Herz am Limit

Katharina Bauer ist Leistungssportlerin und lebt seit drei Jahren mit einem implantierten Defibrillator

Als es ganz schlimm war, half Puzzeln. 1000 Teile mit Disney-Motiven. Kindisch, klar, sie ist über 30, aber dieses Chaos der einzelnen Pappteilchen wieder zusammenzufügen, das bringt sie runter, wenn es ganz schlecht um sie bestellt ist. Es hilft ja nichts, sich im eigenen Schmerz zu suhlen. Am Ende starrt man den ganzen Tag die Wand an, verliert sich in sich selbst. Und dann?

Katharina Bauer hat schon mehr Rückschläge überstanden als in ein normal gutes Leben passen. Sie ist Leistungssportlerin im Stabhochsprung und flog oft in ihrer Karriere auf den höchsten Punkt, nur, um dann umso tiefer zu fallen. Fünf Jahre ist es jetzt her, da sprang sie ihre absolute Bestleistung, 4,65 Meter. Sie war in der deutschen Leistungssportelite angekommen, da brach sie sich die Hand, Trümmerbruch im Handgelenk. Der Traum von Olympia dahin. Im Februar 2018 war sie zurück, wurde Deutsche Hallenmeisterin, 2019 Vizemeisterin, qualifizierte sich für die Halleneuropameisterschaften in Glasgow und war der Topform ihres Lebens nahe. Dann der Bandscheibenvorfall. Wieder alles dahin. Wieder ein Jahr verloren, das sie damit verbrachte, an den Ausgangspunkt zurückzulaufen. Beim »Mensch ärgere dich nicht« ist sie die, die immer weiter würfelt, und würfelt und würfelt, während der Rest beim nächsten Rauswurf anfängt, sich gegenseitig zu beschimpfen und schließlich einer das Spielbrett vom Tisch fegt.

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Wie viele Rückschläge kann ein Mensch ertragen, bevor er aufgibt? Egal, Katharina Bauer schafft immer noch einen mehr. Zu ihrem Verletzungspech kommt noch etwas hinzu, das sie seit ihrer Kindheit mit sich trägt. Bauer lebt mit einem Herzfehler, ihr Herz schlägt schneller als das gesunder Menschen, das etwa 100 000 Mal am Tag pocht. Im Alter von sieben Jahren stellten Ärzte bei einer sportmedizinischen Untersuchung etwa 5000 Schläge zusätzlich fest. Alle drei Monate fährt sie fortan mit ihrer Mutter zum Kinderkardiologen nach Frankfurt am Main. Die Zusatzschläge sind zwar auffällig, aber noch nicht lebensgefährlich. Sie bekommt regelmäßig ein 24-Stunden-EKG, denn schon damals ist sie im Leistungssport aktiv und turnt, wird in den Kader aufgenommen. Ihre Mutter hatte sie in den Turnverein geschickt, weil ihre überschüssige Energie irgendwohin musste, sagt Bauer. Am Ende vielleicht eine lebensrettende Entscheidung. Niemand weiß, wann ihr Herzfehler sonst aufgefallen wäre.

Sie lernt sehr schnell, intensiv auf ihren Körper und seine Signale zu hören. »Mein Herz wurde zu meiner Alarmglocke«, sagt Bauer. Kinder seien, anders als man es vermutet, sehr gut darin, erinnert sie sich. »Auf uns selbst zu hören, verlernen wir über die Jahre immer mehr. Erst kommt die Schule, dann der Job, die Erwartungen an uns werden immer größer. Die kindliche Achtsamkeit und der Fokus auf die eigenen Bedürfnisse verlieren sich mit dem wachsenden Druck der Gesellschaft, funktionieren zu müssen«, sagt Bauer.

