Beruf Pornodarsteller*in gilt somit als ungewöhnlich - wie wird man das?
Theo: In den 1990er Jahren hätte man wahrscheinlich noch relativ klar sagen können, was diese Pornobranche oder -industrie eigentlich ist: große Firmen, die Produktionen machen, für die man gebucht wird und wo es eine Crew gibt. Zumindest in Deutschland ist dieser Bereich so gut wie tot. Es gibt noch ein paar klassische Produktionsfirmen, aber die nehmen nur noch einen kleinen Teil der früheren Umsätze ein.
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Stattdessen sind die Arbeitsbedingungen und Produktionsweisen vielfältiger geworden. Es gab einen Verschiebung hin zu »Porno Ich-AGs«, nenne ich das mal. Die Produktion hat sich von klassischen Studios ins private Schlafzimmer verlagert. Auf die Frage, wie man Pornodarsteller*in wird, würde ich daher sagen: Erstelle dir einen Twitter-Account und einen bei Onlyfans oder mydirtyhobby und versuche erst mal, dir ein Publikum aufzubauen. Der Rest ergibt sich dann.
Candy: Stimmt, es gibt noch Produktionsfirmen, aber meist mit kleinen Budgets, wo ziemlich schnell und schmutzig Sachen gedreht werden. Ohne viel Aufwand und ohne große Crew. Da ist die Bezahlung vergleichsweise niedrig. Viele Darsteller*innen arbeiten oft zusätzlich als Cam-Girl und vermarkten sich auf verschiedenen Plattformen selbst, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Das ist sehr viel administrative und selbstständige Arbeit. Man braucht oft keinen Produzenten mehr, sondern macht alles selber.
Werden Arbeitsbedingungen in der Branche dadurch besser?
Theo: Auf der einen Seite ist das sicher eine Vereinfachung. Du musst dich nicht mehr bewerben, sondern kannst heute in deinem Schlafzimmer starten. Auf der anderen Seite kommen eine ganze Menge an Anforderungen auf einen zu. Die gehen über das bloße Performen hinaus: Wie präsentiere ich mich? Was ist mein Markenzeichen? Wo erreiche ich meine Kundschaft? Man muss eine Story erfinden und die authentisch verkaufen. Was aus meiner Sicht Druck erzeugt und ziemlich stressig sein kann.
Wie sind eure Erfahrungen mit den Arbeitsbedingungen in Bezug auf Aspekte wie Safer Sex, Konsens und Freiwilligkeit?
Candy: Alle Pornodarsteller*innen sind Selbständige und das oft prekär. Das wirkt sich natürlich nicht vorteilhaft auf die Arbeitsbedingungen aus, denn man kann schlechte Bedingungen nicht klar einer einzelnen Person oder Firma anlasten. Wir sind eben Selbstständige und können keine klassischen Arbeitskämpfe führen wie beispielsweise Angestellte bei Amazon oder der Deutschen Bahn. Es ist also immer deine persönliche Entscheidung als Performer*in, ob du den Job unter den Bedingungen annimmst. Klar kannst du nein sagen, aber dann gibt es auch kein Geld. Es kommt also oft auf den Grad der ökonomischen Zwangslage an.
Theo: Ich kenne sehr wenige Kolleg*innen, die nur »klassische« Pornofilme machen und davon leben können. Es sind fast immer atypische Arbeitsverhältnisse, mit mehreren Jobs gleichzeitig, die voneinander profitieren oder sich auch im Weg stehen. Weil die Arbeit in der Pornografie eine stigmatisierte Tätigkeit ist. Als Pornodarsteller*in hälst du deinen Arsch in die Kamera, du bist im Internet zu sehen und das für immer. Gleichzeitig kannst du aber nicht dein Leben allein davon bestreiten und musst nach anderen Möglichkeiten suchen, Geld zu verdienen. Aber ich muss auch sagen, dass die Arbeitsbedingungen an den Sets gar nicht so schlecht sind. Es ist nicht so, dass an Mainstream-Sets die Bedingungen per se unethischer sind und es da zu mehr Grenzüberschreitungen kommt als an Sets von »alternativen« Pornofirmen. Auch da wird durchaus auf Konsens geachtet. Ich habe eher das Gefühl, dass die Zielgruppe eine andere ist: Alternative, »ethische« Pornoprodukte sprechen eine obere Mittelschicht an, die auch eher in den Biomarkt statt zu Aldi geht.
