Vereint gegen Verdrängung

Zwei Demos, ein Kampf – für bezahlbaren und lebenswerten Wohnraum für alle

  • Aina Kaufmann und Louisa Theresa Braun
  • Lesedauer: 4 Min.
Der Soundcheck läuft, immer wieder unterbrochen vom Nieselregen. Dutzende sind damit beschäftigt, Transparente zu positionieren und sich mit dem Wetter zu arrangieren. Es ist Dienstagnachmittag, gleich starten sie vor dem Wohnhaus Hermannstraße 48 die Demonstration gegen den Ausverkauf ihres Bezirks. »Neukölln gegen Verdrängung«, unter diesem Motto haben mehrere Hausprojekte dazu aufgerufen. Die Laune ist dennoch besser als das Wetter. Mit Musik und unter dem Jubel der Nachbarschaft ziehen sie durch den Bezirk.

Parolen wie »Kein Gott, kein Staat, kein Mietvertrag« begleiten die Menge. Mieter*innen, Aktivist*innen und Politiker*innen machen in ihren Redebeiträgen klar: Sie werden den Kampf gegen Luxussanierungen, Mieterhöhungen und den Verkauf an Unbekannte nicht aufgeben. Sie fordern Vergesellschaftung, Enteignung profitorientierter Vermieter*innen, Kündigungsschutz und »bezahlbaren und lebenswerten Wohnraum« für alle.

Als »Solidarität in der Konkurrenz« bezeichnet Paula Krämer, Mieter*in und Vereinssprecher*in des Hausvereins »Finow Ecke Weser« den Widerspruch, in dem sich die Hausprojekte befinden. Einerseits sind sie alle in der gleichen Lage und versuchen ein Zeichen zu setzen und Aufmerksamkeit zu erregen, andererseits konkurrieren sie um Unterstützung bei der Ausübung von Vorkaufsrechten. Sei es durch Zuschüsse vom Land oder Engagement von Genossenschaften oder anderen potenziellen Käufern.

Der Hausverein »Finow Ecke Weser« entstand aus der Angst vor Verdrängung. Der Verkauf des Hauses an Unbekannte Anfang Juni sorgt die jahrelangen Mieter*innen. Sie haben bis zum 9. August Zeit gemeinwohlorientierte Käufer*innen zu finden, um nicht in den Händen einer GmbH zu landen.

»Wir sind alle am Rand unserer Kräfte«, sagt Krämer zu »nd«. »Laut sein« sei die Prämisse. Was des genau heißt, müsse man aber selbst herausfinden. Viele Hausgemeinschaften wollen die Ausübung des Vorkaufsrechts durch den Bezirk. Dafür braucht es gemeinwohlorientierte Partner*innen wie Genossenschaften oder Wohnungsbaugesellschaften.

»Die Entscheidung hängt von der Senatsverwaltung ab«, sagt der Neuköllner Stadtentwicklungsstadtrat, Jochen Biedermann, (Grüne) zu »nd«. Auch er ist bei der Demo. Ob die Suche nach gemeinwohlorientierten Käufer*innen von Erfolg gekrönt werde, wisse man erst nach Fristablauf.

Der einzige Weg gegen die Verdrängung sei die Ausübung von Vorkaufsrechten und die Vernetzung der Betroffenen, glaubt Ulf Heitmann, Vorstand der Wohnungsgenossenschaft Bremer Höhe. Sie hat erst kürzlich das Haus Schönhauser Allee 135 in Prenzlauer Berg gekauft. Das gelang aber nur, weil die Bewohner*innen hohe Genossenschaftsanteile gezeichnet hatten. »Ohne Förderung sind die meisten Genossenschaften beim Vorkaufsrecht raus«, sagt Heitmann. Vor allem für den Bestandserwerb würden viel mehr Mittel benötigt. »Es ist eine politische Entscheidung Genossenschaften so zu unterstützen, dass sie Immobilien kostendeckend bewirtschaften können«, sagt er.

Wer schuld ist an steigenden Mieten und Verdrängung, wird zur selben Zeit am anderen Ende Berlins, vor dem Steigenberger Hotel am Los-Angeles-Platz, in der Nähe des Kurfürstendamms, klar gemacht. Etwa zwei Dutzend Menschen vom Bündnis »Zwangsräumung verhindern« versammeln sich hier zu einer Kundgebung gegen die »Berliner Immobilienrunde«, die sich am Dienstag in dem Hotel zur Veranstaltung »Steuerliche Risiken in Deutschland für Vermögende bei Änderung der politischen Rahmenbedingungen – und Lösungsstrategien« traf. »Hier überlegen die Immobilienfuzzis, wie sie ihr Geld so anlegen, dass sie möglichst wenig Steuern zahlen und noch reicher werden. Das ist eine Frechheit«, sagt Valentina Hauser.

In dem Seminar ging es unter anderem darum, wie Vermögen ins Ausland verlagert oder durch die Gründung einer Stiftung vermehrt werden kann. »Die Superreichen profitieren von der Arbeit anderer und besitzen die Wohnungen, in denen wir leben. Unser Zuhause ist für sie ein Anlageobjekt. Wir müssen uns gemeinsam dagegen wehren«, findet Tim Redel vom Bündnis »Zwangsräumung verhindern«. Schon jetzt gehörten 20 Prozent der Deutschen 75 Prozent des Immobilienkapitals. »Für viele Menschen sind die Auswirkungen des Kapitalismus existenziell. Mieter*innen werden zwangsgeräumt und systematisch verdrängt«, ergänzt Sara Walther. Ein Sprecher von »Young Struggle« erinnerte an Peter Hollinger, einen Berliner Musiker, der sich kurz vor der drohenden Zwangsräumung im Mai das Leben nahm.

Die Teilnahme an der Konferenz der Immobilienrunde kostet 1230 Euro pro Person. »Das verdienen wir ja kaum im Monat«, sagt Erich Dunkel und richtet solidarische Grüße an das Personal, das im Steigenberger Hotel putzt, an der Rezeption oder in der Küche arbeitet. Mieter*innen und Arbeiter*innen sollten gemeinsam gegen Ausbeutung und Verdrängung kämpfen. Auch wenn die Seminarteilnehmer*innen von der kleinen Kundgebung wohl nicht viel mitbekommen haben dürften, ist Sara Walther sicher: »Wir sind zwar heute nur wenige, aber wir sind ansteckend.«

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