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Testballon im Urlaubsparadies Phuket
Der Tourismus, Rückgrat der thailändischen Wirtschaft, soll schrittweise wieder starten - eine riskante Strategie angesichts jüngster Infektionszahlen
Thailands Premierminister Prayuth Chan-o-Cha wird die ganze Woche seine Amtsgeschäfte in der Quarantäne betreiben. Wie ein Regierungssprecher am Montag mitteilte, handle es sich um eine Vorsichtsmaßnahme, nachdem der Chef der Handelskammer von Surin im Norden des Landes positiv auf das Coronavirus getestet wurde. Er und der Regierungschef hatten am 1. Juli bei der Zeremonie zur Wiedereröffnung der Insel Phuket für den Urlauberverkehr engen Kontakt.
Schon diese Mitteilung illustriert, in welchem Dilemma sich die Politik in dem südostasiatischen Königreich befindet. Einerseits will man mit ausgefeilten Konzepten ein schrittweises Wiederhochfahren der Wirtschaft in die Wege leiten, deren Rückgrat der Tourismus ist. Andererseits wird auch Thailand von einer neuen Infektionswelle heimgesucht. Zuletzt gab es pro Tag 6000 weitere Fälle und 50 Tote. Über 90 Prozent der inzwischen knapp 300 000 Infizierten gehen auf die drei Monate seit April zurück. Im gesamten Jahr 2020 hatte das Land durch eine strikte Abschottung nach außen nur ganze 7000 Fälle gezählt. Einreisende müssen seither sofort in Quarantäne.
Teller und Rand ist der neue ndPodcast zu internationaler Politik. Andreas Krämer und Rob Wessel servieren jeden Monat aktuelle politische Ereignisse aus der ganzen Welt und tischen dabei auf, was sich abseits der medialen Aufmerksamkeit abspielt. Links, kritisch, antikolonialistisch.
Auf einen Schlag die Grenzen wieder für Besucher zu öffnen, kam angesichts dieses erfolgreichen Agierens im ersten Jahr der Pandemie nicht infrage. Und so wurde ein Konzept entwickelt, den Tourismus etappenweise unter strengen Auflagen und Kon-trollen neu zu starten und für Phase 1 die beliebteste Urlauberinsel Phuket auszuwählen. Das Pilotprojekt mit dem Titel »Phuket-Sandbox« erschien lange Zeit wohlüberlegt und realistisch. Doch die Rahmenbedingungen haben sich gravierend geändert. Nicht nur, dass aus immer mehr der 75 Provinzen lokale Infektionscluster gemeldet werden. Gerade mit der seinerzeit in Indien erstmals nachgewiesenen und auch in Südostasien grassierenden Delta-Variante des Virus hat sich zudem eine neue Quelle höherer Ansteckungsraten ergeben.
»Die Erklärung des Premierministers eröffnete den touristischen Unternehmen das erste Quäntchen Licht nach einem Jahr im Schatten von Corona«, heißt es in einem Hintergrundbeitrag, den das führende Wirtschaftsblatt »The Nation« zum Start am 1. Juli veröffentlichte. Erinnert wurde darin noch einmal in nackten Zahlen daran, was dieser Wirtschaftszweig für die viertgrößte Touristendestination der Welt bedeutet: 2019, im Jahr vor Beginn der Pandemie, wurden 40 Millionen ausländische Besucher gezählt, noch einmal ein Anstieg gegenüber den 38,18 Millionen im Jahr davor. Auch der Geldbetrag, den die Urlauber zugunsten der heimischen Wirtschaft ausgaben, wuchs leicht von 1,87 auf 1,91 Billionen Baht, umgerechnet etwas mehr als 50 Milliarden Euro. Noch einmal gut 50 Prozent dieser Werte steuerte der inländische Tourismus bei. Dann kam Corona - mehr als ein Jahr war die Einreise für Gäste aus der EU, Nordamerika, Russland, China und anderen Herkunftsstaaten nicht möglich. Auch die Werte bei einheimischen Besuchern und ihren finanziellen Ausgaben brachen um die Hälfte ein. Die Branche, die selbst nach dem Tsunami 2004, der Sars-Epidemie und den schweren Überschwemmungen von 2011 jeweils nur drei bis sechs Monate zur Erholung brauchte, steckt wegen Corona in ihrer tiefsten Krise.
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Ein Hoffnungszeichen sollte nun sein, dass am 1. Juli die ersten 322 Gäste in Phuket eintrafen. Sie kamen mit Flügen aus Israel, Singapur, Katar und Abu Dhabi. Zugelassen sind Besucher aus 63 Ländern, auch aus Deutschland. Sie müssen sich aber in den drei Wochen vor ihrer Abreise in ihren Heimatländern aufgehalten haben.
Laut dem Öffnungskonzept wird die Einreise nur vollständig geimpften Touristen mit Sonderzertifikat erlaubt, die per Direktflug in Phuket landen und dort nach Ankunft auch noch getestet werden. Sie müssen eine offizielle Tracking-App nutzen, mit der der Aufenthaltsort zu jedem Zeitpunkt nachverfolgt wird, und dürfen erst nach 14 Tagen in andere Landesteile reisen. Im dritten Quartal sollen auf diese Weise 100 000 ausländische Besucher auf der Insel empfangen werden. Im vierten Quartal hofft man sogar auf 280 000 Gäste - unter der Voraussetzung, dass sich alle an die strengen Regeln halten, wie die »Bangkok Post« schreibt. »Viele Herausforderungen bleiben weiterhin bestehen«, wird Bhumkitti Ruktaengam, Chef der Phuket-Tourismus-Vereinigung, zitiert.
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Die zweite Phase der Öffnung beginnt am 15. Juli. Dann dürfen Touristen auch auf der Inselgruppe Koh Samui landen. Wie Phuket hatte die Region deshalb eine bevorzugte Impfstoff-Zuteilung gegenüber anderen Provinzen erhalten: Das Ziel, beim Neustart des Tourismus rund 70 Prozent der lokalen Bevölkerung geimpft zu haben, wurde laut aktuellen Meldungen in Koh Samui erreicht, in Phuket knapp verfehlt. Insgesamt musste Thailands Impfkampagne zuletzt Rückschläge hinnehmen. Schon im Juni stockten die Lieferungen von Astra-Zeneca, in der Masse das wichtigste der fünf bisher zugelassenen Vakzine. Im Juli sollen statt geplanter zehn Millionen Dosen lediglich fünf bis sechs Millionen kommen, so einheimische Medien.
Nicht nur für den bereits doppelt geimpften Premier und seine Minister, sondern für das ganze Land sind das angesichts der Lage schlechte Meldungen. »Mir ist klar, dass es riskant ist, Phuket zu öffnen«, sagte Premier Chan-o-Cha. »Aber es ist ein Risiko, das wir im Interesse unseres Landes eingehen müssen.«
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