Candy: Es ist auf jeden Fall Industriestandard, dass in irgendeiner Form Safer Sex praktiziert wird, entweder mittels Kondom oder Volltest. Und natürlich wird vorher darüber gesprochen, welche Praktiken man macht und welche nicht. Aber sicher gibt es auch Verstöße oder Übergriffe an Sets. Das gilt sowohl für sogenannte feministische Produktionen als auch für den Mainstream. Dann ist der ökonomische Druck wirklich ein Problem, weil man vielleicht lieber die Klappe hält, um weitere Jobs zu kriegen und sich keinen Ärger einzuhandeln.
Was ist denn »Mainstream« und was »alternative« Pornografie?
Wie viel Geld verdient man mit Pornos?
Theo: Im Mainstream kannst du mit einer Szene ungefähr 100 bis 300 Euro verdienen. Aber wir hatten durchaus schon Drehs, wo wir nach zwei Stunden mit 600 Euro pro Person nach Hause gegangen sind. Die Sache ist nur, dass die Jobs in der Branche nicht so verlässlich sind und man eben nicht weiß, ob dein Gehalt auf jeden Fall die Miete zahlen wird.
Candy: Bei manchen Firmen verdient man mehr, bei manchen weniger. Es kommt auch auf dein Gender und andere Merkmale an und darauf, was du machst. Wenn man Analsex macht, kriegt man mehr. Beim Gayporn verdient man weniger Geld. Und trans Frauen haben es schwieriger als cis-Frauen. Aber wie gesagt, um wirklich vom Porno leben zu können, reicht es nicht, von Firmen gebucht zu werden. Sondern dann macht man noch Webcam-Angebote und ist auf Plattformen wie Onlyfans. Man muss viele Vermarktungswege gehen, um davon leben zu können.
Wie steht ihr zu großen Internetseiten wie PornHub?
Candy: Große Plattformen wie Pornhub werden ja normalerweise verteufelt. Natürlich sind das keine sympathischen Player, sondern große Unternehmen, die sehr viel Geld mit fremden Inhalten verdienen. Andererseits muss man auch sagen, dass das ja eine verbreitete Entwicklung ist, dass sich Plattformen herausbilden, auf denen Inhalte vervielfältigt werden und kostenlos zu haben sind. Das ist nicht nur in der Pornografie ein Thema. Ich denke, es sind vor allem klassische Pornoproduktionsfirmen, die darunter leiden, wenn ihre Inhalte gestohlen werden und überall kostenlos verfügbar sind.
Aber die Plattformen können auch Vorteile haben. Dort kann man einfach eine sehr große Reichweite erzielen. Es kann durchaus nützlich sein, auf diesen Plattformen zu werben, indem man zum Beispiel kostenlose Ausschnitte hochlädt und den Leuten dann den ganzen Film zum Kauf anbietet. Ich will die großen Plattformen überhaupt nicht verteidigen, denke aber, dass das eben eine Bedingung auf dem heutigen kapitalistischen Markt ist, dem wir ausgesetzt sind. Und eine Entwicklung, die man nicht einfach so zurückdrehen kann.
Theo: Diese Plattformen haben definitiv einen ganzen Haufen Probleme. Beispielsweise werden immer wieder Videos ohne Einverständnis der dargestellten Personen hochgeladen - und lassen sich dann nur schwer wieder löschen. Ein anderes Problem ist, dass riesige Anteile der Werbeeinnahmen nie bei den Performer*innen landen. Dennoch sehe ich die Plattformen nicht als den ultimativen Dämon, weil sie letztlich nur ein Symptom von größeren Umwälzungen im Zuge der Digitalisierung sind. Die klassischen Vertriebswege fallen weg - und weichen großen, anonymen Plattformen. Wer als Performer*in weiterhin Geld verdienen will, muss sich an diese Entwicklungen im Internet leider anpassen.
Ich habe gelesen, dass Bezahlprovider wie Kreditkartenfirmen oder Paypal nicht mit Leuten zusammenarbeiten, die Pornos produzieren. Erschwert das die Arbeit?