Schneller aus der Puste als andere

Mit 13 Jahren steht fest, dass Katharina Bauer zu groß fürs Turnen ist. Das Ventil für ihre Energie aber bleibt der Sport. Sie wechselt zum Stabhochsprung, für sie eine gute Mischung aus Turnen und Leichtathletik. Der Ablauf eines guten Sprunges ist in sechs Phasen unterteilt und wirkt in seiner Komplexität wie ein Raketenstart. Am Anfang, der Stab ist etwa 60 Grad geneigt, wird er in die Luft gehoben. Dann, Aufbau der Geschwindigkeit. Je schneller ein Springer oder eine Springerin sprintet, desto höher auch der Sprung. Männer schaffen selbst mit Stab in der Hand etwa 34 Stundenkilometer, Frauen etwas weniger. Nun sind 45 Meter Zeit, das Absenken des Stabes zu fokussieren, hier wird die Energie für den Auftrieb gewonnen. Mit immer noch 28 Kilometern pro Stunde sticht der Athlet den Stab in die Einstichstelle, schraubt sich hoch, dreht sich im Flug, Blick auf die Latte unter sich. Laufgeschwindigkeit und Widerstand des Stabes ergeben eine Energie, die einen »tatsächlich fliegen lässt«. Bauers grüne Augen leuchten sowieso, jetzt noch viel mehr.

Schon ein Jahr nachdem sie mit dem Stabhochsprung begann, wurde der damalige Bundestrainer auf sie aufmerksam. Sie trainierte hart und oft, aber es fiel auf, dass sie schneller aus der Puste war und mehr Ruhepausen brauchte als andere Mädchen. Weil sie trotzdem Leistung brachte, schob man es auf eine pubertär bedingte »Talentiert, aber faul«-Phase.

Mit 18 Jahren, sie war gerade mitten in den Vorbereitungen für das Abitur und saß in der Schulmensa, polterte ihr Herz auf einmal wie wild, schnell und unregelmäßig. Ihr Herz beruhigte sich wieder. Aber sie ging doch lieber zum Arzt. Der stellte inzwischen 10 000 Extraschläge pro Tag fest. Es folgte die erste Herzoperation, bei der man ihr vier Herzkatheter durch die Leiste bis zum Herzen legte, um festzustellen, woher die Extraschläge kamen. Sie fanden den Ursprungsort nicht, und Bauer sollte sich damit abfinden, schließlich sei es nichts Gefährliches. Heute weiß Bauer, dass dieses Druckgefühl, das sie damals in der Mensa verspürte, und der Schwindel, der dazukam, zu einem Kammerflimmern führen kann, das im schlimmsten Fall den plötzlichen Herztod bedeutet.

Bei der Bewerbung für die Sportfördergruppe der Bundeswehr dann der nächste Schock. Sie war bei mittlerweile 18 000 extra Herzschlägen pro Tag angekommen. Lebensgefahr. Die nächste Operation war unvermeidbar. Der Arzt konnte dieses Mal die Ursprungsorte für ihre Extraschläge finden. Über viereinhalb Stunden bekam sie bei Bewusstsein mit, wie er die Stellen im Herzmuskelgewebe verödete, um das gefährliche Pochen abzustellen. Immerhin, sie kam mit nur 3000 Extraschlägen aus dem Krankenhaus zurück, wurde im folgenden Jahr Deutsche Hallenmeisterin. Dann die nächste schlechte Nachricht: Es hat alles nichts gebracht, ihr Herz war wieder auf Hochtouren, mittlerweile stabil bei 15 000 Extraschlägen angelangt. Die Ärzte waren überzeugt, sie würde mit dem Leistungssport aufhören müssen. An diesem Punkt konnte es nicht weitergehen. Sie würde einen Defibrillator implantiert bekommen, sagten die Ärzte, ein handflächengroßes Kästchen, das im Notfall bei einem Kammerflimmern einen elektrischen Impuls ausgibt, um das Herz wieder in den normalen Rhythmus zu bringen. Am 17. April 2018 wird sie operiert, das Gerät ist so implantiert, dass es nicht direkt mit dem Herz verbunden ist, so kann beim Sport das Herz nicht verletzt werden.

