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Katastrophen retten uns nicht
Entschlossenes Handeln für den Klimaschutz? So wie es aussieht, wird das nicht die Wahl entscheiden
Ja, das alles ist nur der Anfang. An Dürren, andauernden Starkregen und weit über ihre Ufer steigende Flüsse werden wir uns als Teil neuer Normalität gewöhnen müssen. Die Extremwetterereignisse, vor deren Zunahme seit Langem gewarnt wird, sind nun unübersehbar da, nicht mehr weit weg, sondern mitten in Deutschland. Mit ihnen kommt die Gewissheit, dass auch ihre verheerenden Folgen weitaus häufiger auftreten werden und dass sich unsere Vorstellungen von Extremen in den kommenden Jahren wohl noch weiter verschieben werden.
Was läge näher, als die jüngste Jahrhundertkatastrophe nun zum Anlass zu nehmen um endlich zu handeln? Angemessen wäre nicht weniger als der Einstieg in einen grundlegenden Umbau sämtlicher Produktions- und Lebensbereiche. Nach Monaten des lustlosen Abarbeitens am mäßig kanzler*innengeeigneten Spitzenpersonal könnte es nun doch zur Abwechslung einmal um die Inhalte der Parteien gehen, um echte Zukunftsfragen und breiten gesellschaftlichen Druck für eine krisenangemessene Politik. Die Pegel hatten ihre Höchststände kaum erreicht, da blitzte vielerorts die Hoffnung auf, die Flut könnte dem Klimathema im dümpelnden Wahlkampf endlich zu einer zentralen Rolle verhelfen. Manche frohlockten gar, es könnte zum echten Momentum für eine grüne Aufholjagd reichen.
Eine gute Woche später sieht es nicht danach aus, als würde Armin Laschet sein klimapolitisches Totalversagen sonderlich auf die Füße fallen. Dass die Aufheizung des Klimas einen maßgeblichen Einfluss auf die Ereignisse hatte, konnte er nicht bestreiten. Von der Notwendigkeit größerer Anstrengungen und mehr Tempo war gar die Rede. Dafür, dass er in einem anderen Interview nur Stunden später genau das Gegenteil behauptete, denn nur »weil jetzt ein solcher Tag ist, ändert man nicht die Politik«, wurde er zu Recht ausgelacht. Im Kern kommen selbst Konservative am offenkundigen Zusammenhang zwischen Fluten und klimatischer Aufheizung nicht mehr vorbei. Dennoch muss die CDU aktuell kaum befürchten, dass die Grünen nun angesichts der Lage mit einem zweiten Fukushima-Effekt an ihnen vorbeizögen.
An den Medien lag es nicht. Der Zusammenhang zwischen Erderwärmung und den verheerenden Ereignissen war von Beginn an Teil der Berichterstattung und erhielt in Talkshows und Interviews einigen Raum. Die einschlägigen Klimakolumnen laufen seit Tagen heiß, Fridays For Future stellten ihre Freitagsproteste ausdrücklich in Zusammenhang mit der Flutkatastrophe, und auch in den sozialen Medien muss niemand lange nach reichweitenstarken Äußerungen suchen, die die politische Verantwortung für die Klimakatastrophe als Mitursache der Überschwemmungen benennen. Laschet, Hauptziel wütender Anklagen, gibt dabei einen dankbaren Gegner ab. Wie wenige andere steht er für eine fossile Politik, die ein überkommenes Produktionsmodell gegen jede Vernunft möglichst weit in die Zukunft retten möchte. In den vergangenen Jahren gehörte er zu den ausgemachten Bremsern einer ambitionierteren Energiewende. Dass er die CO2-Bilanzen Nordrhein-Westfalens erst vor wenigen Tagen ins Rekordverdächtige schönzurechnen versuchte, macht nicht unvergessen, dass er feste Ausstiegsdaten für die Kohle lange als gefährlich und irrational geißelte. Und doch scheint er dies im Wahlkampf einmal mehr recht folgenlos aussitzen zu können. Wieso fliegt ihm all das nicht verdientermaßen mit Getöse um die Ohren?
