Gruseln aufs angenehmste

Schaut man kritisch genug Richtung Ausland, wirkt Deutschland wie eine heile Welt, meint Leo Fischer

Man schaut in Deutschland ja gern ins Ausland, wenn es darum geht, die Lage der Menschenrechte und die Ordnung des Sozialen im Allgemeinen zu kritisieren. Da gruselt es sich aufs angenehmste: Es ist voller Despoten, das Ausland, voll Willkürherrschaft und Terror. Wie schön, sozial und menschenfreundlich geht es hingegen bei uns zu! Noch der ruinierte Sozialstaat, das an allen Ecken leckgeschlagene Gesundheitssystem und die seit Jahren im Stau der Aktenwägelchen stehende Justiz wirken wie hocheffiziente Einrichtungen, wenn man das Ausland nur kritisch genug anschaut. Es geht um den Kontrast, nicht um wirklichen Fortschritt: Es ist nur wichtig, dass es in Deutschland vergleichsweise besser ist, egal, wie steil die Kurve nach unten zeigt.

Im Bereich Gender-Diversität und der Repräsentation queerer Lebensentwürfe geht der Blick hier gern nach Polen und Ungarn, mit ihren LGBTIQ-feindlichen Gesetzen und homofreien Zonen. An denen ist wahrhaft nichts zu beschönigen. Doch haftet der Kritik immer ein relativierendes Moment an: Wie wunderbar, dass es bei uns vergleichsweise besser ist - obwohl es nicht gut ist. So gerät aus dem Blick, dass auch bei uns überall der Rollback vorbereitet wird. Armin Laschet, der seinen Aufstieg tiefstem katholischen Klüngel verdankt, wird von einem Opus-Dei-Jünger beraten, der sich gegen Abtreibungen aussprach, Homosexuelle bedauerte und die »natürliche Form von Ehe und Familie« favorisierte, womit er eine Art des Zusammenlebens meint, die es in Europa etwa seit dem 19. Jahrhundert gibt. Christliche Evangelikale missionieren weltweit; soeben erst hat die »taz« die Finanzierungsstrukturen des fundamentalistischen Online-Netzwerks »CitizenGo« offengelegt, das erfolgreich eine Liberalisierung des europäischen Abtreibungsrechts verhindert hat. Links der Mitte schaut es nicht besser aus: Sahra Wagenknecht sprach sich mit deutlich anti-queerer Stoßrichtung gegen den Aufmarsch »immer skurillerer Minderheiten« aus, und die SPD hat die Reform des sogenannten Transsexuellengesetzes erfolgreich verhindert.

Der Rollback beginnt schon im Sprachlichen: Soeben hat der Bayerische Rundfunk seinen Mitarbeiter*innen »Gendersprache« verboten, also das akustische oder schriftliche Signal, dass mit einem Begriff nicht nur cis Männer gemeint sind. Bisher hatten einzelne Sendungen und Sprecher*innen diese Redeweise gelegentlich verwendet, nun ist sie per Ukas des Intendanten geregelt. Man könnte es fast amüsant nennen, dass diejenigen, die eine »Bevormundung« durch gegenderte Sprache fürchten, nun selbst die ersten sind, die ihre Vorstellungen vom Geschlechtlichen in Gesetze gießen. Es ist jedenfalls kein Zufall, dass das im Hausfunk von Markus Söder geschieht, der sich bekanntlich mit Viktor Orbán blendend versteht und ihm mehrfach das Siegel demokratischer Unbedenklichkeit ausstellte.

Natürlich ist das Gendern lästig und ärgerlich, aber wenn man schaut, wer sich am meisten darüber beschwert, wer sich darüber aufregt, umso sympathischer wird es. Auch in Deutschland können Konservative, die sonst auf keinen grünen Zweig kommen, sich wenigstens darauf einigen, dass Frauen, Schwule und trans Personen bitteschön wieder in die zweite Reihe treten sollen. Sie selbst sprechen von »Gender-Ideologie« und bauen doch an ihrer eigenen, einer Welt der Männer, in welcher alles Abweichende immer nur mit Sondergenehmigung, mit gütiger Erlaubnis existieren darf. Ein bisschen Ungarn hätten sie hier schon ganz gern, natürlich nicht z uviel - denn hier muss es ja besser sein als in Ungarn. Nur eben nicht gut.

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