Eine Leistungssportlerin mit einem implantierten Defibrillator hatte es bisher nicht gegeben. Im Profifußball brach zu Beginn der diesjährigen Europameisterschaft der Däne Christian Eriksen auf dem Spielfeld wegen eines Herzstillstands zusammen und konnte glücklicherweise wiederbelebt werden. Auch er erhielt daraufhin einen implantierten »Defi«, wie Bauer das Gerät nennt. »Ich war fest davon überzeugt, meine Karriere fortzusetzen und so schnell es geht wieder ins Training einzusteigen«, sagt sie. Jeder, der einmal dazu gezwungen wird, die Blase, in der er lebt, zu verlassen, wird seinen Blickwinkel auf das Leben ändern, davon ist sie überzeugt. Bauer beginnt, sich mit Selbstheilung auseinanderzusetzen. Das klingt nach stinkenden Räucherstäbchen und zu viel glauben statt wissen. Die Ärzte hatten ihr zwar davon abgeraten, weiter Leistungssport zu betreiben, aber sie war überzeugt, dass es noch einen Weg geben musste. Die Ärzte vertrauten ihr, was anderes blieb ihnen auch nicht übrig. Bauer begann mit täglichem Mentaltraining. Man kann sich darüber lustig machen, es für Eso-Kram halten, aber Bauers nächste OP stand an und sie kurz vor dem Karriereende. Mit dem Defibrillator hatte man ihr nur die Lebensversicherung eingesetzte, das Problem der Extraschläge bestand nach wie vor.

Von keiner Angst der Welt beherrscht

Bei der Eingangsuntersuchung im Krankenhaus stellte der Arzt zwei Wochen später fest, dass sich ihre zusätzlichen Herzschläge auf 2800 pro Tag reguliert hatten, ohne OP. »Sicherlich kann man das alles für esoterischen Quatsch halten, aber mir haben Entspannungsübungen und Yoga beigebracht, mich von keiner Angst der Welt leiten zu lassen«, sagt Bauer. Für sie begann das Experiment Leistungssport mit Defibrillator.

Jeder extra Herzschlag zeigte ihr nun an, dass sie sich zurücknehmen musste. Leistungssport ist für sie nicht mehr von Druck und schier endloser Verbesserung bestimmt. »Ich war dankbar dafür, nach der Herz-OP überhaupt wieder Sport machen zu können. Dann wird der Fokus automatisch ein anderer«, sagt Bauer. Wenn sie fortan eine Pause braucht, sagt sie es ihrem Trainer Leszek Klima, der inzwischen weiß, dass sie weder zu faul noch zu unmotiviert zum Trainieren ist, sondern dass Pausen für Katharina Bauer lebensnotwendig geworden sind. »Ich habe tierischen Respekt vor meinem Trainer, und am Anfang hat es mich viel Überwindung gekostet, zu meinem Wunsch zu stehen, dass ich mehr Ruhe brauche als andere, aber die Konsequenz wäre, dass ich den Sport irgendwann aufgeben muss, weil ich nicht auf meinen Körper gehört habe, das hat er schnell verstanden.«

Für Bauer steht in diesem Jahr die Qualifikation für Olympia in Tokio an. 4,70 Meter muss sie dafür schaffen, fünf Zentimeter über ihrer persönlichen Bestleistung. Bei einem Wettkampf in Zweibrücken sprang sie zuletzt 4,45 Meter. Seit sieben Wochen plagt sie nun eine Schleimbeutelentzündung an der Achillessehne. »Damit die Situation sich nicht ganz verschlimmert und ich damit meine Saison abbrechen bzw. meine Karriere beenden muss, ziehe ich jetzt die Notbremse«, schreibt sie ihren Followern auf Instagram. Sie unterbricht ihre Sportsaison und pausiert. Es hat sie zwei Jahre gekostet, so fit zu sein wie jetzt - ihre »absolute Topform«, wie sie Tage zuvor im Videochat sagt. Das will sie nicht riskieren, nicht für Olympia, nicht für einen weiteren Wettkampftag. Wieder wird es nichts mit dem Traum eines jeden Sportlers, einmal bei den Spielen dabei zu sein. Drei Tage später postet sie ein Bild von sich nach dem Friseurbesuch. Sonnenbrille auf, dazu die Bildunterschrift »Hakuna Matata«. Implantierte Gelassenheit.

Weiterlesen: Katharina Bauer/Christine Bieleck: Yoga für ein starkes Herz. Riva, geb., 208 S., 19,99 €.

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