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Massive Lobbyistenintervention gegen Nina Turner
Konzern-Lobbyisten, reiche Amerikaner und Republikaner-Spender finanzieren in einer Nachwahl in Ohio den Schmutzwahlkampf gegen eine linke Demokratin
»Warum spenden die Pharmaunternehmen, die Versicherungswirtschaft, die Ölkonzerne und Wall Street, die Leute Donald Trump unterstützt haben, so viel Geld, um Nina Turner zu schlagen?« Die Antwort sei »einfach«, so Bernie Sanders bei einem Wahlkampfauftritt für seine ehemalige Wahlkampfleiterin, die bei einer Nachwahl in Ohio in den US-Kongress einziehen wollte. Ein Turner-Sieg hätte »politische Veränderung« bedeutet. Durch Kleinspenden getragen, hatte Turner schon zu Beginn ihrer Kampagne im ersten Quartal 2021 bis Ende März rund 1,5 Millionen Dollar gesammelt, die Establishment-Demokratin Shontel Brown dagegen deutlich weniger. Deswegen kamen Brown in den letzten drei Monaten Lobbyisten aus dem ganzen Land zur Hilfe – sie gewann die Nachwahl am Dienstag.
Schmutzwahlkampf gegen Turner
Mitte Juni etwa organisierten die wirtschaftsnahe »New Democrat«-Fraktion ein Spendenempfang in Washington DC zugunsten von Brown, Eintritt 500 bis 5000 Dollar. Auf der Gastgeberliste fand sich ein halbes Dutzend Lobbyisten, die für zwei Dutzend Großkonzerne arbeiten, für ExxonMobil, die Telekommunikationsfirmen AT&T und Comcast, Walmart, American Airlines etwa. Mehrere Super PACs, politische »Aktionskomitees«, die teilweise die Herkunft ihrer Spendern verschleiern können, haben in den letzten Wochen verdeckten Anti-Turner-Schmutzwahlkampf betrieben. Der größte »Player« dabei: Super PAC Democratic Majority for Israel (DMFI), 2019 mit dem Ziel gegründet, Bernie Sanders mit einem Negativwahlkampf den Vorwahlsieg zu nehmen. Dieser hat rund 1,2 Millionen Dollar in Anti-Turner und Pro-Brown Fernsehanzeigen und Digitalwerbung im Bezirk investiert. Eine Lobbygruppe benutzte etwa in einem Fernsehspot einen Ausschnitt einer Turner-Rede von 2020, wo diese erklärt hatte, Joe Biden zu wählen sei »wie eine halbe Schüssel Scheiße zu essen«. Ausgeblendet wurde der Kontext und der Rest der Rede, mit der Turner versucht hatte, Sanders-Anhänger zu mobilisieren, für Biden zu stimmen, weil eine halbe Schüssel Exkremente besser sei als eine ganze Schüssel – also besser sei als Donald Trump.
Der ebenfalls pro-israelische America Super PAC hat 536 000 US-Dollar zum Anti-Turner-Wahlkampf beigetragen, der pro-israelische NORPAC unterstützte Brown mit 49 000. Die Lokalzeitung »Cleveland Plain Dealer« kam deswegen zu dem Schluss, »Brown sei entscheidend durch die Israel-Lobby unterstützt« worden. Auch der Jewish Democratic Council of America unterstützte Brown mit einer Anzeigenkampagne »im fünfstelligen Bereich«. Der Grund: Turner lehnt Militärhilfe an Israel ohne Bedingungen ab und hat Sympathie für die Palästinenser ausgedrückt. Rund fünf Prozent der Wähler*innen im Bezirk sind jüdisch, sie sind zuverlässige Urnengänger, doch in den letzten Jahren haben sich besonders junge Jüdinnen und Juden in den USA zunehmend progressiven Demokrat*innen zugewandt. Am Wahltag war die Wahlbeteiligung in drei jüdischen Enklaven im Wahlbezirk etwa doppelt so hoch wie anderswo – sie brachten Brown womöglich entscheidende Stimmen.
Auch Republikaner spendeten, für Turners Gegenkandidatin
Doch gerade das Beispiel DMFI als größter Lobby-Akteur zeigt, dass es kaum um die Aufklärung der Wähler*innen über die Israel-Politik der Kandidatinnen ging: Die war wenig Thema in den Anzeigen, vielmehr nutzen führende Mitarbeiter von Großkonzernen und reiche Amerikaner*innen DMFI als Spendenvehikel. Menschen, die mit den Worten von Turner ein Interesse daran haben, »dass alles so bleibt, wie es ist«, etwa ein Milliardär und Erbe einer Ölfamilie aus Wyoming. Auch zahlreiche Spender der Republikaner schickten Brown Zehntausende Dollar, darunter der Trump-Verbündete und Besitzer des Football Teams New England Patriots, Robert Kraft. Einige spendeten direkt an Brown, andere an DMFI. Auch Turner wurde durch linke Super PACs wie »Democratic Action« und Gewerkschaften unterstützt, aber in deutlich geringerem Ausmaß. Das Ergebnis: Direkt vor der Wahl dominierte das Brown-Lager die Werbung – trotz des massiven Kleinspendenaufkommens für Turner.
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