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Wenn man genauer hinhört und sieht ...
Fantasievolle und wirklichkeitsnahe Kinderfilme - ein Markenzeichen der DEFA
Wer heute an die Jahre nach 1990 zurückdenkt, der wird sich erinnern, dass in der Öffentlichkeit vom DEFA-Film sehr abrupt kaum noch gesprochen wurde. Eine Ausnahme gab es allerdings und das waren die Kinderfilme aus dem zentralen Filmstudio der DDR. Sie bereicherten seinerzeit von Anfang an die Angebote der dritten Programme der östlichen ARD-Anstalten sowie des neu gegründeten Kinderkanals KIKA. Für das DVD-Œuvre der Firma Icestorm bildete der Fundus von fast 200 Spielfilmen für Kinder und Jugendliche, die zwischen 1946 und 1990 in Babelsberg produziert wurden, den Gründungsstock. Auch im Kino blieben DEFA-Kinderfilme stets präsent.
Was macht das Besondere dieser Filme aus, die eine solche spezielle Resonanz begründet? Sicher spielt hier eine entscheidende Rolle, dass mehrere Generationen östlich der Elbe mit ihnen sozialisiert worden waren und sich überwiegend positive Erinnerungen daran knüpfen. Heute wenig bekannt, doch sicher ein weiterer wichtiger Bonus für DEFA-Kinderfilme war und ist, dass sie in der alten Bundesrepublik nicht nur gut bekannt waren, sondern auch als inspirierend empfunden worden sind.
Babelsberger Filme standen Pate, als Anfang der 70er Jahre engagierte Regisseure damit begannen, eine für Westdeutschland völlig neue Ästhetik mit Blick auf den Kinderfilm zu entwickeln. Hark Bohm drehte 1972 »Tschetan der Indianerjunge« und Wolfgang Becker 1977 »Die Vorstadtkrokodile«. Währenddessen zuvor in den Kinderfilmen der BRD die Flucht aus der Realität hinein in eine märchenhafte unverbindliche Idylle bestimmend war, kennzeichnen diese beiden Filme eine Hinwendung zur Lebenswirklichkeit der Kinder. Damit zogen sie gleich mit jenen Ansprüchen, die sich der DEFA- Film für Kinder schon wesentlich früher gestellt hatte. Aus der Handlungsperspektive von Heranwachsenden sollten soziale Beziehungen durchschaubar gemacht und produktive Impulse für das eigene Handeln gesetzt werden.
Wie das zu verstehen war, umreißt Egon Schlegel beispielhaft für seine Babelsberger Kollegen, indem er im Kontext zu seinem Film »Das Pferdemädchen« (1978) sagte: »Die Berechtigung, für Kinder zu arbeiten, leite ich eben daraus ab, dass ihre Probleme auch die meinen sind und umgekehrt. Ich kann ihnen vielleicht über das Filmerlebnis noch ein paar Denkanstöße geben.«
Auch hinsichtlich der öffentlichen Rezeption waren die DEFA-Filme westlich der Elbe erstaunlich präsent. Das betraf sowohl Festivals, als auch den Bereich des seinerzeit sehr verbreiteten nichtgewerblichen Verleihbereichs auf der Basis von 16-Millimeter-Filmkopien. Auch persönliche Begegnungen spielten eine Rolle. Sowohl bei Gesprächen mit dem Publikum, als auch bei Fachtagungen. So erregte die DEFA-Autorin Christa Koźik 1979 bei den »Ludwigshafener Filmgespräche« viel Aufsehen mit dem, was ihr im Zusammenhang mit dem Film »Sieben Sommersprossen« (1978, Regie: Herrmann Zschoche) wichtig war und was bis heute nichts an Gültigkeit verloren hat. »Aber in unserer betont rationalen Zeit scheint Sprache immer weniger Ausdruck seelischer Befindlichkeit zu sein ... Es scheint, als ob die Heranwachsenden sich eine eigene Sprachwelt schaffen wollen, um sich von den Erwachsenen abzugrenzen … Aber wenn man genauer hinhört und sieht, ahnt man, wie viel Unsicherheit, Verdrängung und Hemmung dahinterstehen … Deshalb muss man ihnen helfen, denn das Feld der Gefühle ist ein weites Feld, und Gefühlserziehung ist kein Unterrichtsfach in der Schule.«
Wenn zum 75. Jubiläum der DEFA an dieser Stelle insbesondere an Kindern orientierte Spielfilme hervorgehoben werden, so soll zumindest erwähnt sein, dass sowohl das Trickfilmstudio in Dresden Hervorragendes für die Zielgruppe geleistet hat und ebenfalls, bis heute sehr innovativ wirkend, das DEFA-Dokumentarfilmstudio.
