Auch Omi aus Sachsen hat sich radikalisiert

Abgeordnetenhaus beschäftigt sich erstmals mit den Krawallen bei den Anti-Corona-Protesten am 1. August

  • Rainer Rutz
  • Lesedauer: 3 Min.

Botschaften aus dem Paralleluniversum der »Freiheitsbewegung« gegen die Corona-Maßnahmen: Die Bundesregierung wird demnächst verhaftet, und am letzten Augustwochenende wird ein »Marsch von Millionen« durch die Hauptstadt ziehen, also noch einmal viel mächtiger als am 1. August, als 400 000 Menschen in Berlin gegen das »Merkel-Regime« auf die Straße gegangen waren.

Tatsächlich hatten sich den zuvor verbotenen Versammlungen der »Querdenker« vor gut zwei Wochen gerade mal etwa 5000 Personen angeschlossen, konkretisierte Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD) am Mittwoch im Verfassungsschutzausschuss des Abgeordnetenhauses, der sich mit den Vorgängen am 1. August beschäftigte. Verglichen mit dem vergangenen Jahr sei das Mobilisierungspotenzial der Bewegung also »deutlich gesunken«. Zugleich habe sich das Corona-Protest-Spektrum aber noch einmal weiter radikalisiert, so Geisel mit Verweis auf die am 1. August bei Auseinandersetzungen mit den Demonstrierenden verletzten 62 Polizisten: »Im vergangenen Jahr ist zwar massiv auf die eingesetzten Beamten eingeredet worden, aber sie wurden nicht in dem Maß angegriffen.«

Der Innensenator sieht die »Querdenker« dann auch auf einen »radikalisierten Kern« zusammenschrumpfen, die den Protest gegen den Infektionsschutz nur noch »als Bühne nutzen, um ihren Hass auf den Staat und die Demokratie zum Ausdruck zu bringen«. Zwar wären am 1. August rund 80 Prozent der Demonstranten nicht aus Berlin gekommen, sondern vor allem aus Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen und Sachsen. Das Problem stelle sich aber auch in der Hauptstadt. Die inzwischen nahezu mickrigen Teilnehmerzahlen erklärte Geisel dabei auch damit, »dass die Organisatoren es nicht mehr schaffen, die Mitte der Gesellschaft zu erreichen«.

Auch der Innenexperte der Linksfraktion, Niklas Schrader, sprach von einem »beunruhigenden Grad der Radikalisierung«. Allerdings verwies Schrader darauf, dass es sich - und dies unverändert - sehr wohl um eine »Radikalisierung der gesellschaftlichen Mitte« handele. Mit Blick auf eine Anekdote des CDU-Abgeordneten Kurt Wansner, der im Ausschuss berichtete, am 1. August Zeuge gewesen zu sein, wie eine ältere Frau einen Polizisten auf die Straße geschubst habe, sagte Schrader: »Die Omi aus Sachsen ist der Meinung, wir leben in einer Diktatur. Aber nur weil es eine Omi aus Sachsen ist, heißt das nicht, dass wir ihr nicht entschlossen entgegentreten müssen.« Auch das inkonsequente Vorgehen der Sicherheitsbehörden gegen die »Querdenker« habe »in den letzten ein, zwei Jahren dazu beigetragen, dass dieses Phänomen gewachsen ist«, so der Linke-Politiker.

Von kleineren Frotzeleien zwischen den Parteien abgesehen: Vergegenwärtigt man sich vorangegangene Debatten zum Thema »Querdenker« im Verfassungsschutzausschuss, so erstaunte dann doch der nahezu fraktionsübergreifende Konsens, dass man es hier mit einem ernsthaften Problem für die Demokratie zu tun hat. »Die sind auf dem Weg, zu Staatsfeinden zu werden«, sagte etwa Stephan Lenz, verfassungsschutzpolitischer Sprecher der CDU-Fraktion. Zur Erinnerung: Es war nicht zuletzt die CDU im Ausschuss, die in den »Querdenkern« noch 2020 eine zwar etwas spinnerte, aber im Grunde doch harmlose Bewegung sah.

Inzwischen bleibt diese Position exklusiv dem politischen Arm der verschwörungsgläubigen Umstürzler vorbehalten. So war der AfD-Abgeordnete Ronald Gläser der einzige in der Debatte, der am 1. August nur »friedliche Demonstranten« gesichtet haben will. Gläser wollte vom Innensenator sodann auch eine Erklärung zu verletzten Demonstranten, mithin zu »Menschrechtsverletzungen auf diesen Demonstrationen« hören. Geisel räumte ein, dass es an dem Tag auch »unverhältnismäßige« Übergriffe von Polizisten gegeben haben könnte. Aber denen werde man behördenintern auch nachgehen.

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