Werbung

Ohne Chefallüren für die Bürger

Wie der moldauische Bürgerkongress die linke Parteienszene in Osteuropas korruptestem Staat aufmischen will

  • Birger Schütz
  • Lesedauer: 4 Min.

Junge Frauen und Männer, die auf einer Demonstration fröhlich weiße und rote Fahnen schwenken, pathosschwere Musik und eine kämpferisch wirkende Stimme, die versichert: »Wir sind viele! Tausende unterstützen den Bürgerkongress, die Partei, welche den Staat ändern kann, einen Plan für Veränderungen anbietet und konkret handeln will!«

Die dynamisch ins Bild gesetzten Szenen stammen aus einem Wahlkampfclip der jüngsten linken Kraft, die bei den moldauischen Parlamentswahlen antritt - dem vor rund anderthalb Jahren gegründeten Bürgerkongress. Dieser versteht sich laut Wahlprogramm als »Moldaus erste Antikrisenpartei« und verspricht nicht mehr und nicht weniger als die »grundlegende Änderung des gesamten Systems der sozialen Beziehungen«. Gemeint ist die Abkehr vom Fetisch des ökonomischen Wachstums um jeden Preis. Stattdessen solle die dringend zu modernisierende Wirtschaft der früheren Sowjetrepublik den Bedürfnissen ihrer Bürger dienen. Voraussetzung dafür sei eine Förderung der Zivilgesellschaft. Beteiligung und Sozialpolitik statt Wachstumszahlen. So ungewöhnlich wie das ambitionierte Ziel ist auch der bewusste Verzicht auf die in Moldaus Wahlkämpfen üblichen Debatten um den geopolitischen Kurs zwischen der EU und Russland und das abtrünnige Transnistrien. Die außenpolitischen Spiegelfechtereien und den in Moldaus linkem Spektrum beliebten Streit um ideologische Ismen bezeichnet der Kongress als Opium, das von echten Problemen wie Armut, Korruption und Abwanderung ablenkt.

Was den Bürgerkongress für Moldau - und andere postsowjetische Staaten - aber zu einer echten Ausnahmeerscheinung macht, ist der bewusste Verzicht auf den Posten eines Parteivorsitzenden. Stattdessen hat sich der Kongress dem Prinzip der kollektiven Führung verschrieben: Ein auf dem Parteitag gewähltes 17-köpfiges Exekutivkomitee kümmert sich um die organisatorische Arbeit und das politische Tagesgeschäft. Dass dieses auch einen Leiter des Parteiapparates bestimmt, widerspricht dem Selbstverständnis der Partei nicht. Es handele sich um einen technischen Posten, der unter Kontrolle des Exekutivkomitees stehe.

Moldauische Politologen sprechen angesichts des innovativen Profils von einer Partei neuen Typus’ und ordnen den Bürgerkongress der neuen Generation europäischer Linksparteien wie der spanischen Podemos oder der griechischen Syriza zu. Andere Beobachter ziehen Parallelen zu den sozialdemokratischen Parteien Skandinaviens.

Bei aller betonten Führungslosigkeit: Der maßgebliche Mann hinter hinter dem Bürgerkongress heißt Mark Tkaciuk . Der 54-Jährige mit dem charakteristischen Vollbart ist kein Unbekannter in der moldauischen Politik. Rund anderthalb Jahrzehnte wirkte der studierte Historiker als umtriebiger Parlamentsabgeordneter, effektiver Wahlkampfstratege und einflussreicher Vordenker der moldauischen Kommunisten (PKRM), die zwischen 2001 und 2009 als einzige kommunistische Partei in einem Nachfolgestaat der Sowjetunion eine Mehrheitsregierung stellten. Beobachten stuften Tkaciuk, der Altpräsident Wladimir Woronin auch als innenpolitischer Berater diente, in dieser Zeit als einen der wichtigsten moldauischen Polittechnologen ein. Mit dieser Bezeichnung werden im postsowjetischen Raum Berater beschrieben, welche die Politik anhand ausgeklügelter Strategien und Techniken nach den Vorgaben ihrer Auftraggeber lenken.

Der bestens vernetzte Tkaciuk verankerte die konservative und moskaufreundliche PKRM in der Europäischen Linken (EL), trieb die Distanzierung von der stalinistischen Periode Moldaus voran, machte sich für eine Zuwendung zur EU stark und kritisierte Nationalismus und Autoritätsgläubigkeit vieler kommunistischer Parteien auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion.

Seinen Ruf als kreativer Macher bewahrte sich Tkaciuk auch, nachdem Woronin in Folge der gescheiterten Präsidentschaftswahl 2009 zurücktreten musste. Um wieder attraktiver für die Wähler zu werden, warf Tkacius Parteimitglieder, die sich während Woronins Ägide bereichert hatten, aus der Partei. Darunter der spätere Präsident Igor Dodon. Außerdem mobilisierte er Tausende Moldauer mit sogenannten Sozialen Märschen zu Protesten gegen die Regierung.

Mit seinem Durchgreifen machte sich Tkaciuk mächtige Feinde. Im Sommer 2014 legte er erst sein Mandat im Parlament nieder und wurde anschließend auf Initiative von KP-Chef Woronin aus der Partei geworfen. Dieser begründete den Ausschluss unter Anspielung auf Gerüchte um angebliche jüdische Wurzeln Tkaciuks mit dessen »nichtmoldauischer Herkunft«.

Tief enttäuscht erklärte dieser daraufhin, sich fortan der Wissenschaft zu widmen. »Ich sehe für mich keine besondere politische Zukunft und beende jegliche politische Tätigkeit.« So ganz ohne Politik hielt es der umtriebige Aktivist aber nur etwa fünf Jahre aus. Nach dem überraschenden Sturz des milliardenschweren Oligarchen Vlad Plahotniuc und seiner Demokratischen Partei (DP) im Jahr 2019 gründete Tkaciuk den Bürgerkongress, der mittlerweile etwa 5500 Mitglieder hat. Umfragen zufolgen kann die Partei auf bis zu zehn Prozent der Stimmen hoffen.

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

Vielen Dank!