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Bis zum Hals im Wasser
Konservative Medien meinen zu wissen, dass sich der »Kleine Mann« nicht für Umweltschutz interessiert. Damit liegen sie falsch.
Das Rheinland ist in Aufruhr. Mit den Häusern, Straßen und Brücken, die das Hochwasser mitgerissen hat, sind auch alte Gewissheiten den Bach runtergegangen: Zum Beispiel, dass die CDU das Beste für Arbeitnehmer*innen ist, oder dass klimabedingte Umweltkatastrophen sich irgendwo in Bangladesch und Äthiopien abspielen, aber nicht hier bei uns. Wer dies bis jetzt noch nicht wahrhaben wollte, weiß es nun in aller Deutlichkeit. Beides.
Selbst in Köln musste ich in Gummistiefeln zum Supermarkt gehen. Aber nur 20 Kilometer weiter stehen gar keine Supermärkte mehr. Brücken sind eingestürzt, Häuser zerstört, ganze Dörfer überschwemmt. Ich kenne Leute, deren Freunde ertrunken oder deren Familienangehörige noch vermisst sind, und andere, die sich als Freiwillige gemeldet haben und zusammen mit der Bundeswehr helfen, plattgedrückte Autos und umgestürzte Bäume wegzuräumen. Eine Welle von Spenden kommt an. Die Solidarität ist groß.
Gleichzeitig spürt man eine kollektive Wut – über ausbleibende Warnungen und weil es keine Vorbereitung auf diese extremen Wettereignisse gab, so dass es die Menschen in der Eifel unvorbereitet und mit voller Wucht traf. Die Landesregierung NRW hat unter Ministerpräsident Laschet 2019 die Soforthilfe bei Überschwemmungen stark eingeschränkt und muss jetzt auf Hilfe vom Bund hoffen. Das trifft diejenigen am Härtesten, die kein volles Sparkonto haben, keine Zweitwohnung; die nur das besaßen, was sie jetzt verloren haben, darunter auch viele Migrant*innen. Menschen, die jetzt obdachlos sind, ohne Strom, ohne Trinkwasser, ohne Einkommen.
Laschets Lachen - Ein Fauxpas beim Besuch im Hochwassergebiet bringt den NRW-Regierungschef in die Bredouille.
Aber wie wird darüber berichtet? Mit einiger Fassungslosigkeit lese ich Leitartikel, die weiterhin die Erderhitzung anzweifeln und selbst dem Wetterbericht »Wahlkampf für die Grünen« vorwerfen. Besonders perfide ist das gegenüber den sogenannten normalen Leuten, denn sowohl die Springer-Presse wie auch die AfD verstehen sich als deren Sprachrohr.
Bürgerliche Medien wie die »Welt« und Boulevardblätter wie die »Bild« befinden sich momentan in einem sehr weiten Spagat: Für die Wohlhabenden kämpfen sie für das Recht auf Rücksichtslosigkeit, also: dicke Autos fahren und in die Karibik fliegen und sich Steaks auf den Teller hauen und generell so viel Ressourcen verbraten wie man will; außerdem keinerlei Rücksicht nehmen müssen auf Menschen, die benachteiligt sind, also etwa Frauen oder Arme oder Geflüchtete. Alle, die der Ansicht sind, dass alte weiße Männer ihre Machtpositionen beispielsweise auch mit Frauen teilen sollten oder dass Porsche fahren kein Menschenrecht ist, werden als linksextreme Miesmacher*innen abgestempelt, die obendrein mit dem Gendersternchen die westliche Zivilisation untergraben.
Gleichzeitig behaupten diese Blätter, für das Recht des »Kleinen Mannes« einzutreten. Dieser wolle erstaunlicherweise das Gleiche wie die Reichen, nämlich keine Rücksicht auf die Umwelt nehmen. Er möchte auch keine Erhöhung seines Mindestlohns und dass seine Frau im Pflegeberuf wenig verdient, ist ihm auch egal. Der »Kleine Mann« empfindet Frauenrechte und Antirassismus als »Themen der Elite«, so die Springer-Medien.
Dass die sogenannten normalen Deutschen – ihre Wählerschaft, behauptet die AfD – eine völlig andere und sehr viel kritischere Weltsicht haben können, scheinen manche Medien aus politischen Gründen zu ignorieren. Und das geht gegen jede journalistische Sorgfalt.
Diese »normalen Menschen« nehmen nämlich durchaus wahr, dass sie unterbezahlt oder diskriminiert werden, denn: Arbeiter sind oft weiblich oder migrantisch oder beides. Wer hätte das gedacht?!
Es ist eine rein politische Agenda seitens der Springer-Presse, zugunsten ihrer Klientel aus der Autobranche oder fossilen Energie-Unternehmen die Klimakrise kleinzureden. Und zu behaupten, dass linke und migrantische Gruppen sich nur für Gendersternchen interessieren, aber die Belange von Arbeiter*innen nicht auf dem Schirm haben, ist ein klassischer Fall von strategischer Ablenkung auf Randthemen.
Auch Unterprivilegierte wissen, dass die globale Klimakatastrophe bei ihnen angekommen ist – weil ihre Wohnungen von Flutwellen weggespült werden.
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