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- Klara Pförtsch
Kommunistin, Überlebende, Angeklagte
Die Kommunistin Klara Pförtsch wurde 1949 für gewalttätige Handlungen verurteilt, die sie als Lagerälteste in den KZ Ravensbrück und Auschwitz begangen haben soll. Über einen NS-Gerichtsprozess im Kalten Krieg
Am 6. Mai 1949 schrieb Irmgard Konrad, Überlebende der Konzentrationslager Auschwitz und Ravensbrück, einen Brief an die Kriminalpolizei Leipzig. In diesem brachte sie zur Anzeige, dass sie eine Klara Pförtsch »aus dem Lager Auschwitz aus der Zeit von Januar bis September 1943 kenne« und bezeugen könne, dass diese »Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen« habe. Konrad hatte Pförtsch zwei Tage zuvor in Leipzig wiedererkannt - bei einem Treffen ehemaliger Häftlinge in einem Heim der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN). Ein halbes Jahr später berichtete Orli Wald, ebenso Überlebende von Ravensbrück und Auschwitz, einem Freund von der »niederschmetternden Angelegenheit«, dass Klara Pförtsch von einem französischen Militärgericht zum Tode verurteilt worden war. Pförtsch sei selbst »ein Opfer dieses schrecklichen Systems« der KZ geworden und das Urteil des Gerichts »ein glatter Mord«. Was war passiert?
Im Graubereich des KZ-Systems
Klara Pförtsch, geboren 1906 in Hof, war seit ihrem 13. Lebensjahr Textilarbeiterin und schloss sich 1924 der KPD an. Beteiligt am kommunistischen Widerstand, wurde sie 1936 und erneut 1938 festgenommen, vom Berliner »Volksgerichtshof« 1940 zu zwei Jahren Gefängnishaft verurteilt und anschließend im Frauen-KZ Ravensbrück inhaftiert. Dort erhielt sie den Posten der Lagerältesten, eine Art Scharnierfunktion zwischen der SS und den Aufseherinnen auf der einen Seite und den Funktionshäftlingen, zum Beispiel Blockältesten oder Häftlingsärztinnen, auf der anderen Seite. 1942 wurde sie nach Auschwitz überstellt, wo sie, inzwischen vier Jahre in Haft, an Typhus erkrankte. Hier musste sie auch drei Monate im Strafblock verbringen, weil sie eine der Lagerregeln verletzt hatte. 1943 wurde sie von der SS wiederum zur Lagerältesten gemacht. 1944 mit einem Transport in das Außenlager Geislingen gebracht, erlebte sie ihre Befreiung schließlich im Dachauer Außenlager Allach.
In der Nachkriegszeit konnte es juristisch durchaus gefährlich sein, als Häftling in einem KZ eine Funktion im perfiden System der ›Häftlingsselbstverwaltung‹ innegehabt zu haben. In Verfahren wie den Ravensbrück-Prozessen der britischen Militärgerichtsbarkeit von 1946 bis 1948 wurden auch Funktionshäftlinge verurteilt, die sich an den Mord- und Gewalttaten der SS beteiligt hatten. Auch politische Häftlinge und Beteiligte des Widerstands, die Funktionshäftlinge waren, befanden sich in jenem Graubereich des KZ-Systems: Trotz der Absicht, den Mitgefangenen zu helfen, agierten sie in nächster Nähe der Verbrechen von SS und Aufseherinnen. So wurde Gertrud Müller, aktiv im kommunistischen Widerstand in Stuttgart, inhaftiert in Ravensbrück und Geislingen, von einer Spruchkammer im Mai 1948 als »Hauptbelastete« eingestuft und zu vier Jahren Haft verurteilt. Das Urteil wurde indes später aufgehoben.
Bei den Verurteilungen von Frauen, ob nun Aufseherinnen oder Funktionshäftlinge, spielte der patriarchale Blick von Gerichten und Medien stets eine große Rolle. Wie für verschiedene Prozesse gezeigt worden ist, wurden für die Gewalttaten von Frauen oft relativ schärfere Urteile gesprochen, da sie der Geschlechterordnung widersprachen: Ihre Handlungen erschienen besonders brutal, sie selbst als ›Bestien‹, da von Frauen angenommen wurde, dass sie eine passive Natur hätten und körperliche Gewalt ihnen fremd sei. Dies gilt nicht nur für die Nachkriegszeit, sondern auch für Verfahren wie den Majdanek-Prozess in Düsseldorf (1975-1981).
