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Was möglich gewesen wäre
Alaa al-Aswani hat mit »Die Republik der Träumer« ein imposantes Gesellschaftspanorama zu Zeiten des Arabischen Frühlings geschaffen
Zehn Jahre nach dem Arabischen Frühling erinnert der in Kairo geborene Schriftsteller Alaa al-Aswani an die revolutionären Unruhen in seinem Heimatland. In seinem Roman »Die Republik der Träumer« lässt er die damaligen von den Aufständen in Tunesien inspirierten Proteste auf dem Tahrir-Platz wieder lebendig werden. Die Rebellion wandte sich vor allem gegen den von Korruption durchzogenen Staat, die Macht der Sicherheitsorgane und den Präsidenten Husni Mubarak, der ab 1982 mit Notstandsgesetzen regierte.
Die Träume der Protestierenden werden in Alaa al-Aswanis Roman unter anderem von dem jungen Ingenieur Mazen verkörpert. Er arbeitet in einer Betonfabrik, deren Hauptanteilseigner der italienische Bellini-Konzern ist. Dieser vernachlässigt das Werk systematisch und lässt Maschinen an andere Standorte schaffen. Die daraus resultierenden Verluste werden wiederum als Begründung für Entlassungen und Lohnkürzungen herangezogen. Getrieben von seinem Gerechtigkeitsempfinden organisiert Mazen als Mitglied des Betriebsrates Proteste gegen die Werksleitung. Dabei tritt er auch Issam Sha’alam, dem Direktor des Werkes, konfrontativ gegenüber. Dieser war ein enger Freund und politischer Kampfgenosse von Mazens verstorbenem, linksoppositionell organisiertem Vater. Doch anders als dieser hat Issam nach einer traumatischen Folterung dem politischen Kampf abgeschworen. Mit der Überzeugung, die Menschen in Ägypten seien seit jeher ein Volk von Sklaven, dem Aufstände nicht lägen, macht er als Geschäftsmann Karriere. Mazen gegenüber hegt er jedoch väterliche Gefühle.
Über eine geheime E-Mail-Adresse vertraut Mazen sich Asma an, die er bei den Treffen der Oppositionsbewegung Kifaja kennengelernt hat. Da Asma kein Kopftuch trägt und weder heiraten noch in den Golfstaaten arbeiten möchte, lebt sie im ständigen Konflikt mit ihrer Familie. Sie arbeitet als Lehrerin an einer Mädchenschule. Sie zieht den Ärger der Schulleitung auf sich, denn an der Schule ist es üblich, einen Teil der Inhalte in zusätzlichen privaten Nachhilfestunden zu vermitteln, um so weitere Einnahmen zu generieren. Eine Praxis, die Asma ablehnt.
Wie Asma und Mazen fühlen sich auch Dania und Chaled zueinander hingezogen. Sie studieren zusammen Medizin und führen im Labor kontroverse Gespräche über Religion, Moral und Gesellschaft. Chaled ist der Sohn eines Chauffeurs, der trotz seiner bescheidenen Verhältnisse alles daran setzte, seinem Sohn Zugang zu Bildung und Literatur zu ermöglichen. Dania wird hingegen von einer Limousine zur Universität gebracht. Sie ist die Tochter von Generalmajor Ahmed Alwani, dem der Geheimdienst untersteht. Der legt stets religiöse Tugendhaftigkeit und Bescheidenheit an den Tag. Er lässt es sich auch nicht nehmen, persönlich Folterungen beizuwohnen, um mit »kreativen« Vorschlägen Geständnisse zu erwirken. Bei wichtigen Entscheidungen, beispielsweise Grundstücksverkäufen oder die Karriere seiner Kinder betreffend, ruft er die entsprechenden Stellen an und bittet darum, dass die Mitglieder seiner Familie ohne Bevorzugung behandelt würden.
Der ironische Grundton, in dem der moralische Lebenswandel des Generalmajors geschildert wird, dessen Söhne »trotzdem« die wichtigen Stellen bekommen, um die sie sich beworben haben, wirkt ein wenig aus der Zeit gefallen. Auf ähnliche Weise schreibt der Autor auch über die schöne Fernsehmoderatorin Nurhan. Durch mehrmalige geschickte Verheiratung hat sich Nurhan gesellschaftlich hochgearbeitet und sich Vermögen und Einfluss gesichert.
Während die Demonstrationen auf dem Tahrir-Platz immer größer werden, langweilt sich der wohlhabende und meist arbeitslose Komparsendarsteller Ashraf Wissa. Frustriert über seine beruflichen Misserfolge und die Freudlosigkeit seiner Ehe frönt er dem exzessiven Haschischkonsum. Als Angehöriger der koptischen Minderheit kann er sich anders als muslimische Männer nicht von seiner Frau scheiden lassen. Deshalb vergnügt er sich mit dem Dienstmädchen Ikram. Als Ashraf von seinem Balkon aus sieht, wie Demonstrierende erschossen werden, beginnt er Anteil an der Bewegung zu nehmen.
Der Umsturz scheint zunächst erfolgreich, doch schon während der Geheimdienst die Abdankung des Präsidenten bekannt gibt, ist zu erahnen, dass der staatliche Verteidigungsmechanismus gerade erst warmläuft. Die Regierungsgewalt wird dem Militär übergeben und Generalmajor Alwani persönlich informiert Schauspielerinnen, Sportler, Industrielle und andere bekannte und einflussreiche Persönlichkeiten über ihre zukünftigen Aufgaben. Im Zentrum steht eine mediale Kampagne gegen die Aufständischen, aber Alwani trifft auch politische Absprachen mit dem Führer der Muslimbrüder. Der Moderatorin Nurhan gelingt es, die Medienoffensive geschickt für die weitere Absicherung ihres persönlichen Wohlbefindens zu nutzen, indem sie in ihrer Talkshow Vorbehalte gegen die Aufständischen schürt. Koptische Kirchen werden angezündet, um die Bewegung anhand von religiösen Linien zu entzweien. Versammlungen und Protestzüge werden vom Militär angegriffen. Panzer rollen gezielt über Demonstrierende hinweg. Massenweise werden die Protestierenden verhaftet und gefoltert. Wie einstmals gegen Issam Sha’alam wird sexualisierte Gewalt gezielt eingesetzt, um den Widerstand zu brechen.
Der in Ägypten verbotene Roman ist gespickt mit Seitenhieben gegen die Eliten Ägyptens. Alaa al-Aswani bietet als Person durchaus Angriffsfläche und ist unter anderem durch israelfeindliche Parolen aufgefallen. Doch sein neues Buch ist eine empathische Schilderung der Bemühungen der ägyptischen Protestbewegung. Anhand zahlreicher Figuren stellt er verschiedene Aspekte der politischen Auseinandersetzung dar, an der er selbst beteiligt war. Auch wenn der rasche Wechsel den Lesefluss oft hemmt, ist das Buch dennoch ein lesenswerter und geschickt verpackter Zeitzeugenbericht.
Alaa al-Aswani: Die Republik der Träumer. Carl Hanser Verlag München, 464 S., geb., 25 €.
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