Vom Zuviel ins Zuwenig

Die griechischen Gastwirte leiden unter der Corona-Pandemie, aber auch unter dem Massentourismus

  • Elisabeth Heinze, Kefalonia
  • Lesedauer: 9 Min.

Wer jetzt kommt, wird einen ruhigen Urlaub verbringen«, meint Susan Fisch-Dimitratos von der Pension Thalassino Trifilli. Im verwunschenen Garten des Küstendorfs Lourdata, im Süden der Insel Kefalonia ist es lauschig. Unweit iaht ein junger Esel aufsehenerregend, dessen unschuldiges Antlitz später auf dem 300 Meter langen Fußweg bergab zum Strand zu sehen ist.

Normalerweise sind die Zimmer und das große Seminarhaus gut belegt. Doch als im ersten Corona-Sommer 2020 die Saison erst im Juli startete, war die Zahl der Gäste überschaubar. Mit weniger als 15 Prozent der Einnahmen von 2019 musste das Familienunternehmen zurechtkommen. »Das war elendig«, sagt Susan Fisch-Dimitratos. Die Pandemie und die Reisebeschränkungen brachten viele Kleinunternehmer, die vom Tourismus leben, in eine finanzielle Schieflage.

Geschichten, die von der Not in Griechenland erzählen, mögen einem bekannt vorkommen. Schließlich war das Land 2009 geschundener Protagonist der Schuldenkrise. Doch für den Tourismussektor und die Insulaner ist eine solche Situation neu. Denn im Gegensatz zur allgemeinen Wirtschaftslage ist dieser während der Krise kräftig gewachsen und erreichte sogar schwindelerregende Rekorde: Im Jahr 2019 kamen etwa 33,5 Millionen Besucher ins Land, mit dem Tourismus wurde mehr als 20 Milliarden Euro Umsatz erzielt, was ein Fünftel der Wirtschaftsleistung ist.

Aber mit der Pandemie kam dann der Einbruch: In der Saison 2020 treten nur etwa sieben Millionen Reisende einen Urlaub nach Hellas an, etwa vier Milliarden Euro Einnahmen wurden notiert. Die griechische Wirtschaft, die sich in besonderer Weise auf das Reisegeschäft stützt, erleidet eine Rezession von 8,2 Prozent. Auch die Zahl der Gäste aus Deutschland ist um 62 Prozent geschrumpft.

In diesem Jahr keimte dann neue Hoffnung auf, als die Inzidenzen fielen. Schon früh drängte die griechische Regierung unter Premierminister Kyriakos Mitsotakis von der konservativen Nea Dimokratia auf einen einheitlichen europäischen Impfpass, der in Griechenland in digitaler Form im Juni und europaweit zum 1. Juli gestartet ist. Die Idee: Vollständig Geimpfte, Genesene und alle mit einem negativen PCR-Testergebnis, das nicht älter als 72 Stunden ist, dürfen problemlos einreisen; auch die Quarantänepflicht entfällt. Jubelrufe eilten dem offiziellen Saisonbeginn Mitte Mai voraus, für den die griechische Regierung bereits im Winter mit dem Slogan »All you need is Greece« geworben hat.

Aber die Werbung für einen unbeschwerten Griechenland-Urlaub kam nicht überall gut an. Schließlich durften während des harten Lockdowns mit Ausgangssperre im März die Einheimischen nicht einmal den Landkreis verlassen. Politiker der Nea Demokratia dachten im Fernsehen bei vollbelegten Intensivstationen laut über exklusive Bewegungsfreiheit für Touristen bei gleichzeitiger Fortsetzung der strengen Maßnahmen für Einheimische nach.

Doch als im Mai die Saison losging, gab es für die einheimische Bevölkerung Lockerungen. Auch die Griechen selber durften reisen. Dem Generalsekretär der Fremdenverkehrszentrale, Dimitris Frangakis, zufolge habe man fast 23 Millionen Euro für die touristische Werbekampagne in die Hand genommen. Mit leicht verändertem Motto »All you want is Greece« laufen fortan die Videoclips über alle Kanäle. Vor allem die Inseln werden als sichere Urlaubsorte beworben. Außerdem wurde die Impfkampagne in Griechenland intensiviert. Bis Ende Juni waren rund 45 Prozent der Bevölkerung mindestens einmal geimpft. Die Normalität scheint wieder greifbar. Wenngleich auch in Griechenland die Angst vor der nächsten Welle mitschwingt.