Im Spielfilmbereich war das Angebot für Kinder an drei Themenbereichen orientiert. Stets präsent zeigte sich die Auseinandersetzung mit der Nazidiktatur und dem durch sie angezettelte Krieg. Schon der dritte Film der DEFA, Gerhard Lamprechts »Irgendwo in Berlin« (1946) setzte diesbezüglich Zeichen. Kinder spielen hier eine Hauptrolle und die Nachkriegserzählung ist nicht zuletzt deshalb ein guter Kinderfilm, weil er auch Erwachsene anspricht. »Sie nannten ihn Amigo« (1959) von Heiner Carow, »Die Schüsse der Arche Noah« (1983) von Egon Schlegel oder Helmut Dziubas »Jan auf der Zille« (1986) seien in diesem Kontext darüber hinaus beispielhaft herausgehoben.
Als zweites Themenfeld besetzte die DEFA sehr erfolgreich das Genre des Märchenfilms. Dafür gab es im Studio geradezu opulente Möglichkeiten seitens der einzelnen Gewerke. Ob beim Kostüm, der Maske oder dem Szenenbild, man konnte sowohl personell als auch materiell aus dem Vollen schöpfen. Inhaltlich und ästhetisch war die Märchenfilmproduktion bei der DEFA keine statische Angelegenheit. Man vergleiche nur »Das tapfere Schneiderlein« von Helmut Spieß aus dem Jahre 1956 mit der tschechischen Koproduktion »Drei Haselnüsse für Aschenbrödel« von Václav Vorlićek von 1973. Eine Konstante war jeweils das Spiel mit dem Phantastischen. Geändert hat sich die jeweilige Erzählhaltung, die sich zunehmend darum bemühte, die Lebenswirklichkeit des Publikums zu erfassen. Glücklicherweise führte das nur selten, zum Aufpfropfen von zeitgenössischen gesellschaftspolitischen Plattitüden, wie das Kulturfunktionäre in der DDR gern gehabt hätten. Wenn das tapfere Schneiderlein von »Klassenbewusstsein« getrieben am Ende statt der Prinzessin lieber deren Magd heiratet, so war das ein Ausreißer, der bis heute allein als schlechtes Beispiel eine gewisse Bedeutung hat.
Neben dem Anspruch, die dem Märchen innewohnende Poesie mit filmischen Mitteln zu erfassen, ging es in nahezu allen Filmen darum, die allgemeinen moralischen und psychischen Aspekte der Vorlage zu erfassen und zu interpretieren. Wie dieser inhaltliche Anspruch formal umzusetzen sei, darum gab es unter den DEFA-Künstlern zahlreiche leidenschaftliche Debatten. Rückblickend wird deutlich, dass sich daraus genau jene Vielschichtigkeit entwickelt hat, die der Regisseur Walter Beck bereits 1965 in einem fiktiven Diskurs über Kinderfilm zusammengefasst hatte. Märchen könne man in realer Umwelt drehen, man kann sie in einer speziell gebauten Dekoration ansiedeln und es sei möglich beide Aktionsräume zu kombinieren. Alles sei machbar, nur es müsse gekonnt umgesetzt werden. Wichtig ist, dass sich der Zuschauer mit seinen spezifischen Gefühlen, Fragen, Sorgen, Ängsten und Freuden in der Geschichte wiederfinden kann.
