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- Doku »Wem gehört mein Dorf?«
Ein schlechtes Geschäft
Die Doku »Wem gehört mein Dorf?« erzählt vom Ausverkauf der Gemeinde Göhren auf Rügen – eine Parabel
Nach der Wende wurden immer mehr der grauen Häuser weiß. Eigentlich ein schöner Anblick für ein Ostseebad. Auch eine Seebrücke wurde in Göhren auf Rügen gebaut. Diese sei zu DDR-Zeiten, so hieß es bei ihrer Einweihung in den 90ern, »ein Traum und eine Illusion« gewesen. Haben sich also in den letzten 30 Jahren lauter Träume erfüllt?
Sagen wir es so: Einige haben sich ihre Träume erfüllt, jedoch auf Kosten anderer. Und am meisten auf Kosten der einmaligen Natur um Göhren. Christoph Eder, hier zu DDR-Zeiten als Sohn des Tischlermeisters Eder geboren, beschlich bei seinen Besuchen das Gefühl, dass »irgendetwas schiefläuft«. In seiner Kindheit spielte er Fußball. Den Verein gibt es nicht mehr, weil es zu wenig Kinder gibt. Als Jugendliche stritten sie – schließlich mit Erfolg – für eine Skatebordbahn, mit dem Slogan »Göhren gehört uns«. Nach diesem rebellischem Geist sucht Eder nun in Göhren. Gibt es ihn noch, oder haben die Einwohner längst resigniert?
Zu Beginn sehen wir ausgelassene Badeszenen. Jeden Sommer strömen massenhaft Urlauber hierher, die Magie des kalten nördlichen Meeres ist ungebrochen. Die Kamera von Domenik Schuster schweift über weite Wiesen: der Blick über eine noch unzerstörte Landschaft, wie ihn einst Caspar David Friedrich hatte. Aber vielleicht nicht mehr lange, denn hier wollen Immobilienspekulanten bauen. Und die kommunale Politik?
Die Wiederentdeckung seines Dorfes wurde für Christoph Eder eine abenteuerliche Reise durch die Nachwendezeit. Seltsame Dinge passierten, anfangs glaubten viele noch an Zufall. Ein Investor aus München entdeckte Göhren, kaufte – und baute – Hotels und Ferienwohnungen. An einem Hang vor seinem Hotel wurden alle Bäume gefällt, der Hang rutschte ab. Das Hotel ist jetzt eines mit ungestört freiem Seeblick.
In diesem Stile veränderte sich Göhren von Jahr zu Jahr: Freie Bahn für den Großinvestor. Die »Zeit« titelte: »Herr Horst kauft sich ein Dorf«, aber das schien längst keine warnende Prophezeiung mehr, sondern war eine Zustandsbeschreibung.
Ein Dorf mit höchst attraktiven Grundstücken in Zeiten des Turbokapitalismus. Aber auch in Zeiten einer Demokratie, an die viele nicht mehr glauben. Darum ist die Frage, die Eder in seinem sehr persönlich gehaltenen Film stellt, eine entscheidende für unsere Zukunft, auch jenseits von Göhren: »Wem gehört mein Dorf?« Können diejenigen mit sehr viel Geld machen, was sie wollen, und niemand wird sie daran hindern? Gewährsleute werden gefördert, Kritiker eingeschüchtert, demokratische Strukturen ausgehöhlt – und das immer so weiter, bis alles zu Geld gemacht, alles zerstört ist?
Was passiert, wenn die letzte Schafweide verschwunden und mit Ferienwohnungen zugebaut ist? Welcher Erholungsuchende kommt dann noch nach Rügen, dessen Infrastruktur bereits jetzt überlastet ist? Das fragen sich immer mehr Bewohner. Mallorca und die spanische Tourismusindustrie sollten eine Warnung sein. Dort beginnt man nun damit, Bettenburgen wieder abzureißen. Also gründeten Nadine Förster und ihr Vater Bernd Elgeti die Bürgerinitiative Lebenswertes Göhren. Sie nahmen den Kampf mit jenen auf, für die freies Bauen rund um Göhren oberstes politisches Ziel war. Vier Gemeindevertreter, die man auch »die vier von der Stange« nannte, setzten im Gemeinderat mit ihrer Mehrheit jahrelang alle Wünsche des Großinvestors durch. Der Bürgermeister sah machtlos zu und trat desillusioniert nicht wieder zur Wahl an.
So veränderte sich Göhren: Eine Scheußlichkeit von Parkhaus wurde gebaut, der Investor zahlt dafür eine Pacht von 20 000 Euro im Jahr. Die Parkplätze dort, die der Gemeinde gehörten, brachten zuvor jedoch 80 000 Euro in die Dorfkasse. Ein schlechtes Geschäft in jeder Hinsicht, zumal sich der Investor auch ein Konkurrenzverbot in den Vertrag schreiben ließ. Die Gemeinde darf nun also gar keine Parkplätze mehr vermieten, ein Minus von mehr als 60 000 Euro für Göhren. Warum aber entscheiden gewählte Volksvertreter dann dafür – ebenso wie für Bebauungspläne, die das Biosphärenreservat rund um Göhren zerstören?
Es sind sehr grundsätzliche Fragen, die hier gestellt werden. Wie machtvoll kann eine verantwortliche Politik für Mensch und Natur sein? Oder hat die Demokratie längst vor den Kapitalinteressen kapituliert? Die Sonntagsreden sind das eine, auch in Berlin, wo man 100 Meter vor meinem Schlafzimmerfenster im Turbotempo die A 100 als riesige Schneise aus Beton und Asphalt vorantreibt. Infernalischer Lärm, noch mehr Staub und Kohlendioxid. Es scheint alles gar keine Rolle zu spielen. Lebenswert ist das nicht.
Darum ist Göhren ein Modell für das ganze Land. 1990 gab es hier noch 2300 Einwohner, jetzt sind es noch 1200. Außerhalb der Saison ist die Arbeit knapp – und paradoxerweise auch die Wohnungen, weil zwar viel gebaut wird, aber vor allem luxuriöse Ferienwohnungen. Der Großinvestor weiß, wie er seine Projekte ankündigen muss, damit sie genehmigt werden. Eine »Klinik« direkt am Strand wolle er bauen, hieß es. Dann aber, oh Wunder, entpuppte sich die Klinik als Wellness-Hotel. Will die Demokratie derart betrogen sein?
Immerhin, die Bürgerinitiative, die bei der letzten Kommunalwahl 2019 antrat, kam mit mehreren Sitzen in den Gemeinderat, der Zustimmungsautomatismus der »vier von der Stange« ist gebrochen. Der neue Gemeinderat beschloss, den von Investoren begehrten Südstrand als Naturstrand zu erhalten, und zudem ein Verbot, Wohnungen in Ferienwohnungen umzuwandeln.
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Doch die Pläne für eine neue große »Klinik«, denen noch der alte Gemeinderat zustimmte, liegen auf dem Tisch. Jetzt verhandelt man mit dem Investor darüber, wenigstens kleiner und der Landschaft angepasster zu bauen. Das kommunalpolitische Geschäft ist mühsam, aber die einzige, wenn auch schwache Bastion des Gemeinwohls gegen partikulare Interessen. Kann man verlorenes Land zurückerobern, den »Ausverkauf der Kommunen« noch stoppen? Das ist zur Überlebensfrage geworden.
»Wem gehört mein Dorf?«, Deutschland 2021. Regie: Christoph Eder. 96 Minuten. Filmstart: 12. August.
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