Auf Kefalonia bei Thalassino Trifilli ist derweil nicht die fehlende Nachfrage das hauptsächliche Problem. Die Reisenden würden gerne kommen, meint Susan Fisch-Dimitratos, aber die »vielen Hindernisse in den Herkunftsländern lassen das nicht zu«. Im Juni waren oft nur zwei bis drei Zimmer von 19 belegt. Auf die Gäste wirkten die unsicheren Aussagen, ob Griechenland ein sicheres Urlaubsland sei oder nicht, abschreckend, meint sie verärgert und erzählt von einem aktuellen Fall, als ein vollständig geimpftes Paar für die Ausreise noch einen PCR-Test vorlegen sollte. Auch in dieser Saison gibt es noch immer eine Ungewissheit, ob das Geschäft tatsächlich anläuft, und natürlich seien auch die Existenzängste nicht verschwunden, sagt Susan Fisch-Dimitratos.

Die Schweizerin mit dem rotblonden Bob und offenem Lächeln hat sich 1989, im Alter von 23 Jahren, auf der Insel niedergelassen. Ganz klassisch: der Liebe wegen und ungeplant. Seitdem arbeitet sie in der Pension und Taverne, die ihr Ehemann und dessen Brüder Vangelis, Makis und Panagis inmitten eines Orangenhains eröffnet hatten. Die Familie bewirtschaftet dort am Fuße des 1628 Meter hohen Berges Enos seit mehr als 200 Jahren einige Äcker.

Mit 786 Quadratkilometern ist Kefalonia die größte Insel im Ionischen Meer. Es gibt Buchten, Strände, Berge, Klippen und Hügel. Feigenbäume wachsen auf der Insel und seltenen Tannen sowie ungewöhnliche Orchideen; auch der weltbekannten weißen Rebe Robola, die einst von den Venezianern eingeführt wurde, wird auf Kefalonia kultiviert. Vom Massentourismus dagegen ist die Insel weitestgehend verschont geblieben; an den malerischen Stränden von Mirtos, Xi oder Antisamos liegt man selten wie eine Sardine in der Dose.

Anders auf der südlichen Nachbarinsel Zakynthos. Dort können sich die Besucherströme nicht so gut verteilen, und man muss nach ruhigen Orten suchen. Einen solchen findet man im Südosten der Insel bei Daphnes Villas. Mitten im Olivenhain stehen ebenerdige Gasthäuschen, nur wenige Meter vom Strand entfernt. Maria Renhuldt und Dionysis Tsilimigras führen die Pension, die wie ein friedlicher Kokon fernab der überlaufenen Orte wie Laganas wirkt. Vor der Haustür lässt man sich in die Hängematte fallen und lauscht dem mittäglich-monotonen Zirpen der Grillen, während Laganas für viele britische Touristen so etwas wie der mallorquinische Ballermann für Deutsche ist.

Maria Renhuldt war selbst Urlauberin auf der Insel, kehrte aber 1985 nicht mehr nach Schweden zurück. Sie blieb bei Dionysis Tsilimigras. Gemeinsam bauten sie die Pension auf und bewirtschaften den Olivenhain, der Jahr für Jahr hauseigenes Öl einbringt. In den renovierten Speichern kommen mittlerweile etwa 40 Gäste unter. Auch für sie war das vergangene Jahr ein schwieriges. »Obwohl wir als kleines Geschäft theoretisch flexibler sind, konnten wir nicht mehr als 23 Prozent unseres Jahresumsatzes erzielen.« Die Coronahilfen, bei denen die Regierung Unternehmen einen Vorschuss gewährt, sei »eine Hilfe, die für die griechischen Verhältnisse transparent ablief«, sagt sie.

Wie die Wirte von Thalassino Trifilli auf Kefalonia finden auch Maria Renhuldt und Dionysis Tsilimigras, dass die Unterstützung der Regierung nicht ausreiche. »Die Frage ist, ob die Unternehmen in der Lage sein werden, die laufenden Kosten zu stemmen und gleichzeitig das geliehene Geld zurückzuzahlen«, gibt Dionysis Tsilimigras zu bedenken. Erst vor einigen Wochen kündigte die Regierung an, weitere 420 Millionen Euro für den Neustart im Tourismus zur Verfügung zu stellen. Unklar ist allerdings, ob auch die kleineren Unternehmen neben den großen Ketten von diesen Hilfen profitieren werden.

Maria Renhuldt und Dionysis Tsilimigras haben sich vorgenommen, in dieser Saison 50 Prozent ihres gewöhnlichen Umsatzes zu erzielen. Dabei hat die Saison im Mai allerdings gar nicht begonnen. »Was auch immer das Tourismusministerium sagt, die großen Unternehmen und die Fluggesellschaften sind diejenigen, die das letztlich entscheiden.« Der groß verkündete Startschuss entpuppte sich nämlich als PR-Gag, durch die »zwei Monate verloren gegangen sind«, erzählt Maria Renhuldt. Im Frühjahr habe es nicht einmal eine Flug- oder eine Fährverbindung zur Insel gegeben. Mit einer Normalisierung der Verhältnisse rechnen sie auf den Inseln des Ionischen Meers erst Mitte Juli.

