Höchste Eisenbahn für den Schiffsbau

Mecklenburg-Vorpommern: Im Landtagswahlkampf geht es auch um die Zukunft der Werften

Die »Crystal Endeavor« ist ein nagelneues und äußerst luxuriöses Kreuzfahrtschiff mit Eisklasse. Das heißt, sie ist für Fahrten in die Polargebiete geeignet. Wenn sich dort künftig die Passagier*innen an Deck an der Schönheit von Meer und Eis erfreuen, wird den allerwenigsten von ihnen die Geschichte des Schiffes bewusst sein – und was diese über den Industriestandort Mecklenburg-Vorpommern erzählen kann.

Gebaut wurde das Luxusschiff in Stralsund am dortigen Standort der Unternehmensgruppe MV Werften. Getauft wurde es am 26. Juni von Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD), und auch ihr Wirtschaftsminister Harry Glawe (CDU) sowie Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier ließen sich diesen Termin in Stralsund nicht entgehen. Schon bei der Kiellegung war neben der Ministerpräsidentin mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) höchste Politprominenz zugegen.

Begleitet wurde die »Crystal Endeavor« wie auch die Entwicklung der MV Werften insgesamt also von Beginn an von der großen und ganz großen Politik – mit Sicherheit auch immer in der Hoffnung, von Erfolgsschlagzeilen möge etwas abfärben. Doch wie sich herausstellen sollte, waren es dann doch bald wieder existenzielle Sorgen der Werften, die der politischen Aufmerksamkeit bedurften.


Neubeginn und Coronakrise

Im Januar 2018 waren es gute Zeiten. Der Baubeginn auf der Werft, die zwei Jahre zuvor von dem malaysisch-chinesischen Unternehmen Genting Hong Kong übernommen worden war, stand für einen Neubeginn und Hoffnung. In der »Schweriner Volkszeitung« hieß es damals: »In Stralsund herrschte gestern Aufbruchstimmung. 2012 musste die P+S-Werft Insolvenz anmelden. Der Großteil der 1250 Beschäftigten in Stralsund verlor die Jobs. Den Nordic-Werften, die den Schiffbaubetrieb zwischenzeitlich übernommen hatten, fehlten Aufträge. ›Nach sechs Jahren geht es jetzt wieder richtig in Stralsund los‹, freute sich der Betriebsratsvorsitzende Bernd Fischer. Das Projekt sichere für viele Beschäftigte Jobs und gebe ihren Familien Sicherheit.«

Doch diese Sicherheit, sie war trügerisch. Bestand hatte sie nur etwas mehr als zwei Jahre. So lange versprachen der Boom von Kreuzfahrten und die Nachfrage nach entsprechenden Schiffen gute Geschäfte. Dann kam 2020 die Coronakrise und mit ihr schon bald die Implosion der weltweiten Kreuzfahrttouristik, von der auch der Touristikkonzern und MV-Werften-Eigner Genting Hong Kong schwer getroffen wurde.

So übernahm wieder das Bangen um die Zukunft eines sehr wichtigen Teils der maritimen Industrie im Nordosten, die neben den MV Werften noch andere Schiffbauer und Offshore-Unternehmen umfasst, das Ruder. Bangen um die insgesamt rund 3000 Arbeitsplätze in Stralsund und an den weiteren Standorten der MV Werften in Wismar und Rostock-Warnemünde sowie um die etwa 13 000 Jobs bei Zulieferern. Das ist wahrlich kein Pappenstiel für ein Bundesland, in dem laut dem Gemeinsamen Statistikportal von Bund und Ländern im Jahr 2020 im Schnitt 573 000 Personen sozialversicherungspflichtig beschäftigt waren und in dem es im Juli dieses Jahres nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit 60 200 Arbeitslose gab.


Nur vorläufig gerettet

Dass die Sorge bei Betroffenen und Politik um die Arbeitsplätze bis heute – in den Landtagswahlkampf – anhält, liegt daran, dass es Bund und rot-schwarz geführter Landesregierung in den vergangenen Monaten zwar gelungen war, die MV Werften mit Hunderten Millionen Euro an Krediten und Bürgschaften zu stützen – so wurde auch die Fertigstellung der »Crystal Endeavor« möglich – und vorläufig vor dem Aus zu retten. Doch ist diese Rettung eben nur vorläufig. Mit den Erlösen für die »Crystal Endeavor«, die am 10. Juli die Werft in Richtung Island verlassen hat, und für die sich derzeit noch in Wismar im Bau befindliche »Global Dream« können und müssen die Staatshilfen zurückgezahlt werden. Für eine mittel- und langfristige Sicherung des Unternehmens braucht es deshalb vor allem eines: neue Aufträge. Und das schnell.

Werden solche nicht in nächster Zeit vom Konzern Genting Hong Kong selbst, zu dem drei Kreuzfahrtanbieter gehören, an die Ostseeküste vergeben oder können anderweitig an Land gezogen werden, dann droht dem großen Rest der Beschäftigten, was Hunderten bereits widerfahren ist: der Verlust des Arbeitsplatzes. Denn zur Geschichte der vorläufigen Rettung gehört auch, dass gut 600 Mitarbeiter*innen der MV Werften das Unternehmen verlassen müssen.

