Jedes Tempolimit hilft

30, 80, 120 - neue Geschwindigkeitsbegrenzungen braucht das Land laut einem Verbändebündnis

  • Jörg Staude
  • Lesedauer: 4 Min.

Was ist ein schöne Straße? Das hatte sich Ragnhild Sørensen vom Verein Changing Cities gefragt und im Netz drei Vorzeigebeispiele in Freiburg und Berlin gefunden. Eine schöne Straße sei «verkehrsberuhigt, mit viel Grün, wenig Lärm, guter Luft und einer »hohen Aufenthaltsqualität«, sagt Sørensen am Dienstag. Diese Dinge seien - neben mehr Sicherheit - zu gewinnen, wenn der Straßenverkehr in den Städten verlangsamt wird.

Für Sørensen ist klar, dass eine Mehrheit der Bevölkerung Tempo 30 in den Städten begrüßen würde. Eine Reihe europäischer Städte habe das auch schon eingeführt. Sieben deutsche Großstädte kündigten kürzlich an, Tempo 30 zu erproben und 50 Kilometer pro Stunde nur noch auf wenigen Ausfallstraßen zuzulassen.

Während sich Tempo 30 in den Innenstädten bereits schleichend ausbreitet, konzentriert sich der politische Streit darauf, ob man die Geschwindigkeit auf den Autobahnen generell begrenzt und auf Bundesstraßen absenkt. Diese Forderungen bekräftigte am Dienstag ein vor zwei Jahren gegründetes Bündnis aus Umwelt- und Verkehrsverbänden sowie der Gewerkschaft der Polizei Nordrhein-Westfalens bei einem Medientermin. In ihrem 100-Tage-Programm müsse die künftige Bundesregierung Tempolimits beschließen: 120 auf Autobahnen, 80 außerorts und 30 in der Stadt. Wie Jürgen Resch, Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe (DUH), erklärte, ließen sich so bis 2034 insgesamt bis zu 100 Millionen Tonnen CO2 einsparen.

Diese Zahl liegt deutlich über bisherigen Schätzungen, was ein Tempolimit klimapolitisch bringen würde. Der DUH-Chef verweist auf neuere Berechnungen des Umweltbundesamtes (UBA). Diese ergaben ein jährliches CO2-Einsparpotenzial für Tempo 130 auf Autobahnen von 2,2 Millionen Tonnen, für Tempo 120 von 2,9 Millionen und für Tempo 100 sogar von 6,2 Millionen Tonnen, ausgehend von der Fahrleistung im Jahr 2018. Damit kommen rechnerisch aber auch keine 100 Millionen Tonnen bis 2034 zusammen. Das UBA habe »konservativ« gerechnet, erläuterte Resch auf Nachfrage. Es habe den aus dem Tempolimit resultierenden Trend zur Verkehrsverlagerung auf den öffentlichen Verkehr sowie zu leichteren und weniger motorisierten Autos nicht berücksichtigt.

Zudem habe das UBA angenommen, dass sich nur 83 Prozent der Autofahrer ans Tempolimit halten würden, sagte Resch. Dank moderner Geschwindigkeitskontrollen wie Section Control - dabei wird die Geschwindigkeit abschnittsweise als Mittel und nicht punktuell wie bei einem »Blitzer« gemessen - ließe sich die Tempodisziplin nach Resch deutlich erhöhen.

Dass auch die Tempolimit-Gegner in CDU, CSU und FDP an dem Instrument letztlich nicht vorbeikommen werden, ergibt sich nach Lesart des DUH-Chefs daraus, dass ohne das Tempolimit das im Klimaschutzgesetz vorgegebene CO2-Budget für die Bundesrepublik nicht eingehalten werden könne. »Es kann doch nicht angehen, dass alle vom Klimaschutz reden, wir aber dort, wo wir uns weltweit blamieren, weiter untätig bleiben.«

Für die DUH bleibt das Tempolimit das Mittel, das den größten Einzelbeitrag zum Klimaschutz im Verkehr leisten könnte. Die Umwelthilfe erhöht hier auch mit einer Sektorklage vor dem Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg den juristischen Druck auf die Regierung.

Das Verbändebündnis erwartet jedenfalls, dass das Thema Tempolimit trotz der jüngsten ablehnenden Äußerungen von Unionskanzlerkandidat Armin Laschet (CDU) und Noch-Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) nicht abgeräumt werden kann, sondern weiter präsent sein wird. Dafür werde das Bündnis auch sorgen, sagte Kerstin Haarmann, Bundesvorsitzende des ökologischen Verkehrsclubs VCD. »Es gibt gute Gründe für ein Tempolimit, alles andere ist eine Emotionalisierung.« Resch machte auch darauf aufmerksam, dass sich inzwischen drei der im Bundestag vertretenen demokratischen Parteien - SPD, Linke und Grüne - für ein Tempolimit auf Autobahnen einsetzen, Die Linke für Tempo 120, SPD und Grüne für 130. »Das ist eine signifikante Änderung gegenüber dem Wahlkampf von vor vier Jahren«, meinte der DUH-Chef.

Neben dem Klimaschutz führte das Bündnis auch weitere Argumente an, die für ein Tempolimit sprechen. Das stärkste ist weiterhin die Verkehrssicherheit. »Auch wenn Autobahnen noch immer die sichersten Straßen Deutschlands sind, ist jeder Unfalltote einer zu viel«, erklärte am Dienstag Michael Mertens, Vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei in NRW. Nach Meinung von Experten könnte ein Autobahn-Tempolimit von 130 jährlich 80 Menschenleben retten, so Mertens.

Für ihn zählt dabei das Argument nicht, dass es immer weniger »freie« Strecken auf den Autobahnen gebe. Mehr als zwei Drittel der Autobahnen seien ohne Tempolimit, und 70 Prozent der auf Autobahnen zu Tode Gekommenen verunglückten genau dort, schilderte der Polizeigewerkschafter die Situation.

Explizit wollte sich Mertens der Forderung der DUH und anderer Organisationen im Bündnis nach Tempo 120 zwar nicht anschließen. Er schrieb aber in seiner Präsentation: »Jedes Tempolimit hilft. Egal ob genau 130 oder weniger.«

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