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Verdrängung inklusive
Das Geschäftsmodell des Zimmervermittlers Airbnb bedroht weltweit soziale Wohnraumpolitik in den Metropolen
Sieben Millionen Unterkünfte bot der Zimmervermittler Airbnb 2019, im letzten Jahr vor der Corona-Pandemie, weltweit an - mehr als die fünf größten Hotelketten zusammen. Diese Zahlen meldet die Internetseite businessofapps.com. 272 Millionen Buchungen wurden über die Plattform getätigt. Im ersten Pandemiejahr 2020 sank die Zahl der Buchungen um 41 Prozent auf 193 Millionen.
»Airbnb ist trotzdem relativ ungeschoren aus der Krise herausgekommen«, sagt Katalin Gennburg. Sie sitzt für Die Linke im Berliner Abgeordnetenhaus und ist Sprecherin für Stadtentwicklung, Tourismus und Smart City ihrer Fraktion. »Bei Airbnb ist alles, was über den Betrieb der Website hinausgeht, ausgegliedert, und Airbnb mietet sich selbst bei Amazon Web Services ein«, heißt es in einer von ihr und weiteren Autorinnen und Autoren erstellten Studie. Unter dem Titel »Gemütliches Loft mit Aussicht auf Verdrängung« ist die Untersuchung diese Woche von der linksparteinahen Rosa-Luxemburg-Stiftung veröffentlicht worden.
Weltweit kämpfen Städte gegen die Ausbreitung von Airbnb. Denn die bei der Plattform vermarkteten Unterkünfte sind zu einem erheblichen Teil eigentlich Wohnungen. Bereits 2018 stellte das Präsidium des Deutschen Städtetages fest, »dass die zunehmende missbräuchliche Überlassung von Wohnraum als Ferienwohnung im Sinne einer Zweckentfremdung auf den ohnehin bereits stark angespannten Wohnungsmärkten von städtetouristisch attraktiven Metropolen, bedeutenden Messe- und Medizinstandorten sowie innerhalb einiger Universitätsstädte das Angebot an Wohnraum zusätzlich verknappt und verteuert«. Ein Jahr darauf forderte der Städtetag von der europäischen Ebene bei der Erarbeitung des Digital Services Act als Nachfolger der hoffnungslos veralteten E-Commerce-Richtlinie von 2001 Regelungen, »die Online-Plattformen zur Kooperation mit öffentlichen Behörden verpflichten und Registrierungssysteme in den Mitgliedstaaten ermöglichen«.
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Aktuell legt EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) den Entwurf des Digital Services Act als Teil des Europäischen Grünen Deals vor. »Auf europäischer Ebene wird sehr gestritten, ob das Wohnungswesen auf kommunaler Ebene Teil davon sein soll«, berichtet Gennburg. Die Linksfraktion im EU-Parlament fordere eine harte Sanktionierung von Verstößen. »Es wird immer schwieriger, über städtische Ordnungspolitik dem Konzern beizukommen«, sagt sie zur Begründung, warum sie sich als Landespolitikerin so sehr mit dem EU-Rahmen beschäftigt. Die Unterbindung von Zweckentfremdung komme »absolut an ihre Grenzen, wenn Ordnungsamtsmitarbeiter geschickt werden, um zu sehen, ob sich hinter einem Fenster eine Ferienwohnung befindet«, so Gennburg. Sie fordert: »Wir müssen direkt an die Daten.«
Gleich sieben Problemebenen haben sie und ihre Mitautorinnen und -autoren beim Geschäftsbetrieb des kalifornischen Internetkonzerns ausgemacht. Zuallererst wird die Kommodifizierung, also das Zur-Ware-Machen, des Wohnens genannt. Obwohl nur etwa 1,2 Prozent der Berliner Wohnungen bei Airbnb gelistet sind, ist das angesichts der Gesamt-Leerstandsrate in der Hauptstadt von nur 0,8 Prozent nicht zu vernachlässigen. Mehrere wirtschaftswissenschaftliche Studien haben einen direkten Effekt der Airbnb-Angebote auf die Mieten der Umgebung nachgewiesen. Zuletzt im Frühjahr kam das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung Berlin zu dem Schluss, dass eine dauerhaft als Ferienapartment vermietete Wohnung bei Neuvermietungen in der Umgebung die Monatsmiete rechnerisch um 13 Cent pro Quadratmeter steigen lässt. Airbnb hält mit einer Auftragsstudie des Instituts Empirica dagegen, bei der von vornherein allerdings nur Wohnungen berücksichtigt worden sind, die mehr als 180 Tage im Jahr vermietet werden.
