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Fahrrad und Geschirr

Realismus heute: In Berlin wurden die Erik-Neutsch-Preise vergeben

  • Lesedauer: 3 Min.

Am vergangenen Sonntag wurde in Berlin im Haus der Rosa Luxemburg-Stiftung der Literaturpreis für Prosa und Lyrik der Erik-Neutsch-Stiftung verliehen. Er ist gedacht für junge Autor*innen bis 35 Jahre. Noch zu Lebzeiten hatte Erik Neutsch 2006 gemeinsam mit politischen und literarischen Freunden die gleichnamige Stiftung, eine Treuhandstiftung der Rosa-Luxemburg-Stiftung, begründet.

Am 21. Juni wäre der 2013 verstorbene Schriftsteller 90 Jahre alt geworden. Er hatte in der DDR einigen Ärger gehabt, aber auch große Erfolge gefeiert. Sein berühmtestes Werk ist der Roman «Spur der Steine» von 1964, die Vorlage des bekanntesten verbotenen Defa-Films von Frank Beyer.

Sowohl Neutsch als auch Beyer fragten, wie man im Arbeiter-und-Bauern-Staat die Arbeiter gewinnen sollte, ohne dass die sich bevormundet oder veräppelt fühlten. Und lustig war das auch noch. Nur nicht für die unlustigen Funktionäre. Neutsch war ein realistischer Schriftsteller: «Wer Manuskripte jahrelang auf Parteischreibtischen liegen sieht, als lägen sie auf Folterbänken, der geht selber durch die Pein. Aber Neutsch hatte rabiate Kraft», schrieb Hans-Dieter Schütt im «nd» über ihn. «Friede im Osten» heißt dann auch sein programmatisches großes Roman-Projekt, das er auf sechs Bände angelegt und 1974 begonnen hatte. Der fünfte erschien posthum 2014.

Das Thema des Nachwuchswettbewerbs der Erik-Neutsch-Stiftung hieß «WENDEpunkte». Postrealsozialistisch hatte das nur eine Autorin aufgefasst: Rike Lorenz, geboren 1991 in Mecklenburg- Vorpommern, arbeitet in Berlin als Meteorologin. Mit ihrer Geschichte «Das gute Geschirr» gewann sie den zweiten Preis für Prosa, dotiert mit 2000 Euro. Darin geht es um eine Oma, eine alte Genossin mit ganz eigenen Meinungen, und ihre irritierte, aber empathische Familie. Eltern, Kinder, Enkel – mit der Beschreibung familiärer Routinen lassen sich Geschichte und Gegenwart amüsant durchmischen wie auch en passant analysieren.

Der erste Preis für Prosa, dotiert mit 3000 Euro, ging an den 27-jährigen Thomas Lipsky aus Wasserburg am Inn für seine Geschichte «Kapstadt kauft Kühe». Sie spielt in Südafrika und kreist um das Schicksal einen Fahrrads, mit dem einerseits demonstriert, aber auch gehandelt und angegeben wird. Es wechselt des Öfteren den Besitzer, als wäre diese Story das Skript für einen Spielfilm; zwischendurch fährt sogar der Staatspräsident damit, weil er denkt, das sehe vor den Fernsehkameras ganz besonders gut aus.

Der dritte Prosapreis wurde geteilt. Die eine Hälfte ging an Tom Aschmann, der 1988 in Luxemburg geboren wurde und aktuell als Assistenzarzt an der Charité (Neuropathologie) arbeitet. «Zusammenfassender Bericht zum anstehenden Jahrtausendwechsel an jene danach, von einem davor» heißt Aschmanns Geschichte, die in der Zukunft spielt, genauer gesagt am 27. Dezember 2099. Der 1. Januar 2100 soll «mit der größten je dagewesenen Feier der größten je dagewesenen Regierung eingeleitet werden» – ein guter Anlass für den Rückblick eines 2020 geborenen Menschen. Und wie ist es in der Zukunft? Es gibt vor allem Computer, die über Computer gebieten – «Hauptsache, es funktioniert und sieht annehmbar aus».

Die zweite Hälfte des dritten Preises ging an Miou Sascha Hilgenböcker,
geboren 1990 in Bielefeld und tätig in einem Schreibcafé in Frankfurt am
Main, für «Der Lauf der Dinge. Auch hier geht es um eine toughe Oma, deren Leben von ihrer Enkelin mehr und mehr verstanden wird. Sie war eine Lokalpolitikerin in der Provinz, die mit ihrem Ehemann und ihrer Geliebten zusammenlebte, ohne dass es ihre Familie, geschweige denn die Öffentlichkeit richtig mitbekommen hätte.

Der 1. Preis für Lyrik, dotiert mit 3000 Euro, ging an Philip Dingeldey, Jahrgang 1990, Philosoph an der Universität Greifswald. Sein Gedicht »Die Saat des Widerstandes« ist eine Meditation über gewaltloses Grass-Roots-Handeln. Der zweite Preis wurde geteilt und mit jeweils 1000 Euro dotiert. Er ging zum einen an die Lehramtsstudentin Laura Antonia Leschke (»Das was am Ende bleibt«) und zum anderen an Velibor Baćo, Jahrgang 1985, der als Jurist bei einer Bank in Linz arbeitet (»Der Klang, der mir noch fehlte«). Ein antimilitaristisches Gedicht und ein Liebesgedicht. nd

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