Aus der Not inmitten der Pandemie eine Tugend machen, das kam wohl Premierminister Kyriakos Mitsotaki im vorigen Jahr in den Sinn, als er davon sprach, künftig weniger auf Massentourismus zu setzen, dafür mehr auf Nachhaltigkeit. Für einen solchen Tourismus stehen die kleineren Unterkünfte, die nicht mit großen Touranbietern zusammenarbeiten. Längst »ist es Zeit umzudenken, den Tourismus anders zu gestalten«, erzählte Dionysis Tsilimigras schon im Sommer vor einem Jahr. Seine Frau fügte damals hinzu: »Das Modell des Hypertourismus ist nicht erfolgreich.« Sie erinnerte sich noch an die 80er-Jahre, als sie ihrer Schwester in einem Brief schrieb: »100 000 Touristen kommen - was soll nur werden?« 2019 empfing man auf der Insel dann 1,2 Millionen Besucher.

Noch zehrt die Insel Zakynthos vom Wasserreservoir 200 Meter unter der Erde, aber die Umwelt leidet natürlich unter den Menschenmassen und ihrem Abfall. Zwar ist der Einbruch durch die Pandemie finanziell eine Katastrophe, aber natürlich wird die Insel dadurch auch entlastet. Dionysis Tsilimigras erzählt, wie er in der Nähe des Gerakas-Strandes jetzt sogar mit den Schildkröten schwimmen kann. Die Meeresschildkröte, die der Insel als Maskottchen dient, ist hier vom Aussterben bedroht.

Für die zakynthischen Gastgeber steht fest, so wie es momentan läuft, »zerstört man das Produkt, was man verkauft - nämlich die Natur.« Gäbe es den Artenschutz nicht, wäre die karibisch anmutende Bucht von Laganas schon lange mit großen Hotels zugebaut. Mit der behaupteten möglichen friedlichen Koexistenz von Tourismus und Schildkrötennestern machen sich andererseits die Tierschützer zum »Advocatus Diaboli«, findet Dionysis Tsilimigras.

Ausbeutung zum Flex-Tarif - Proteste in Griechenland gegen ausgehöhltes Arbeitsrecht. Kommunisten: »Kriegserklärung an Arbeiter«

Auch die Meeresbiologin Aliki Panou glaubt nicht an eine reibungslose Koexistenz von touristischen Interessen und denen des Naturschutzes. Im schattigen Garten von Thalassino Trifilli erzählt sie von Meereshöhlen auf und um Kefalonia, die für eine seltene Robbenart, der Mönchsrobbe, eine der letzten Refugien darstellen. Wo sie sich befinden, darüber schweigt sie bewusst. Statt der weiteren Verbauung der Küsten schweben ihr Meeresschutzzonen und Nationalparks vor. Direkte Effekte des abflauenden Tourismus durch die Corona-Pandemie sieht sie aber nicht: »Ein oder zwei Jahre Corona-Pause spielen im Leben einer Robbe keine Rolle.«

Aber weniger Besucheraufkommen ist durchaus ein zweischneidiges Schwert. »Sicher ist zu viel Tourismus nicht gut, aber es kommt auch darauf an, wer kommt. Wenn es keine Einnahmen gibt, werden die Menschen die Inseln verlassen.« Maria Renhuldt im Olivenhain erhofft sich einen Dialog darüber, »welche Art von Tourismus wir wollen und wo die Grenze liegen sollte.« Naturnaher Qualitätstourismus scheint für sie eine Lösung. Doch auch Menschen mit einem geringen Einkommen sollten sich einen Urlaub leisten können. Für viele sei das Online-Buchen gerade eine Hürde und das brauche Überwindung, sagt dagegen Susan Fisch-Dimitratos. Aber »die, die hier sind, sind glücklich«, versichert sie.

Die Krise im Paradies der griechischen Inseln ist greifbar. Vor allem die kleinen und mittleren Unternehmen sind in Gefahr. Aber es gibt durchaus Hoffnung: Ein denkbareres Szenario könnte die Verlängerung der Saison bis in den Oktober hinein sein und ein generelles Umdenken beim Tourismus. Immerhin wird bereits über mehr Nachhaltigkeit diskutiert. Auf die Frage, ob das Glas nun halb voll oder halb leer sei, antwortet Dionysis Tsilimigras diplomatisch: »Auf jeden Fall ist es die Hälfte.« Die Situation könnte also schlechter sein.

- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.