Wenn die Lockdown-Strategie nicht mehr greift

In der australischen Millionenmetropole Sydney ist die Delta-Variante des Coronavirus zu schnell für die Kontaktnachverfolgung

  • Barbara Barkhausen, Sydney
  • Lesedauer: 4 Min.

In der Corona-Pandemie schien Australien bislang eine Insel der Seligen zu sein. Geschlossene Grenzen, strikte Quarantäneregeln und eine ausgeklügelte Kontaktverfolgung haben für relativ wenige Fälle gesorgt und das Virus zeitweise eliminiert. Kleinere Ausbrüche in den Großstädten brachten die Behörden in den vergangenen Monaten mit Blitzlockdowns meist innerhalb weniger Tage unter Kontrolle.

Doch dann kam die Delta-Variante, die infektiöser ist als bisherige Mutanten. Diese hat das Leben in Australiens Millionenmetropole Sydney, die derzeit täglich über 100 neue Covid-Fälle verzeichnet, seit Ende Juni zum Stillstand gebracht. Inzwischen hat sich das Virus auch auf andere Bundesstaaten ausgebreitet, einige riefen ebenfalls Ausgangssperren aus. Die bisher erfolgreiche No-Covid-Strategie scheint gescheitert, auch wenn die Sieben-Tage-Inzidenz bei niedrigen 4,2 liegt.

Grund für den jüngsten Anstieg ist laut der Epidemiologin Raina MacIntyre, dass die Delta-Variante deutlich schwerer unter Kontrolle zu bringen ist. Die von infizierten Menschen ausgeschiedene Virusmenge könne über 1000-mal höher sein als die des ursprünglichen Wuhan-Stamms, schrieb die Forscherin im Fachmagazin »The Conversation«. »Delta macht die Arbeit so viel schwieriger.« MacIntyre verweist auf eine Studie, die zeige, dass die durchschnittliche Zeit vom Erstkontakt bis zur Infektion im Jahr 2020 sechs Tage betrug, bei Delta nur noch vier. »Dies macht es schwieriger, Personen zu identifizieren, bevor sie ansteckend sind.« Aufgrund der schnellen Verbreitung habe die zuvor erfolgreiche Kontaktnachverfolgung in Sydney nicht mehr so gut funktioniert.

Laut den Gesundheitsbehörden im Bundesstaat New South Wales, in dem Sydney liegt, sind im Falle der Delta-Variante oftmals bereits alle Mitglieder eines Haushalts infiziert, wenn mit der Kontaktnachverfolgung begonnen wird. Im vergangenen Jahr sei dies nur bei etwa 30 Prozent der Fall gewesen. Aus Südaustralien berichteten die Behörden sogar, dass sich einige Menschen schon innerhalb von 24 Stunden nach der Exposition infiziert hatten und auch ansteckend waren.

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»Es breitet sich so schnell aus, wie wir es noch nie zuvor gesehen haben«, sagte die Ministerpräsidentin des Bundesstaates, Gladys Berejiklian, in einer ihrer täglichen Pressekonferenzen. Die Menschen würden sich nicht nur am Arbeitsplatz, sondern auch im Supermarkt oder in der Apotheke anstecken. Dies treibt die Fallzahlen in Sydney trotz eines strengen Lockdowns nach oben. Allein in den vergangenen zwei Wochen verzeichnete die Stadt über neue 1500 Fälle. Am vergangenen Freitag wurde sogar der Notstand ausgerufen. Vor allem der Tod einer erst 38-jährigen Frau am Wochenende schockte die Menschen. Allerdings gibt es mittlerweile auch Proteste gegen die strengen Maßnahmen, zuletzt am Wochenende, wobei es auch zu Festnahmen kam.

Laut Raina MacIntyre mache das nur noch bedingte Wirken von Lockdowns, Quarantäne und Kontaktverfolgung Impfungen besonders dringlich. In Australien sind jedoch erst weniger als 13 Prozent der Bevölkerung vollständig geimpft. »Die Tatsache, dass wir weitgehend ungeimpft sind, macht uns anfällig für schwere Ausbrüche, insbesondere bei der schwereren Delta-Variante«, sagte sie. »In einer weitgehend ungeimpften Bevölkerung ist dieses tödlichere Virus katastrophal.«

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In Indien und Indonesien hatte das Virus in den vergangenen Monaten Tausende Todesopfer gefordert. Doch während die Pandemie in diesen Ländern weitestgehend unkontrolliert wütete, ist Australiens Datenlage exzellent. Internationale Experten erhoffen sich deswegen nun wichtige Erkenntnisse von dem australischen Ausbruch. Der ehemalige Harvard-Professor Eric Feigl-Ding interessiert sich beispielsweise für Infektionen, die vermutlich in einem Sportstadion in Melbourne stattfanden, sowie für Fälle in Sydney, die sich offenbar in einem Café im Freien ereigneten.

Alle diese Menschen haben sich das Virus laut der australischen Gesundheitsbehörden ohne direkten Kontakt zum Infizierten geholt. Epidemiologe Feigl-Ding zieht daraus den Rückschluss, dass die Delta-Variante offenbar auch im Freien übertragen werden kann - einfach, weil die Viruslast so hoch sei. Dem australischen Sender ABC sagte er: »Das ist etwas, das die Leute zuvor abgetan hatten, weil es entweder selten oder schwer nachzuverfolgen war.«

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