Na ja, tut es ja vielleicht ein bisschen: In jüngsten Umfragen verliert der Kanzlerkandidat weiter an Zustimmung - nicht einmal 40 Prozent der Unions-Wähler von 2017 wünschen ihn sich aktuell noch als Regierungschef. Die CDU verharrt weiter unter der 30-Prozent-Marke, von einem Einbruch kann jedoch keine Rede sein. Das Hochwasser hat durchaus einen Einfluss auf die Stimmungen. Wichtiger als Vorschläge zur Begrenzung der Erderwärmung dürfte für diese Stimmungen allerdings die Frage gewesen sein, ob Laschet in Gummistiefeln eine ähnlich souveräne Figur macht wie seinerzeit Schröder beim Oder-Hochwasser (macht er nicht) und ob ihm der Staatsmann und Krisenmanager nun eher zugetraut wird als bisher (es sieht nicht danach aus). Der pietätlose Lachanfall im Katastrophengebiet hat ihn dabei sicher mehr Punkte gekostet als ein neu geschärfter Blick auf seine rückwärtsgewandte Kohlepolitik der vergangenen Jahre. Und der ignorante Umgang mit den Meldungen der europäischen Frühwarnsysteme ruft in der Region mehr Empörung hervor als das Ausbleiben der gebotenen ökologischen Nachschärfungen in der konservativen Programmatik.
Das Klima spielt also nur eine Nebenrolle. Was braucht es denn noch, mag mancher da verzweifelt ausrufen. Wieso sind auch derart harte und dichte Einschläge offenbar kaum in der Lage, Menschen ausreichend aufzurütteln, um die eigenen Zukunft und die ihrer Kinder durch Aufschrei und Protest vor Schlimmerem zu bewahren? Es mag daran liegen, dass es angesichts des immensen Leids vielen unangemessen erscheint, Fehlerdiskussionen in den Vordergrund zu stellen. Weitaus schwerer dürfte aber wiegen, dass Klimapolitik für die vergleichsweise guten Umfragewerte der CDU auch bisher kaum von Bedeutung war. Wer wissen wollte, dass wir die Welt weitgehend ungebremst auf einen Abgrund zusteuern, konnte es auch vor der Flutkatastrophe wissen. Wer das Offensichtliche weiter leugnen oder wenigstens ignorieren möchte, wird das auch weiterhin schaffen - und hat in Laschet dafür ein gutes Angebot.
Zwar gaben bemerkenswerte 81 Prozent der Befragten im aktuellen DeutschlandTrend an, beim Klimaschutz großen oder sehr großen Handlungsbedarf zu sehen. Diese erklärte Einsicht vieler Bundesbürger*innen befindet sich aber offenbar in keinem großen Widerspruch zum gleichzeitigen Erhalt gewohnheitsmäßiger Naturzerstörung durch ein extrem ressourcenintensives Gesellschaftsmodell. Fast immer, wenn es mit dem Konsenswunsch nach mehr Umweltschutz und politischen Mut konkret zu werden droht, kneifen die politischen Mehrheiten. Nicht einmal naheliegendste Forderungen, etwa nach einem Tempolimit, lassen sich durchsetzen. Und so wird Armin Laschet vom Gros der überwiegend ergrauten Wählerinnen und Wähler der CDU nicht deshalb unterstützt, weil er sich etwa für Klimapolitik aussprechen würde, sondern weil sich jenseits floskelhafter Beteuerungen eben nicht allzu schnell allzu viel für sie ändern soll. Mit einer Mischung aus Zukunftsglauben, Ablenkung und einer massiven Überhöhung bisher erreichter Kleinstschritte werden die Widersprüche unserer imperialen Lebensweise, die tiefen Risse zwischen Wissen und Nichtstun notdürftig zugekleistert. Auch deswegen können mit Weiter-so-Parolen, wohltemperiertem Verdrängen und Panikmache wegen vermeintlicher Freiheitsverluste durch ambitioniertere Umbaupolitik noch immer Wahlen gewonnen werden. Die Frage lautet: wie lange noch?
Wenn Armin Laschet der Opportunist ist, für den ihn die meisten halten, dann mindestens so lange, bis die wählenden Mehrheiten genau das nicht mehr durchgehen lassen. Der Wunsch nach einem aktivierenden Eindruck der Flutkatastrophe folgt dem Sprichwort, dass Menschen aus Schaden eines Tages klug würden. Die Schäden sind längst da. Wo aber bleibt die Klugheit?
Sie scheint zu wachsen, an einigen Stellen immerhin, aber sie wächst viel zu langsam angesichts der drohenden ökologischen Zustände und sozialen Verwerfungen. Geteilte Schockereignisse sind wichtig für die kollektive Weltwahrnehmung und könnten als Katalysator für ein veränderndes Bewusstsein wirken. Die Katastrophen werden uns aber nicht vor uns selbst retten, zumindest können wir so lange nicht warten. Die Flut der vergangenen Woche hätte ein lauter Weckruf sein müssen, ein Ruck für ein übergreifendes Umdenken und den Einstieg in mutige Klimapolitik. Davon sind wir weit entfernt, und das ist unendlich bitter für alle, die nach uns kommen. Ohne massiv verstärkte Anstrengungen aller Akteure für einen grundlegenden Wandel werden stümpernde Katastrophenmanager in den kommenden Jahren unsere kleinste Sorge sein.
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