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Wahlkampf mit Wagenknecht

Bezirksserie zur Berliner Wahl, Teil 1: In Tempelhof-Schöneberg hofft die Linke auf ein zweistelliges Ergebnis

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 6 Min.
Er kennt sie als Mitarbeiter aus dem Bundestag, sie unterstützt seine Kandidatur: Alexander King (r.) und Sahra Wagenknecht
Er kennt sie als Mitarbeiter aus dem Bundestag, sie unterstützt seine Kandidatur: Alexander King (r.) und Sahra Wagenknecht

Am Platz am Nilpferdbrunnen tief im Süden des Berliner Bezirks Tempelhof-Schöneberg gibt es Geschäfte und Gastronomie. Der Platz ist jetzt voller Menschen, von denen aber wohl kaum jemand gekommen ist, um einzukaufen oder etwas zu verzehren. Sie stehen und sitzen gegen 17 Uhr vor einer Bühne, auf der die Band Polkageist spielt. Die Menschen schwitzen in der Sonne und warten auf die Hauptrednerin der Kundgebung: Sahra Wagenknecht.

Alle wollen sie sehen und hören, viele wünschen sich, dass sie ein Foto mit ihr zusammen machen dürfen. Alexander King, der Bezirksvorsitzende der Linkspartei, tritt ans Mikrofon und bittet die »lieben Nachbarn«, sich noch 15 Minuten zu gedulden. »Dann kommt Sahra«, verspricht er, »die stärkste Stimme für soziale Gerechtigkeit.«

Zunächst aber sprechen noch Elisabeth Wissel, die Vorsitzende der Linksfraktion in der Bezirksverordnetenversammlung (BVV), und ihr Stellvertreter Martin Rutsch. Wissel ist Jahrgang 1954 und kam 1982, nachdem sie in Darmstadt auf dem zweiten Bildungsweg Abitur gemacht hatte, nach Westberlin, um Soziologie und Erziehungswissenschaften zu studieren. Bis 2018 arbeitete sie in Teilzeit in ihrem erlernten Beruf als Krankenschwester auf einer Intensivstation. 2007 trat Wissel in die Linke ein. Sie ist unter anderem aktiv in der Friedensbewegung. Die Partei sei gegen die Verlegung des Wenckebach-Klinikums, erklärt sie ihren Zuhörern. Nur kurz können Wissel und Rutsch über die Tätigkeit ihrer Fraktion berichten und dafür werben, die Linke anzukreuzen, wenn am 26. September der Bundestag, das Berliner Abgeordnetenhaus und die Bezirksparlamente neu gewählt werden. Bald müssen die beiden weg zur Sitzung der BVV. Sie hätten Wagenknecht auch gern zugehört, können aber nicht so lange bleiben. Um 17.35 Uhr trifft Wagenknecht ein. Polkageist spielt noch ein Lied, dann betritt die Bundestagsabgeordnete die Bühne. Die Menge drängt dorthin. Smartphones werden gezückt, um die Frau zu fotografieren, die hier über Gesundheit, Bildung und Soziales spricht.

Es ist viel gestritten worden über ihr neues Buch »Die Selbstgerechten«. Innerparteiliche Rivalen haben Wagenknecht wegen einzelner Passagen schwere Vorwürfe gemacht, sogar ein Ausschlussverfahren wurde angestrengt. Auf dem Platz am Nilpferdbrunnen sagt sie aber nichts, was nicht jeder andere Kandidat oder jede andere Kandidatin ihrer Partei derzeit genauso sagt - oder sagen könnte, wenn er so gewandt reden könnte wie Wagenknecht. Krankenhäuser, Pflegeheime und Wohnungen gehören in öffentliche Hand, sagt sie etwa - und zum gesetzlichen Mindestlohn: Für weniger als 13 Euro Stundenlohn sollte niemand arbeiten müssen.