Patriarchale Justiz
Im Fall der Gerichtsverfahren gegen Klara Pförtsch sind selbst die reinen Daten nicht schnell erzählt. Bereits im Dezember 1945 wurde sie wegen Vorwürfen bezüglich ihres Verhaltens in Auschwitz verhaftet und im alliierten Internierungslager Ludwigsburg inhaftiert. Von dort wurde sie den französischen Behörden übergeben, weil sie in einem Prozess zum Außenlager Geislingen als Zeugin gehört werden solle, im Dezember 1948 schließlich entlassen. Auch Geislinger Häftlinge warfen ihr Misshandlungen vor. Um sich einem weiteren Verfahren zu entziehen, ging Pförtsch in die Sowjetische Besatzungszone (SBZ) und stellte im Januar 1949 in Leipzig einen Antrag auf Annahme in die VVN. Daraufhin erkannte Irmgard Konrad bei dem genannten Treffen von Überlebenden in ihr die brutale Lagerälteste aus Auschwitz wieder. Die Anzeige durch ehemalige Häftlinge führte zu ihrer Auslieferung an die französischen Behörden; am 20. Mai, noch in ihrer Abwesenheit, und erneut am 6. Oktober 1949 wurde sie im Rastatter Prozess aufgrund der besonderen Brutalität ihrer Gewalttaten in Auschwitz zum Tode verurteilt.
Wie die Religionswissenschaftlerin Katharina von Kellenbach dokumentiert hat, wurde Pförtsch vom Gericht als »Femme terrible« mit »Zéle malfaisant« bezeichnet, also als schreckliche Frau mit einem Eifer, Böses zu tun. Nach öffentlichen Protesten wandelte der Hohe Kommissar André François-Poncet das Urteil im März 1950 in lebenslängliche Haft um. 1957 wurde Pförtsch vorzeitig entlassen, nach 21 Jahren fast durchgehender Haft. Diese reduzierte Haftzeit ging immer noch weite über die meisten Urteile hinaus, die gegen die Vertreter*innen der politischen, militärischen und wirtschaftlichen Eliten des NS-Regimes gefällt wurden - wenn es denn überhaupt Prozesse gegen sie gab.
NS-Prozesse im Kalten Krieg
Mit Beginn des Verfahrens im badischen Rastatt wurde Klara Pförtschs Vergangenheit auch zum Gegenstand scharfer politischer Auseinandersetzungen im Kalten Krieg. Diese beruhten auf unterschiedlichsten Aussagen zu Pförtschs Verhalten von ehemaligen Mithäftlingen. Das Ravensbrück-Komitee in der SBZ und andere an der SED orientierte Überlebende bezeugten, dass Pförtsch in Auschwitz regelmäßig andere Häftlinge geschlagen habe, laut Irmgard Konrad insbesondere Jüdinnen. Dies habe zum Tod mehrerer Frauen geführt. Dagegen betonten sozialdemokratische Überlebende und ehemalige KP-Mitglieder aus den westlichen Zonen zweierlei: Zum einen habe Pförtsch zwar in Ravensbrück geschlagen, dort aber auch Häftlingen das Leben gerettet, indem sie Meldungen an die SS unterschlug. Zum anderen sei Pförtsch, so gab die anfangs erwähnte Orli Wald bei ihrer Aussage in Rastatt zu Protokoll, in Auschwitz nicht für den Tod von Mithäftlingen verantwortlich gewesen. Sie habe dort zwar geschlagen. Aber dies, so Wald im bereits zitierten Brief an den Freund, tat sie - wenig gebildet, mit geringem Selbstbewusstsein und »haltlos, wie sie war« - weil »der Druck des Lagers zu stark« gewesen sei.
