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Kalkulierte Absicherung
Naturereignisse werden häufiger und teurer - die Assekuranz sucht nach Wegen, aus der Situation Gewinne herauszuschlagen
Nach den Sturzfluten in der vergangenen Woche befürchtet die deutsche Versicherungswirtschaft, dass dieses Jahr eines der schadenträchtigsten seit 2013 werden könnte. Damals waren nach tagelangen Regenfällen von Ende Mai bis Anfang Juni weite Teile Mitteleuropas überschwemmt worden.
Das Problem ist ein gutes Maß hausgemacht. Bereits im 20. Jahrhundert hatten sich nach Angaben der Munich Re die volkswirtschaftlichen Schäden durch Naturereignisse um den Faktor 15 erhöht. Der Rückversicherer hatte daher bereits 1974 einen Geowissenschaftler eingestellt, Gerhard Berz. Bald arbeiteten Dutzende Meteorologen, Hydrologen, Seismologen, Geologen, Geophysiker und Geografen in der Geo-Risiko-Forschung des weltgrößten Rückversicherers. Die Branche erwartet, dass die Zahl der extremen Naturereignisse noch zunehmen wird.
Zwei weitere Trends bereiten den Branchenwissenschaftlern Kopfschmerzen. Die einzelnen Unwetter werden im Schnitt kostspieliger, außerdem nimmt die Zahl der Großkatastrophen zu. Schon Berz nannte als Hauptgrund dafür »die Konzentration von Bevölkerung und Werten in immer mehr und in immer größeren Städten«. Metropolen liegen häufig in geologisch riskanten Gebieten wie Tokio an gefährdeten Küsten oder in Erdbebenzonen wie San Francisco. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts gab es drei Städte mit mehr als einer Million Einwohner, heute sind es etwa 500. Extreme Naturereignisse werden oft erst in solchen Ballungsräumen zur immensen menschlichen Katastrophe.
Die Ausschläge in einzelnen Jahren sind gewaltig. Weltweit betrugen die Verluste nach Naturereignissen im Jahr 2000 rund 106 Milliarden Dollar, im bisherigen Spitzenjahr 2011 waren es 557 Milliarden, 2020 »nur« 268 Milliarden Dollar, so das Beratungsunternehmen Aon. Tendenziell, da ist sich die Branche einig, nehmen die Folgen in Euro und Dollar aber zu.
Ein zweiter Trend bewegt die Assekuranz: Die wachsende Anzahl an Naturkatastrophen und deren schlimmere Ausmaße sorgen dafür, dass mehr Privatleute und Unternehmen Policen abschließen. Von den Schäden war zu Beginn der 1980er Jahre selbst in Industrieländern nur rund ein Viertel versichert, heute sind nach Angaben des Versicherungsverbandes GDV hierzulande 46 Prozent aller Gebäudebesitzer gegen »Elementarschäden« abgesichert. »In Entwicklungs- und Schwellenländern liegt der versicherte Anteil nach wie vor bei weit unter zehn Prozent, oft bei nahe Null«, heißt es bei Munich Re.
Der Trend hierzulande lässt einerseits die Kassen bei den Versicherern klingeln, andererseits belasten Extremereignisse wie vergangene Woche die Bilanz schnell mit dreistelligen Millionenbeträgen. In Deutschland zahlt die Assekuranz für die gesamten Schäden infolge von Ereignissen wie Hagel, Gewitter oder Tornado rund vier Milliarden Euro pro Jahr. Um ihre damit verbundenen Risiken besser abschätzen zu können, hat der GDV erst wenige Tage vor der jüngsten Katastrophe ein eigenes Geoinformationssystem gestartet, welches das Risiko von Starkregen für Gebäude besser bewerten soll. Dies könnte zur Folge haben, das Versicherungspolicen in häufig betroffenen Gebieten erheblich teurer werden.
Auch die Munich Re weist auf die Zersiedelung von Landschaften und Ortschaften als Problemverstärker hin. »In betroffenen Gebieten steigt die Dichte und der Wert von Immobilien und Infrastruktur«, erklärt ein Sprecher. Viele Kommunen steuern zwar gegen: »Seit den Rheinhochwassern in den 1990er Jahren wird in Deutschland zunehmend ein integriertes Management verfolgt, das in den letzten Jahren auch vermehrt auf Starkregen übertragen wird«, sagt Annegret Thieken, Naturrisikenforscherin an der Uni Potsdam. Aber Gemeinden wiesen seit Jahren verstärkt attraktive, teure Wohngebiete in Wassernähe aus, um ihre Steuereinnahmen zu puschen. Bei den Risiken drückt man ein Auge zu.
Häuslebauer zeigen nicht immer die nötige Bereitschaft, ihr Eigentum etwa durch Wasserbarrieren zu sichern, klagt die Versicherungswirtschaft. Das gilt auch für die Industrie. Während BASF am Rhein bei Ludwigshafen oder der Maschinenbauer Schmale im überfluteten Altena munter weiter produzieren, meldet der Kupferproduzent Aurubis für sein Zweigwerk in Stolberg bei Aachen: Nichts geht mehr! Ob der Konzern hinreichend versichert war, wird sich zeigen.
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