Unvorbereitet, ungeimpft, ohnmächtig

Namibia und Südafrika gehören derzeit zu den Ländern mit besonders hohen Covid-19-Zahlen

  • Christian Selz, Kapstadt
  • Lesedauer: 4 Min.

Die dritte Coronawelle wütet im südlichen Afrika mit voller Härte. In Südafrikas Hauptstadtprovinz Gauteng liegen die Zahlen der täglich registrierten Infektionen doppelt so hoch wie in der zweiten Welle im Dezember/Januar. Schon damals mussten Krankenhäuser Patienten in Notzelten unterbringen, jetzt ist die Lage noch verzweifelter.

Aus Namibias Hauptstadt Windhoek kommen Berichte, wonach Krankenwagen Patienten nicht mehr abholen, weil keine der hoffnungslos überfüllten Kliniken noch Menschen aufnehmen kann. Die Infektionszahlen im Land sind im Vergleich zur ersten Juni-Woche auf das Dreieinhalbfache gestiegen. Vier von zehn Corona-Tests, so erklärte Präsident Hage Geingob kürzlich, fielen inzwischen positiv aus. Mit einer Sieben-Tage-Inzidenz von aktuell 432,8 nachgewiesenen Ansteckungen je 100 000 Einwohnern liegt das Land aktuell weltweit auf Rang drei, die Hauptstadt Windhoek verzeichnet noch weit höhere Werte. Auch in den anderen Ländern der Region steigen die Zahlen rasant.

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Die Regierungen der betroffenen Staaten reagieren größtenteils mit den gleichen Maßnahmen wie in der zweiten Welle: nächtliche Ausgangssperren, Restaurantschließungen, Reiserestriktionen zwischen Provinzen. In Südafrika und Namibia, wo die Mehrheit der städtischen Bevölkerung dicht gedrängt in kleinen Sozialhäuschen oder gar Wellblechhütten oft ohne eigene Toilette lebt und wo für die Allermeisten ein Restaurantbesuch unerschwinglich ist, kaschieren die eingeleiteten Schritte die Machtlosigkeit der Verantwortlichen bestenfalls. Für Einschränkungen, die der ohnehin gebeutelten Wirtschaft schaden würden, fehlen derweil schlicht die Mittel. Südafrika, mit Abstand stärkste Volkswirtschaft der Region, hat inzwischen sämtliche Nothilfen für Arme wieder gestrichen, die während des harten Lockdowns zu Beginn der ersten Infektionswelle eingeführt worden waren. Damals mussten mit Ausnahme essenzieller Dienste zur Lebensmittel- und Gesundheitsversorgung sämtliche Geschäfte und Betriebe schließen. Weil vor allem prekär Beschäftigte so über Nacht ihr Einkommen verloren und es Verzögerungen bei der Auszahlung der Hilfen gab, setzte wegen weit verbreiteten Hungers damals ein Ansturm auf Essensausgabestellen und Suppenküchen ein.

Dass nun auch die dritte Coronawelle den Süden Afrikas hart trifft, hat viele Gründe. Die lokalen Verwaltungen müssen sich vielerorts vorwerfen lassen, einmal mehr weitgehend unvorbereitet zu sein. Hektisch werden wieder Feldkrankenhäuser aus dem Boden gestampft und medizinisches Personal gesucht. Es fehlt an Sauerstoff, Beatmungsgeräten und teils sogar noch immer an Masken und Schutzausrüstung. Vor allem aber fehlt es an Impfstoff. In Südafrika haben erst etwas mehr als fünf Prozent der Bevölkerung eine Impfung bekommen, die allermeisten davon lediglich die erste Dosis. Die Folge: Das Land liegt bei der Inzidenz etwa gleichauf mit Großbritannien, verzeichnet aber 20 mal so viele Todesfälle – etwa 300 sind es pro Tag. In Namibia, wo erst 0,9 Prozent der Bevölkerung vollständig geimpft sind, musste die Impfkampagne aus Mangel an Vakzindosen in der vergangenen Woche vielerorts sogar unterbrochen werden.

Dabei sprechen die Staatschefs des südlichen Afrika die ungleiche globale Verteilung von Impfstoff seit Monaten klar und kritisch an. »Diejenigen, die Impfstoffe horten, müssen diese freigeben, damit andere Länder sie bekommen können«, forderte Südafrikas Staatschef Cyril Ramaphosa im Januar beim Weltwirtschaftsforum. Namibias Präsident Geingob sprach im April gar von »einer Form von Impfstoff-Apartheid«. Der Mangel wirkt umso gravierender, da Experten inzwischen davon ausgehen, dass aufgrund der größeren Übertragungsgefahr durch neuere Coronavirus-Mutanten eine höhere Impfquote notwendig wird. In Südafrika dominierte lange die regionale Beta-Variante; Wissenschaftler schätzen, dass die noch infektiösere Delta-Variante inzwischen drei Viertel der neuen Fälle ausmacht. Zu den anderen Ländern der Region fehlen belastbare Daten, in Sambia ist die Variante aber schon nachgewiesen worden. Die hohe Rate der Covid-19-Genesenen in Südafrika – je nach Region wurden bei 30 bis 60 Prozent der Probanden Antikörper festgestellt – scheint jedenfalls nicht vor neuen Wellen zu schützen.

Wofür man es macht - Menschen auf der ganzen Welt setzen sich für eine gerechte Verteilung der Impfstoffe ein - und für das Impfen selbst, sobald es möglich ist.

Das Bündnis »Berlin Postkolonial« hat die Bundesregierung angesichts der extremen Notlage in Namibia dazu aufgerufen, das Land »umgehend mit Masken, Covid-Tests, Sauerstoffapparaten, medizinischem Gerät und wirksamen Impfstoffen« zu unterstützen. Südafrika fordert zusammen mit vielen anderen Ländern zudem seit langem eine temporäre Aussetzung der Patentrechte für Corona-Impfstoffe. Blockiert wird das Anliegen vor allem von Deutschland. »Ein Patent macht noch keinen Impfstoff«, erklärte CDU-Gesundheitsminister Jens Spahn, gelernter Bankkaufmann, seinem Amtskollegen Zweli Mkhize, von Beruf Arzt, Ende Mai beim Besuch in Pretoria. Schließlich sei die Produktion von Impfstoffen »extrem komplex«.

Den Südafrikanern dürfte dieser Fakt allerdings bereits bekannt gewesen sein. Mitte Juni gaben sie bekannt, in Kooperation mit Frankreich und der Weltgesundheitsorganisation in Kapstadt eine Impfstoffproduktionsanlage auf Basis der mRNA-Technologie aufzubauen. Deutschland will den Technologietransfer lediglich mit Zahlungen an Pharmakonzerne begleiten.

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