Nachhaltig wirkende Beispiele wurden schon in den Anfangszeiten der DEFA gesetzt. Jeweils nach Vorlagen von Wilhelm Hauff drehte Paul Verhoeven 1950 »Das kalte Herz« und Wolfgang Staudte 1953 »Die Geschichte vom kleinen Muck«. Bemerkenswert auch, dass der junge Rainer Simon nach den Erfahrungen mit den fatalen Folgen des politischen Dogmatismus des 11. Plenums der SED 1965 in das Märchengenre ausweicht und mit »Wie heiratet man einen König« (1969) und »Sechse kommen durch die Welt« (1972) zwei bis heute ausgesprochen modern anmutende Geschichten inszenierte, die mit heiterer Hintergründigkeit die Frage nach dem Umgang mit der Macht aufwerfen.
Jürgen Brauer schuf mit »Gritta vom Rattenzuhausbeiuns« (1985) ebenfalls eine sehr heutig wirkend Märchenadaption über ein Mädchen, dass nach einem selbstbewusst gestalteten Lebensweg sucht.
Rolf Losansky, der beginnend mit »Die Suche nach dem wunderbunten Vögelchen« (1964) durch das Einbeziehen von phantastischen Elementen Maßstäbe für den Gegenwartsfilm für Kinder gesetzt hat, kennzeichnete seine Haltung als Regisseur mit Sätzen wie: »Kinder - die sind wie Frühling und Sonne und Blumen und Leben überhaupt, man muss auf sie aufpassen.« Und: »Ich möchte Filme über Menschen machen, die es schwer im Leben haben, aber von der heiteren Seite gesehen.« Das könnte als Credo für den Umgang mit zeitgenössischen Fragen im Spielfilmstudio gelten. Insgesamt hatte man beim Kinderfilm vielleicht ein bisschen mehr individuellen Spielraum, als dies beim sogenannten Erwachsenenfilm möglich war. Generell musste man sich aber auch hier mit den kulturpolitischen Wendungen und Irrungen auseinandersetzen.
Als zu Beginn der 1950er Jahre der aus der Sowjetunion übernommene Stil des Sozialistischen Realismus prägend war, suchten dem Filme wie »Die Störenfriede« (1953) von Wolfgang Schleif oder »Das geheimnisvolle Wrack« (1954) von Herbert Ballmann gerecht zu werden. Andererseits starteten unmittelbar danach Wolfgang Kohlhaase und Gerhard Klein ihre berühmten Berlin-Filme mit dem Kinderfilm »Alarm im Zirkus« (1954) Heiner Carow griff die hier vorgegebene Stilrichtung eines sozialkritischen Realismus im für Kinder gemachten, doch nicht nur an diese gerichteten »Sheriff Teddy« (1958) auf. Dabei arbeitete Carow erstmals mit dem Kinderbuchautor Benno Pludra zusammen.
Das Prinzip des sozialkritischen Realismus zieht sich bis zum Ende durch die Kinderfilmproduktion der DEFA. Hier untersetzt mit fantastischen Elementen wie in Herrmann Zschoches »Philipp der Kleine« (1976) oder Rolf Losanskys »Moritz in der Litfaßsäule« (1983) Beide nach Büchern von Christa Koźik. Dort ganz dem realistischen Erzählrahmen verpflichtet wie in der international vielfach gelobten Arbeit von Helmut Dziuba »Sabine Kleist, 7 Jahre ...«.
Wer heute etwas über Leben und Alltag in der DDR erfahren will, der kommt an den Kinderfilmen der DEFA nicht vorbei.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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