Es ist anzunehmen, dass Pförtsch tatsächlich während ihrer Inhaftierung in Auschwitz gebrochen wurde und sich dort und anschließend in Geislingen Gewalttaten gegen Mithäftlinge zuschulden kommen ließ. In mehr als einer Erinnerung findet sich im Übrigen die Erwähnung von Pförtschs Spitzname »Leo«, den sie wegen ihres männlichen Auftretens im Lager erhalten habe. Auch »lesbische Liebesgeschichten« werden ihr zugeschrieben. Orli Wald war zudem erschüttert vom Verhalten des Gerichts, das den Belastungszeuginnen mehr Raum gewährt habe und ihre eigenen Erläuterungen zur Situation in Auschwitz nicht habe hören wollen. Die Prozessunterlagen, so Von Kellenbach, bestätigen Walds Eindruck. Hier wirkte offenbar ein Verurteilungswunsch mit der misogynen Vorstellung der gewalttätigen Frau als ›Bestie‹ zusammen. Das Urteil, so Wald, habe schon zu Beginn festgestanden; Pförtsch aber habe »den Tod nicht verdient«.
Aus den unterschiedlich formulierten Erinnerungen entwickelte sich ein öffentlicher Konflikt zwischen SED und SPD. Herta Gotthelf, Mitglied des Parteivorstands der SPD, protestierte bei François-Poncet gegen das Urteil: Pförtsch sei keine Sadistin gewesen, sondern eine nach Jahren von Haft, Krankheit und psychischer Gewalt gebrochener Mensch. Auch Kurt Schumacher verwandte sich mit der Autorität des SPD-Vorsitzenden im Januar 1950 für eine Aufhebung des Todesurteils. Dass sich mit Schumacher die SPD-Spitze in die Debatte einschaltete, bestätigte in den Augen der Überlebenden des Ravensbrück-Komitees ihre Interpretation des Verfahrens im Rahmen des globalen Systemkonflikts. Denn das Urteil habe, so legten sie in einem scharf formulierten Schreiben an Orli Wald dar, einen politischen Charakter und zwei Ziele: Zum einen habe ein klares Zeichen der französischen Alliierten gegen die deutsche Angeklagte und damit gegen »Hitlerdeutschland« gesetzt werden sollen. Dies sei zum anderen gegen »die Deutschen von heute« gerichtet und solle so eine grenzüberschreitende sozialistische Entwicklung behindern.
Zur Aggressivität des Briefs wird der Umstand beigetragen haben, dass Orli Wald mit dem ehemaligen KPD-Mitglied Edu Wald liiert war, der sich 1948 zum aktiven ›demokratischen Antikommunisten‹ gewandelt hatte. In einem Schreiben an François-Poncet betonte das Ravensbrück-Komitee im April 1950 jedenfalls, dass Pförtschs Rettungstaten ihre Vergehen nicht entschuldigen könnten und dass »Barmherzigkeit« in diesem Falle eine »Schmach gegen die Toten und ein Verbrechen gegen die Lebenden« bedeute.
Gebrochene Persönlichkeit
Nach ihrer Entlassung im Jahr 1957 war Klara Pförtsch, so schreibt Orli Walds Sohn Peter Wald, nach über 20 Jahren Haft und den Auseinandersetzungen um ihre Person »ein sogenannter Sozialfall«. Einen Besuch bei der »Lagergefährtin« Orli mussten die Walds finanzieren. Wie bereits angesprochen, ist es wahrscheinlich, dass die Nazis im Fall Klara Pförtsch ihr Ziel, im Konzentrationslager die Persönlichkeit der Inhaftierten zu brechen, erreichten. Die Konkurrenz der Häftlinge um die Ressourcen des Überlebens, die Angst vor dem eigenen Tod hatten sie offenbar dazu gebracht, selbst Gewalt gegen Mitgefangene anzuwenden. Nach 1945 hing der Umgang mit ihrem Verhalten in dieser »unmöglichen Situation« (Dominick LaCapra) jedoch nicht nur vom Erleben der Mithäftlinge ab, sondern auch von ihrer Positionierung im deutsch-deutschen und im globalen Systemkonflikt. So wurde Klara Pförtsch Gefangene im Frauen-KZ, Täterin in Auschwitz und verurteilte »Femme terrible« der Nachkriegszeit: Objekt patriarchaler Zuschreibungen, Opfer des Nationalsozialismus und Streitobjekt in den Konfrontationen des Kalten Krieges.
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