»Mit Airbnb wird die Idee des Wohnens neu erfunden und die Idee der urbanen Nomaden weitergetrieben. Wenn das richtig Raum greift in städtischen Märkten, gibt es ein Problem für dauerhaftes Wohnen«, sagt Gennburg.
Auch das Thema Touristifizierung und die Folgen für die Stadtentwicklung sind erheblich. Denn oft ballen sich die Apartments in bei Reisenden beliebten Gegenden. Abschreckendes Beispiel ist die Alfama in Lissabon. Mehr als die Hälfte der Wohnungen werden hier zur Kurzzeitvermietung angeboten, von 2012 bis 2019 verdreifachten sich die Mieten in der portugiesischen Hauptstadt. »Es verschwinden klassische Gewerbe und Angebote der täglichen Versorgung zugunsten großer Gastronomieketten und touristischer Versorgungsstrukturen«, nennt die Studie weitere Folgen.
Auch Tarif- und Steuerflucht sind ein Thema. Denn die professionellen Kurzzeitvermieter legen meist nicht selbst Hand an beim Zimmerservice. Auf fünf bis acht Millionen Euro schätzt Studien-Co-Autor Denis Petri den Verlust, der allein durch die nicht abgeführte Übernachtungssteuer City Tax dem Land Berlin entgeht. Auch Einkommenssteuer dürfte oft nicht gezahlt werden. Vergangenes Jahr hatte die Hamburger Finanzbehörde nach jahrelangem Kampf die Herausgabe von Datensätzen aus den Jahren 2012 bis 2014 erstritten, allein rund 10 000 sind inzwischen an Berlin weitergegeben worden. Denn die Kurzzeitvermietung kann äußerst ertragreich sein. In einem Prozess, den eine Italienerin gegen das Berliner Bezirksamt Pankow führte, kam heraus, dass sie durch die Vermietung als Ferienwohnung nach Abzug der Kosten einen Reingewinn von 26 700 Euro in einem Jahr erzielt hatte.
Daten erhalten die Kommunen von Airbnb nur, wenn der Konzern selbst die Bedingungen dafür diktieren kann. Das Bezirksamt Tempelhof-Schöneberg hat kürzlich einen Erfolg vor dem Verwaltungsgericht Berlin errungen. Airbnb muss nun die Daten von Wohnungsinserenten offenlegen. Das »nd« vorliegende Urteil vom 24. Juni ist aufschlussreich. »Von den zum Stichtag auf der Plattform der Klägerin festgestellten 22 251 Angeboten von Ferienwohnungen in Berlin enthielten 20 696 Anzeigen keine oder falsche Registriernummern«, heißt es beispielsweise. Für die Kurzzeitvermietung von Wohnungen verlangt das Berliner Zweckentfremdungsverbotsgesetz die Beantragung einer Registriernummer beim entsprechenden Bezirk. Im Juli hatte Airbnb dem RBB mitgeteilt, den Rechtsstreit möglicherweise vor dem Oberverwaltungsgericht weiterführen zu wollen. Eine aktuelle nd-Anfrage ließ das Unternehmen bisher unbeantwortet. Angesichts des Europa-Sitzes des Konzerns in Irland haben die Bezirke schon das Problem, Klagen überhaupt zuzustellen. Nur durch einen Trick gelingt die gerichtsfest belegbare Information: über die automatische Empfangsbestätigung von E-Mails bei der Adresse für allgemeine Anfragen.
Derzeit läuft in Berlin das Verfahren für eine erneute Novellierung des Zweckentfremdungsverbotsgesetzes. Der inzwischen dem Abgeordnetenhaus zugeleitete Gesetzentwurf soll bisherige Vollzugsprobleme dadurch lösen, dass obligatorische Registriernummern nicht nur für Wohnungen, die kurze Zeit vermietet werden, beantragt und mit den entsprechenden Inseraten veröffentlicht werden müssen, sondern auch bei regulären gewerblichen Ferienunterkünften. Damit kommt Berlin aber dem Bundesrecht ins Gehege.
Trotzdem will die SPD-Fraktion dem Vorschlag zustimmen, erklärt deren wohnungspolitische Sprecherin Iris Spranger auf nd-Anfrage. Linke-Politikerin Gennburg hat die Ablehnung des Entwurfs bereits vor Monaten deutlich gemacht. »Es würde uns als Koalition gut zu Gesicht stehen, wenn wir das Gesetz noch verbessern statt der Senatsvorlage zuzustimmen, die die Situation eher verschlimmert als verbessert«, sagt auch Grünen-Wohnungsmarktexpertin Katrin Schmidberger zu »nd«.
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