Nur noch nachts Wäsche waschen

Die spanische Regierung hat durchgesetzt, dass Strompreise tagsüber sehr teuer, nachts aber sehr günstig sind

  • Ralf Streck
  • Lesedauer: 4 Min.

Spanien liegt bei den Strompreisen im europäischen Vergleich schon seit Langem in der Spitzengruppe. Setzt man die Preise ins Verhältnis zum Mindestlohn, dürfte das Land sogar den Spitzenplatz einnehmen. Umso heikler, dass die sozialdemokratische Regierung kürzlich ein Strompreismodell mit drei Zeitzonen über den Tag eingeführt hat. Möglich wurde das durch den flächendeckenden Einbau neuer Zähler.

Laut der Regierung soll das Modell unter anderem dem Klimaschutz und der »ökologischen Nachhaltigkeit« dienen. Damit solle ein bewussterer Umgang der Konsumenten mit Energie erreicht und die Infrastruktur besser genutzt werden, so die Begründung. Eilfertig rechnete die regierungsnahe Zeitung »El País« vor, dass ein durchschnittlicher Privathaushalt durch die Anpassung seiner Lebensgewohnheiten bis zu 300 Euro im Jahr sparen könne.

Um das zu erreichen, darf man aber wichtige Stromschlucker wie Elektroherd, Heizung, Klimaanlage oder Waschmaschine fast nur in der Zeit von null bis acht Uhr anstellen. Also müsste man mit lärmenden Geräten den Nachbarn in hellhörigen Wohnungen die Schlafruhe rauben und dürfte tagsüber nicht kühlen, heizen oder kochen. Und wer seine Gewohnheiten nicht ändert, dessen Rechnung werde sich um etwa zehn Prozent verteuern.

Die offiziellen Berechnungen sind in dem 1997 von der konservativen Regierung privatisierten Stromsektor ohnehin nicht haltbar. In Spanien wird der Preis täglich ermittelt und schwankend an die Verbraucher weitergegeben. Derzeit erzielt der Strompreis wieder einmal Rekorde mit 90 bis 100 Euro pro Megawattstunde. Er ist damit so hoch wie nirgends sonst in Europa, wie sogar »El País« einräumt. Daher kann durch Anpassung der Lebensgewohnheiten bestenfalls ein tieferer Griff in die Tasche vermieden werden.

Nachdem der Koalitionspartner der Sozialdemokraten vorgeschlagen hatte, das »Tal« beim Strompreis auf 22 Uhr vorzuziehen, entschied sich die Regierung vor wenigen Tagen für eine andere Maßnahme: Auf Strom soll künftig nicht mehr 21 Prozent Mehrwertsteuer fällig sein, sondern der verminderte Satz von 10 Prozent, wie es beim Nachbarn Portugal längst der Fall ist. Mit derart hohen Strompreisen habe man erst in einigen Jahren gerechnet, erklärte Wirtschaftsministerin Nadia Calviño. Dass man die Mehrwertsteuer auf Strom senken könne, hatte die Regierung aber noch im Winter bestritten, als die Preise Allzeitrekorde brachen.

Nun wird ein bürokratisches Monster geschaffen, das zudem bis zum Jahresende befristet ist. Die Reduzierung gilt darüber hinaus nicht für alle - kleine Betriebe zum Beispiel fallen heraus. Und sie gilt nur für Haushalte, die bis zu zehn Kilowatt Leistung beziehen, oder für besonders »verletzliche« Haushalte, was einen enormen Prüfungsaufwand bedeutet. Die Absenkung gilt zudem nur, wenn der Preis auf dem Strommarkt die Marke von 45 Euro übersteigt.

Die Maßnahme kostet die Staatskassen nach Einschätzung von Experten bis zu 1,3 Milliarden Euro. Da zudem auch noch die Steuer für Stromproduzenten für drei Monate gestrichen wird, ist der Ausfall sogar fast doppelt so hoch.

Doch es muss auch gefragt werden, warum die Strompreise im Sonnenland Spanien gerade im Sommer so hoch sind, wo besonders viel Solarstrom fließen könnte. Die Antwort ist vielschichtig. Da sind zum Beispiel altersschwache Atomkraftwerke, die angeblich für Versorgungssicherheit sorgen sollen, aber wie kürzlich in Ascó nach Pannen heruntergefahren werden mussten oder nach dem Wechsel der Brennstäbe nicht wieder ans Netz gingen.

Dazu kommt, dass die konservative Vorgängerregierung den Ausbau der Erneuerbaren über Jahre hinweg ausbremste und den Eigenverbrauch sogar mit einer »Sonnensteuer« unterband. Die absurde Abgabe wurde zwar abgeschafft, aber man hat bisher kaum etwas dafür getan, Produktion und Eigenverbrauch über Solaranlagen auf Dächern zu fördern. Dies aber könnte die Abhängigkeit von Energieimporten senken und genau dann viel Strom liefern, wenn der Strompreis besonders hoch ist.

Stattdessen gibt es ein geradezu absurdes Tarifsystem. Das hatte sogar der ehemalige deutsche EU-Energiekommissar Günther Oettinger (CDU) einst heftig kritisiert und Madrid schon vor neun Jahren ermahnt, mehr in erneuerbare Energien zu investieren. Demnach fallen für Betreiber längst abgeschriebener Anlagen wie Atomkraftwerke und Wasserkraftanlagen »Milliardengewinne vom Himmel«, wie sie selbst zugeben. Das Tarifsystem sei ineffizient, und es bestehe zu wenig Konkurrenz, hatte Oettinger kritisiert.

Dieses System war ebenfalls von den Konservativen eingeführt worden, es wurde aber auch von den Sozialdemokraten in ihrer Regierungszeit von 2004 bis 2011 nicht geändert. Es führt dazu, dass zunächst immer die günstigsten Kraftwerke zur Deckung der Stromversorgung eingeschaltet sind. Zugeschaltet wird dann stets die nächstteurere Anlage, bis der Bedarf gedeckt ist. Den Preis für die Verbraucher legt aber die zuletzt zugeschaltete teuerste Anlage fest und spült so Milliardengewinne in die Kassen der Oligopole.

Daran rüttelt auch die derzeitige Regierung nicht. Stattdessen befreit sie diese jetzt von der Stromerzeugungssteuer, die dem Staat bisher eine Milliarde Euro einbrachte.

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