Theo: Das Thema mit den Kreditkartenfirmen ist ein sehr wichtiges. Die sind nämlich oft die Instanz, die entscheidet, was wir in Pornos zu sehen bekommen - und was nicht. Dabei orientieren sie sich auch an Gesetzen und gesellschaftlichen Normen. Eine klassiche Penetration mit Penis und Vagina gilt als unproblematisch. Aber wenn in den Filmen eine Person eine andere anpinkeln würde, könnte das über viele Zahlungsanbieter nicht verkauft werden. Gleiches gilt für viele Inhalte aus dem BDSM-Bereich und andere Praktiken abseits der Norm. Außerdem musst man für den Vertrieb von Pornos hohe Gebühren bezahlen. Normalerweise sind das bei einer Kreditkartenzahlung ein bis drei Prozent, bei Pornos können es auch mal 15 Prozent sein - plus einen jährlichen Pauschalpreis, den du bezahlen musst, weil die nochmal über den Shop drüber gehen und gucken, ob alles koscher ist. Das können gut und gerne auch noch mal 1000 Euro sein. Bei Anbietern wie Paypal ist der Verkauf von Pornos überhaupt nicht möglich. Gerade wenn du sagst, du möchtest auch mal diversifizieren und zeigen, wie Sex auch abseits der heterosexuellen Normen möglich ist, stößt du schnell auf abstruse, nicht nachvollziehbare Regeln.
Wie könnte Bedingungen verbessert werden und welche Rolle spielen dabei die Konsument*innen?
Candy: Grundsätzlich denke ich, dass die Macht der Konsument*innen begrenzt ist. Wir sehen das ja auch in anderen Bereichen. Es ist nicht so, dass wir den Kapitalismus abschaffen oder menschlicher machen werden durch ethischen Konsum. Das funktioniert so einfach nicht. Aber klar gibt es Sachen, die helfen würde: zum Beispiel, wenn Sexarbeit insgesamt weniger stigmatisiert wäre. Das würde die Positionen der Arbeiter*innen stärken, auch ihre Rechte einzufordern, offen über ihre Arbeit zu sprechen und sich zu organisieren. Und wenn Sexarbeit weniger stigmatisiert wäre, hätten wir vielleicht auch weniger Probleme mit den Zahlungsanbietern. Ganz viele von unseren Problemen haben mit den großen Zusammenhängen von Kapitalismus und Patriarchat zu tun und mit der neuen Form des Plattformkapitalismus.
Theo: Es gibt ja diese populäre Forderung »Pay for your Porn«, also bezahle für deine Pornos. Wir sind da ehrlich gesagt ambivalent eingestellt und sagen: »Okay, wenn du dir das leisten kannst, dann auf jeden Fall – unterstütze Darsteller*innen, die du magst.« Ich würde diese Forderung nur nicht universell stellen, weil ich auch einsehe, dass es Leute gibt, die einfach nicht die Kohle haben, um für Pornos zu bezahlen. Und die möchte ich auch nicht dafür verdammen, wenn sie sich mal gratis Pornos angucken.
Wir haben uns lange mit der Frage auseinandergesetzt, warum die Zahlungsbreitschaft so gering ist. Und wir haben festgestellt, dass es viele Menschen gibt, die Pornos zwar schauen, es aber eigentlich ablehnen, dass es so etwas gibt. Etwa weil sie diese pauschal für frauenverachtend und ausbeuterisch halten. Der Kompromiss den sie dann machen: Sie schauen Pornos, geben aber kein Geld dafür aus. Letztlich trägt aber genau das zu den prekären Arbeitsbedingungenbei. Wenn diese Menschen sagen würden, ich stehe zu meinem Pornokonsum, die sind Teil meiner Sexualität und ich gebe da auch Geld für aus, dann würde auch mehr Geld bei den Darsteller*innen landen. Die Prekarität in der Branche ist an vielen Stellen wirklich mit dem Stigma gegenüber Sex und Sexarbeit verbunden.
Theo Meow und Candy Flip arbeiten als Sexarbeiter*innen, Pornodarsteller*innen und -produzent*innen. 2014 gründeten sie das Projekt »Meow Meow«, mit dem sie nicht-kommerzielle Pornofilme produzieren. Die beiden stehen aber auch für andere Projekte und Firmen vor und hinter der Kamera.Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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