Hofiert und hochgepäppelt

Trotz der Coronakrise erhielten Start-ups wie Gorillas in den vergangenen Monaten so viel Kapital wie nie

  • Simon Poelchau
  • Lesedauer: 4 Min.

Dass sich Bundesarbeitsminister Hubertus Heil am Dienstag erst mal mit dem Management des Berliner Start-ups Gorillas traf und erst danach mit den streikenden Beschäftigten, ist symptomatisch. Denn seit Jahren wird die Start-up-Szene von der Politik umgarnt. Auch von Sozialdemokraten. »Wir sorgen dafür, dass Deutschland bei Innovation und Investitionen ganz vorne mit dabei ist. Das ist richtig, denn Investitionen in Start-ups stärken die Zukunftsfähigkeit unseres Landes«, sagte etwa Bundesfinanzminister Olaf Scholz im März. Denn auch in der SPD gibt es die Hoffnung, dass vielleicht das eine oder andere der knapp 2000 Start-ups hierzulande zur deutschen Version von Amazon, Google oder Facebook wird.

Dafür nimmt die Bundesregierung auch ordentlich Geld in die Hand. Die oben zitierten Sätze sagte Scholz anlässlich des Starts des Beteiligungsfonds für Zukunftstechnologien, kurz Zukunftsfonds. Mit ihm will die Bundesregierung neu gegründete Unternehmen hochpäppeln. Zehn Milliarden Euro werden dafür in die Hand genommen. Gemeinsam mit weiteren öffentlichen und privaten Partnern sollen so mindestens 30 Milliarden Euro mobilisiert werden. »Das sucht seinesgleichen in Europa und ist auch im internationalen Vergleich ein bedeutender Beitrag«, kommentierte Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier dieses Engagement.

Das ist aber auch Geld, das die Branche eigentlich nicht braucht. Denn über eins kann sie eigentlich nicht klagen: über zu wenig Kapital. Denn wegen der seit Jahren niedrigen Zinsen stecken reiche Investoren ihr Geld lieber in aufstrebende, junge Unternehmen statt in Anleihen. Auch größere Konzerne wie der Versicherer Allianz investieren schon länger kräftig mit.

Auch die Corona-Pandemie hat den Kapitalfluss offenbar nicht abbrechen lassen. So liegt es sicherlich nicht nur an dem Geschäftsmodell des Essen-Lieferdienstes Gorillas, das aus dem Start-up aus Berlin-Kreuzberg innerhalb weniger Monate ein sogenanntes Einhorn (»Unicorn«) wurde, ein Start-up, dessen Wert von seinen Investoren mit mindestens einer Milliarde Euro bewertet wird.

Inzwischen gibt es hierzulande 17 solcher Einhörner. Dazu zählen etwa das Münchner Reisebusunternehmen Flixbus oder die Berliner Internetbank N26, die wie Gorillas vor einiger Zeit ebenfalls wegen Streitereien bezüglich der Gründung eines Betriebsrats von sich reden machte. Vor allem aber kamen allein in diesem Jahr, das bisher eigentlich im Zeichen der Coronakrise stand, bereits fünf neue Einhörner dazu. »2021 hat gute Chancen, in Deutschlands Wirtschaftskalender als Jahr der Einhörner einzugehen«, frohlockte schon Gerhard Cromme, seinerseits einst ThyssenKrupp-Chef, nun Mitglied des Kuratoriums des Bundesverbandes Deutsche Start-ups, dem Lobbyverein der Szene.

Dass es Geld genug gibt, zeigt auch eine neue Studie der Beratungsgesellschaft EY. Demnach hat sich der Gesamtwert der Investitionen in deutsche Start-ups im ersten Halbjahr 2021 auf 7,6 Milliarden Euro mehr als verdreifacht. »Im vergangenen Jahr hatte die Pandemie zu einem leichten Dämpfer beim Finanzierungsvolumen geführt«, sagt Thomas Prüver, Partner bei EY. »In diesem Jahr sehen wir ebenfalls einen Corona-Effekt, allerdings in die umgekehrte Richtung: Die Finanzierungsaktivitäten und -summen explodieren geradezu.« Besonders viel Geld floss dabei in die Berliner Start-up-Szene. Dort ist das Investitionsvolumen von 1,2 auf 4,1 Milliarden Euro angeschwollen. Allein das umstrittene Start-up Gorillas konnte sich im März 241 Millionen Euro an frischem Kapital sichern und gehört damit zu den fünf Start-ups mit dem größten Finanzierungsvolumen.

Dabei kommt das Geld für die Start-ups häufig aus dem Ausland. Große Investitionen von über 50 Milliarden Euro werden meist von ausländischen Investoren getätigt. Das spiegelt sich auch bei den Geldgebern von Gorillas wider. So investierte zuletzt auch der chinesische Technologiekonzern Tencent in das Start-up, das laut dem »Tagespiegel« zu 28,69 Prozent über zwei Firmen der New Yorker Investmentgesellschaft Coatue Management gehört.

Doch der Branche reicht das Geld, das sie bereits bekommt, nicht aus. Immer wieder wird deshalb der Ruf nach einer Lockerung der Regeln für Risikokapitalgeber laut. Auch deutsche Pensionsfonds sollen demnach im großen Stil in Start-ups finanzieren können. Befürworter meinen, dass damit den jungen Unternehmen geholfen wird und gleichzeitig die Rendite für die Fonds stimmt.

Doch anders als Staatsanleihen können Beteiligungen an Start-ups schnell nichts mehr wert sein, wenn das Unternehmen pleite geht. Dann ist auch schnell die Rente verzockt.

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