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Schmeckt und riecht nach Hauptstadt
Das Lokale im Internationalen: Die Ausstellung »Berlin Global« im Humboldt-Forum beleuchtet die Verschiebung von Grenzziehungen
Dit is Berlin, wa: »Berlin Global«, die neueste Berlin-Ausstellung des Stadtmuseums. Das Icke-Berlin, das coole Berlin und das Katastrophen-Berlin, alles auf 4000 Quadratmetern. Berlin sieht sich selber an, im Nach- und Neubau des Stadtschlosses, aus Imagegründen Humboldt-Forum genannt. Im touristischen Herz des behaupteten Neotraditionalismus. Das Lokale soll im Internationalen herausgestellt werden. Merke: Jede/r zweite wurde nicht hier geboren.
Die Erzählung von »Berlin Global« geht so: Man ist zugleich der kritische Geist und der Ort des Normalen im Gebäude des Unwirklichen, im ersten Stock des Humboldt-Forums. Ein Angebot »für Leute, die sonst nicht ins Museum gehen«, wie der Kultursenator Klaus Lederer (Linke) beim Pressetermin Ende Juni sagte. »Eine Ausstellung für alle von vielen«, ergänzte Simone Leimbach von der Agentur Kulturprojekte, die sie in Kooperation mit dem Stadtmuseum entwickelt hat, im doch sehr monumentalen Humboldt-Forum; einem Bau, der erkennbar aus »dunkler, vordemokratischer Zeit« (Lederer) inspiriert ist. Paul Spies, der Chef des Stadtmuseums, möchte die Ausstellung als Ausdruck eines »Weltdenkens« verstanden wissen: »Don’t wait for politics, just do it«.
»Berlin Global« ist der sechste Standort des Stadtmuseums. Ursprünglich war hier einmal eine Kinderbibliothek geplant. Ein verspielter Ansatz ist geblieben. Viele Leinwände zeigen Animationen und Filme und es gibt ein ausgefuchstes Digitalsystem für die Besucher, die ein Chip-Armband anlegen können, um mit der Ausstellung Verbindung aufnehmen zu können (in zwölf Sprachen). Mit diesem »Ticket zur Vernetzung« wird man befragt, informiert und auch irritiert, ganz so, als könnte man mit dieser Ausstellung sprechen. Oder mit anderen Besucher*innen: in einer Lounge am Ende des Rundgangs mit einer »Begegnungsarchitektur«, die sich »Berliane« nennt. Ein sich durch den Raum windendes pflanzenartiges Dings aus Plastik mit Sitzgelegenheiten.
Man kann aber auch ganz althergebracht analog durch die Ausstellung spazieren und sich überraschen lassen, wenn man beispielsweise die Stadt aus der Perspektive einer Honigfliege betrachtet: »Smell Berlin«. Zum Riechen und Raten gibt es die Gerüche Gras, Rosen, Erde, Pfütze, Hundekot - und bemerkenswerterweise Lavendel.
Im Raum »Revolution« ist man nur zusammen stark. Gemeinsam mit anderen Besucher*innen kann man am »Rad der Geschichte« drehen, denn alleine schafft man es nicht, die Revolten und Revolutionen der Stadt auf Leinwänden aufleuchten zu lassen. Was war wichtiger? 1848, 1918 oder 1989? Bonusmaterial sind der Aufstand 1953 in Ostberlin und die Studentenbewegung 1967/68. Nicht zu vergessen die Jugendbewegungen der Stadt, vom Wandervogel 1901, über den »Tunix«-Kongreß der Spontis 1978 bis zur Hip-Hop-Szene 1991. Der Übergang von der »Revolution« zur Abteilung »Freiraum« ist fließend, meist wird nur im kleinen Maßstab gesiegt. Aber auch verloren, wie die Schließungen der Jugendzentren Drugstore und Potse in Schöneberg zeigen. Sie haben hier eine eigene Ecke bekommen - und auch mitgeholfen, diese zu gestalten.
Partizipation ist der große Anspruch von »Berlin Global«. Die Abteilung »Mode«, in der die gegenwärtigen Berliner Kleidungsstile in Schaufenstern zu sehen sind (zum Beispiel »Öko Boho«), wurde mit Schüler*innen des Oberstufenzentrums für Mode und Bekleidung entwickelt. In der Abteilung »Vergnügen« haben Hip-Hop-Künstler beraten, darunter auch die Pioniere der türkischsprachigen Crew Islamic Force aus den 80ern. Zu sehen ist auch die erste Hip-Hop-Platte der DDR, von der Electric Beat Crew, englischsprachig. Und die Tresor-Tür des gleichnamigen legendären Techno-Clubs. Wer will, kann sich Kopfhörer aufsetzen und tanzen. Oder wie es im Graffiti der Potse heißt: »Punk ist, was man draus macht«.