Ungefähr so wird sie das zwei Stunden später auch bei einer weiteren Rede auf der Trabrennbahn in Berlin-Karlshorst erklären. Speziell für ihre Zuhörer am Nilpferdbrunnen sind die Bemerkungen über Bezirksparteichef Alexander King bestimmt. Der kandidiere für das Berliner Abgeordnetenhaus und hätte es verdient, in dieses Parlament einzuziehen, betont Wagenknecht. Aber King trete auch bei der Bundestagswahl an. »Ich finde, im Bundestag wäre er noch besser aufgehoben.« Man solle ihm die Erststimme geben und der Linken die Zweitstimme. »Ich kenne Alex King schon lange«, berichtet Wagenknecht. »Er würde sich nie von Lobbyisten kaufen lassen. Solche Leute braucht es mehr im Bundestag.«

Nach den Ausführungen der Politikerin tost Beifall. Als sie von der Bühne steigt, wird sie sogleich umringt, wie um sie am Gehen zu hindern. Von Termin zu Termin eilend soll sie ja angeblich nach Reden sofort verschwinden. Aber die Furcht ist unbegründet. Obwohl Wagenknecht nach Karlshorst hinüber muss, nimmt sie sich die die Zeit für ein Bad in der Menge, spricht mit den Menschen, lässt sich ganz entspannt mit ihnen und mit Alexander King fotografieren. Der bekommt so an diesem Tag die beste für ihn denkbare Wahlkampfhilfe.

Das wirkt bestimmt. Aber King schätzt realistisch ein: »Gegen einen Bundestrend kann man nicht gewinnen.« Im Moment sieht der Trend so aus, dass die Linke bei der Bundestagswahl am 26. September insgesamt an Zuspruch einbüßt. In Tempelhof-Schöneberg hatte die Linke bei der Bundestagswahl 2017 immerhin 13,2 Prozent der Stimmen erhalten - ein für diesen Bezirk ordentliches Ergebnis.

»Wir hoffen, jetzt wieder zweistellig zu werden«, erläutert King. Ihm zufolge gilt die Faustregel, dass die Linke in Tempelhof-Schöneberg bei Abgeordnetenhauswahlen ein Prozent weniger bekommt als bei Bundestagswahlen und bei BVV-Wahlen zwei Prozent weniger. Da nun alle drei Wahlen zusammenfallen, könnte die Linke bei der Wahl der Bezirksverordnetenversammlung diesmal besser abschneiden als im Jahr 2016, als sie 8,7 Prozent erzielte.

Vier Frauen und ein Mann bilden die kleine oppositionelle Linksfraktion im Schöneberger Rathaus. Elisabeth Wissel, Martin Rutsch und Christine Scherzinger stehen am 26. September wieder auf dem Wahlzettel. »Ein oder zwei Mandate mehr wären schön«, meint Wissel. Scherzinger formuliert: »Wir würden uns freuen, wenn der Bundestrend nicht so durchschlägt und unsere Arbeit anerkannt wird.«

Die Bezirksverordneten haben zum Beispiel für Betroffene von Hartz IV Briefe an den Sozialstadtrat oder das Jobcenter geschrieben. Das hat manchmal schon geholfen. Der eine oder andere versprach hinterher erleichtert: »Nächstes Mal wähle ich die Linke.« Und ohne den politischen Druck der Linksfraktion wäre der Jugendclub »Potse« bestimmt längst gewaltsam geräumt worden, vermutet Martin Rutsch. Der gebürtige Westfale ist bereits als 15-Jähriger in die Partei eingetreten. Seit 2013 lebt er in Berlin, studiert hier Medien und politische Kommunikation an der Freien Universität.

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Zu ihren Erfolgen rechnet die Linke, dass in einen lange leerstehenden Laden in Mariendorf ein Drogeriemarkt einzog. Anwohner hatten sich gewünscht, dass etwas gegen die Verödung der Gegend unternommen wird. Das mit dem Drogeriemarkt klingt vielleicht bescheiden. Aber es ist etwas Zählbares. Das könne der bekannte ehemalige Juso-Chef Kevin Kühnert, der in der BVV sitzt, nicht vorweisen, erklärt Rutsch. Er erinnert sich lediglich, dass Kühnert öffentliche Luftpumpstationen für Radfahrer forderte, aus denen aber bis jetzt nichts geworden sei. Nächstes Ziel der Linksfraktion wäre die Wiederbelebung einer Gaststätte mit Kegelbahn. Den entsprechenden Antrag in der BVV haben die übrigen Fraktionen allerdings abgelehnt. Begründung: Dies sei keine Aufgabe für die Politik. Höhnisch war von »Staatsbier« und »VEB Kegelbahn« die Rede. Doch davon lassen sich die Genossen nicht entmutigen, wenn es um die Wünsche und Belange der Bürger geht.

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