Zum 1. August ist der überwiegende Teil von ihnen bereits in eine Transfergesellschaft gewechselt, die etwa mit Qualifizierungsmaßnahmen dabei helfen soll, die Betroffenen wieder in Arbeit zu bringen. »Für die MV Werften ist es allerhöchste Eisenbahn, dass Genting Hong Kong sowie Bund und Land eine Entscheidung über einen Folgeauftrag treffen. Nur so ist kurzfristig die Hängepartie für die Beschäftigten zu beenden«, fordert deshalb auch Henning Foerster, wirtschaftspolitischer Sprecher der Linksfraktion im Schweriner Landtag gegenüber »nd«.

Um die maritime Industrie insgesamt krisenfester zu machen, müsse sich diese aber auch »breiter aufstellen und auf innovative Zukunftsthemen wie green- oder smart-shipping setzen«, erklärt Foerster weiter. Dazu sollte nach Meinung der Linken unter der Leitung des Wirtschaftsministeriums ein maritimer Zukunftsrat berufen werden. »Es muss darum gehen, eine maritime Strategie für MV zu entwickeln, die selbstverständlich entsprechend finanziell untersetzt sein muss«, so Foerster.


Maritimes in den Wahlprogrammen

Mithin geht es bei der maritimen Wirtschaft um den Kern der Industrie im Nordosten, was auch die großen Anstrengungen und das viele Geld erklärt, die aufgebracht werden, damit dieser dem Land erhalten bleibt. Und weshalb an dem Thema auch in Zukunft schwer vorbeizukommen ist. Was also haben zum Beispiel SPD, CDU, Linke und Grüne vor, um dem Wirtschaftszweig eine Zukunft zu sichern? Eine Frage die übrigens tatsächlich auch viele Wähler*innen interessieren könnte.

In einer Infratest-dimap-Umfrage im Auftrag von NDR, »Schweriner Volkszeitung« und »Ostsee-Zeitung« vom 15. Juli nannten die Befragten auf die Frage »Welches sind Ihrer Meinung nach die wichtigsten politischen Probleme in MV, die vordringlich gelöst werden müssen?« nach Bildung auf Platz eins (23 Prozent) die Themen Arbeitslosigkeit/Arbeitsmarkt (18 Prozent) an zweiter und Wirtschaft (16 Prozent) an dritter Stelle. Für die letzten beiden Punkte dürfte es bei einem abrupten Aus für die Werften wesentlich schlechter aussehen.

So betonen denn auch alle betrachteten Parteien die Bedeutung der maritimen Wirtschaft. Bei der Linken heißt es dazu unter anderem: »Die maritime Industrie ist über die Werftstandorte hinaus prägend für Mecklenburg-Vorpommern. Tausende gut bezahlte und vielerorts tarifgebundene Industriearbeitsplätze sind wichtig für unser Land und die Beschäftigten.« Um diese zu erhalten, wird etwa die weitere Unterstützung des Bundes gefordert. Für den Fall, »dass nicht alle Werftstandorte erhalten werden können, werden wir kurzfristig Auffang- und Qualifizierungsmaßnahmen für betroffene Beschäftigte unterstützen«.

Zudem gelte es »Vorsorge zu treffen und industriepolitische Alternativkonzepte zu erarbeiten«, um gerüstet zu sein, »wenn Werftstandorte aufgrund äußerer Einwirkungen, wie der Corona-Pandemie keine positive Entwicklungsperspektive mehr haben«. Hierfür könnten »moderne Industrieparks an der Hafenkante«, so die Linke, »Impulse setzen und zukunftsfähige Arbeitsplätze bieten«.

Die SPD schreibt in ihrem »Regierungsprogramm 2021 – 2026« unter anderem, dass Werften und ihre Zulieferer »einem erhöhten Modernisierungsdruck auf den Weltmärkten ausgesetzt« seien, weshalb man die Unternehmen dabei unterstützen werde, »sich zu spezialisieren und neue Innovationen zu entwickeln. Maritime Wirtschaft hat nur eine Zukunft, wenn sie sich veränderungsbereit zeigt.« Dabei werde man auch »auf einen sozial-ökologischen Umbau und damit auf die Zukunftsfähigkeit der Branche« hinarbeiten. Ebenso wie die Linke spricht sich auch die SPD für »die Ansiedlung neuer Industriebetriebe an der Kaikante« aus.

Auch für die Grünen sind Häfen und Schiffbau »traditionell die industrielle Basis der Wirtschaft in Mecklenburg-Vorpommern«. Ziel grüner Politik sei es, »den Wandel der maritimen Wirtschaft hin zu innovativen und nachhaltigen Geschäftsmodellen politisch zu begleiten und zu unterstützen«. Insgesamt betonen die Grünen in ihrem Wahlprogramm im Bezug auf die Zukunftsfähigkeit von Werften und Zulieferbetreiben vor allem die Notwendigkeit, die Schifffahrt umweltschonenden zu gestalten. Darüber hinaus bieten die Grünen zudem ein Positionspapier zum »Neustart des Schiffbaus in MV« auf.

Bei der CDU heißt es zum Thema Werften: »Sie bilden unseren industriellen Kern, gleichzeitig sind sie Arbeitgeber für gut bezahlte, hoch qualifizierte Arbeitskräfte.« Ihr Erhalt habe deshalb auch »keine nostalgischen Gründe«. Werften und Zulieferer seien »das verbliebene letzte Glied einer Wertschöpfungskette, die für unser Land von großer wirtschaftlicher Bedeutung ist.«

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