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Baldige Testpflicht für Reiserückkehrer
Infektionszahlen steigen, Impfquote stagniert - Politiker wollen Druck erhöhen, aber keine Impfpflicht
Wird Deutschland einen Herbst mit niedrigen Corona-Infektionszahlen erleben können? Zumindest die letzten Erhebungen lassen die Zweifel daran wachsen: Die Sieben-Tage-Inzidenz ist in gut drei Wochen auf mehr als das Dreifache gestiegen. Nach Angaben des Robert Koch-Instituts (RKI) von Donnerstag lag sie bei 16,0 - am Vortag betrug der Wert 15,0 und beim Tiefstand vor gut drei Wochen 4,9. Zum Vergleich: 2020 lag die Inzidenz um die gleiche Zeit wie jetzt bei 4,5. Den Wert 15 überschritt sie erst Anfang Oktober. Allerdings hängt die erhobene Inzidenz sehr stark mit der Zahl der Tests zusammen.
Am Mittwoch wurden zusätzlich laut Bundesgesundheitsministerium und RKI bundesweit knapp 649 000 Impfdosen verabreicht. Mit Stand Mittwoch waren damit 50,9 Prozent der Gesamtbevölkerung vollständig geimpft. Die Anzahl der durchgeführten Impfungen nimmt jedoch ab. Die bisher meisten Impfungen an einem Tag gab es am 9. Juni.
Angesichts dieser instabilen Lage sucht die Politik nach der richtigen Vorgehensweise. Mehrere Bundesländer unterstützen etwa eine baldige Testpflicht für alle Reiserückkehrer. »Ich finde es richtig, wenn es zum 1. August kommen würde«, sagte Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) am Donnerstag im ZDF-»Morgenmagazin«. Laut Medienberichten nennt das Bundesgesundheitsministerium in einem aktuellen Entwurf der neuen Einreiseverordnung weiter den 1. August als Starttermin für eine Testpflicht noch vor der Einreise. Wann die generelle Testpflicht startet, ist bislang aber noch nicht offiziell geklärt. »Stand der Dinge ist, es gibt einen laufenden Abstimmungsprozess«, hatte Vizeregierungssprecherin Ulrike Demmer am Mittwoch in Berlin gesagt. Der SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach regt an, Geimpfte ihren Status einfach über das Impfzertifikat nachweisen zu lassen.
Viele Politiker wollen den Druck auf Impfunwillige erhöhen. Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) sagte gegenüber verschiedenen Medien, Geimpfte und Genesene könnten nicht dauerhaft allen Beschränkungen unterworfen werden, »die für Nichtgeimpfte gelten müssen, um die Pandemie zu bekämpfen«. Er sehe auch keine verfassungsrechtlichen Probleme für eine unterschiedliche Behandlung. Die Debatte über eine Impfpflicht gehe hingegen »in die falsche Richtung«, sagte Schäuble.
Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) erklärte derweil, er sei dagegen, Corona-Tests für Nicht-Geimpfte kostenpflichtig zu machen. »Solange die Pandemie anhält, würde ich nichts an der Kostenfreiheit ändern. Ich möchte, dass denen, die weder geimpft noch genesen sind, die Chance des Tests bleibt«, sagte Seehofer der »Mittelbayerischen Zeitung«.
Auch eine Impfpflicht etwa von Unternehmen für ihre Mitarbeiter lehnt Seehofer strikt ab. »Ganz allergisch reagiere ich, wenn jemand sagt: Wenn du nicht geimpft bist, wirst du bei uns nicht mehr beschäftigt. Oder, weil du nicht geimpft bist, bekommst du keine Kranken- oder Lebensversicherung. Davor kann ich nur dringend warnen.« Auch die Gewerkschaft Verdi ist gegen eine Impfpflicht am Arbeitsplatz und setzt stattdessen auf eine verbesserte Impfkampagne.
Neben der Impfquote dürfte Unternehmen und ihre Belegschaften derzeit die Frage nach den zukünftigen Homeoffice-Regelungen umtreiben. 85 Prozent derjenigen, die aktuell zu Hause arbeiten, wollen dies beibehalten, wenn die coronabedingten Einschränkungen und Vorsichtsmaßnahmen endgültig aufgehoben werden. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie von immowelt mit 18 000 Teilnehmern. Die Befragungen fanden im Mai dieses Jahres statt. Laut Studie arbeitet mehr als die Hälfte der berufstätigen Deutschen (53 Prozent) zumindest teilweise von zu Hause aus, 21 Prozent sogar fünf Tage pro Woche. 23 Prozent der Befragten würden sich eine Mischform wünschen, etwa wöchentlich drei Tage Homeoffice und zwei Tage im Büro.
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Die digitale Transformation der Arbeitswelt wird jedoch auch vom generellen Verlauf der wirtschaftlichen Entwicklung abhängen. Die anhaltende Krise und ihre Auswirkungen dürfen dabei nicht außer Acht gelassen werden. »Die Corona-Pandemie hat die Verwerfungen am Arbeitsmarkt weiter verschärft - die Zahl der Langzeiterwerbslosen liegt bei über einer Million, ihr Anteil an allen Erwerbslosen bei über 40 Prozent«, betonte die Bundestagsabgeordnete Sabine Zimmermann von der Linkspartei anlässlich der Veröffentlichung des aktuellen Monatsberichtes der Bundesagentur für Arbeit.
Kurzarbeitergeld und Arbeitslosengeld seien nach Einschätzung der Politikerin für viele Menschen zu niedrig, um davon leben zu können. Dazu komme ein zu niedriger Mindestlohn, der prekäre Beschäftigung nicht beende und Altersarmut produziere. »Zum Ende der Legislatur steht die Bundesregierung vor einem arbeitsmarktpolitischen Scherbenhaufen als Ergebnis ihrer Untätigkeit«, kritisierte Zimmermann. Ein Neustart sei dringend notwendig. Mit Agenturen
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