Das gilt aber auch für Immobilien. Ein eindrückliches Symbol für die Kommerzialisierung der Stadt ist eine Grabstelle für die Kaltmiete 6,20 Euro den Quadratmeter, konzipiert von der Künstlergruppe Rocco und seine Brüder. Des Weiteren zu sehen: die berühmten Lampen »im neuesten 70er-Jahre-Design« aus dem Palast der Republik, der für den Bau des Humboldt-Forums abgerissen wurde, auch um mit ganz großer Geste zu zeigen, wer den Kalten Krieg verloren hat.
Hat es erst Patina, wird es aussehen, als wäre es nie weg gewesen
Rund 800 Jahre Berliner Stadtgeschichte bündeln sich an dem Standort, an dem das einstige Stadtschloss als Humboldt-Forum wiederauferstanden ist
An der Wand in der Abteilung »Vergnügen« hängt ein Jimi-Hendrix-Konzert-Plakat neben einem von Dean Reed. Ebenso wird an Max Reinhardt erinnert, den Theaterregisseur, der verschiedene Berliner Bühnen revolutionierte und dann als Jude vor den Nazis floh.
Die Tresortür stammt aus dem Tresor-Raum des ehemaligen Wertheim-Kaufhauses Leipziger Straße, die Besitzer wurden 1937 von den Nazis enteignet. Berlin war lebensgefährlich: 1941 beginnen die Deportationen von Berliner Juden. Rahel Mann, geboren 1937, wurde von Nachbarn in einem Kellerverschlag versteckt und 1945 von Rotarmisten gerettet und wieder aufgepäppelt. Im Katalog erinnert sie sich an halbvolle Teelöffel aus der Gulaschkanone. Die Abteilung »Krieg« kommt gleich nach »Vergnügen« als Kontrastprogramm. In der Mitte einer dieser riesigen Globen, die in den Büros der Nazi-Regierung standen und die das Terrain zeigten, das zurück- oder wieder erobert werden sollte. Besonders herausgehoben die 1918 verlorenen deutschen Kolonien in Afrika und der Südsee. An den Wänden die Fakten zur Niederschlagung des »Boxeraufstands« in China und zum Völkermord an den Herero und Nama, aber auch die Information »Anzahl der in Auslandseinsätzen befindlichen Bundeswehrangehörigen: 3198 (2020)«.
Auf die Frage, ob man das denn alles miteinander vergleichen könnte, sagte Paul Spies den schönen Satz »Unsere Theorie lautet: Krieg ist Krieg«. Und Imperialismus: Die deutsche Kolonialgeschichte ist älter, als man meint. Preußen war Kolonialmacht, nicht nur gegenüber dem Osten Europas: Im 17. Jahrhundert errichtete es seine erste Kolonie in Ghana, Westafrika.
Transparenz ist oberstes Gebot
Lars-Christian Koch zur Eröffnung des Humboldt-Forums, zu Kolonialismus, Restitution, Sammeln und Bewahren
Das sind nicht die alten Zeiten, das ist alles sehr gegenwärtig, wie die peinliche Affäre um die Bronzen aus Benin zeigte. In der Abteilung »Vergnügen« erzählen vier Schwarze Deutsche in einem Film von Jermain Raffington vom Alltagsrassismus in der Kulturindustrie. Und im Katalog erinnert sich die queere Performer*in Fatma Souad an die doppelten Ausgrenzungen im Westberliner Night Life der 80er: »In viele Diskotheken und Clubs kamen Schwule und Trans*-Menschen mit Migrationshintergrund schlicht nicht rein«. Die meisten Partys mussten privat stattfinden, erst 1996 wurde in Tempelhof der Gon Club, die »Gay Orient Night«, gegründet.
»Berlin Global« handelt von den Versuchen der Festschreibung wie auch der Verschiebung von Grenzziehungen. Ein Paradethema für die ehemalige Mauerstadt und ihrer weltweiten Vernetzung mit Fluglinien, Handelswegen und Migrationsbewegungen. Berlin sei »dazu verdammt, immerfort zu werden und niemals zu sein« lautet das berühmte Diktum des Kunstkritikers Karl Scheffler aus dem Jahr 1910. »Das Humboldt-Forum ist kein Museum, sondern ein Forum«, sagt Paul Spies.
Ausstellung bis zum 12.11. kostenlos, danach 7 Euro Eintritt. Personen unter 18 kostenfrei.
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