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Das »nd« wandelt sich zur Genossenschaft und bleibt anders!
Wir werden eine Genossenschaft und bekommen damit eine Unternehmensform, die zu unserem inhaltlichen Anspruch passt
Wir schreiben regelmäßig über emanzipatorische und solidarische Ansätze des Wirtschaftens, über Wirtschaftsdemokratie, antikapitalistische Reformbewegungen und Selbstorganisation. In Reportagen geben wir Einblicke in selbstverwaltete Betriebe und Genossenschaften in aller Welt. Jetzt gründen wir selber eine: Ab dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Tageszeitung von einer Genossenschaft herausgegeben, die der Belegschaft und den Leserinnen und Lesern gehört. Die Voraussetzungen dafür werden an diesem Wochenende gelegt: mit der Gründungsversammlung aus dem Kreis der Mitarbeitenden. Damit ist ein entscheidender Schritt geschafft, um das Erscheinen dieser Zeitung zu sichern. Dieser Prozess ist aufregend. Und anstrengend. Und Respekt einflößend.
Genossenschaft als antikapitalistische Wirtschaftsform
Ein Kollege hat von seinem Besuch im Genossenschaftsmuseum Delitzsch – der Ort, wo im Dezember 1849 die ersten »Assoziationen« von Schuhmachern und Tischlern gegründet worden waren – die Worte des damaligen Museumschefs Philipp Bludovsky mitgebracht. In der Kreuzgasse 10, wo Tradition und Vergangenheit erfahrbar sind, sprach dieser zugleich von einer »Wirtschaftsform der Zukunft«. In Zeiten, in denen die Globalisierung an ihre Grenzen stoße und der renditegetriebene Turbokapitalismus von einer Krise in die nächste taumele, biete sich eine Form des Wirtschaftens an, die »lokal verankert ist, nicht von hartem Renditestreben getrieben ist und den Menschen vor Ort dient«. Weltweit sind 800 Millionen Menschen in Genossenschaften aktiv, rund ein Zehntel der Weltbevölkerung. Das »nd« wird nun ein Teil dieses sehr großen Ganzen.
Wir nehmen unser Geschick selbst in die Hand
Die Genossenschaft wird die ökonomische Grundlage sein, die diese linkspluralistische Stimme in der bundesdeutschen Medienlandschaft ermöglicht. Diese Medienlandschaft wird selbst immer weniger pluralistisch. Immer mehr Zeitungen gehören immer weniger Verlagen, die die gleichen redaktionellen Inhalte unter verschiedenen Titeln anbieten. Diese Konzentration wird oft beklagt, denn die wirtschaftliche und politische Macht weniger nimmt somit starken Einfluss auf den politisch medialen Diskurs. Wir sind wild entschlossen, eigenständig und eigenwillig zu bleiben, neue Perspektiven zu eröffnen (und in unseren Publikationen über das zu streiten, worüber es sich zu streiten lohnt). Wir machen kritischen Journalismus und wollen Reibung und Unterscheidbarkeit.
Wir lassen die zu Wort kommen, die viel zu selten gehört werden. Den Bäckerlehrling aus Chemnitz, der erzählt, was gute Brötchen ausmacht und warum es sich lohnt, Marx zu lesen. Oder die Berlinerin, die das Maxim-Gorki-Theater putzt. Oder den Bauarbeiter aus Rumänien, der um seinen Lohn geprellt wurde und darum die Häuser wieder niederriss, die er selbst gebaut hatte. Oder die indigene Feministin, die gegen die Zerstörung ihres Landes in Brasilien kämpft. Wir interessieren uns für die Kämpfe, die diese kapitalistische Welt gerechter und lebenswerter machen wollen, beobachten emanzipatorische Politiken weltweit und lokal. Wir analysieren gesellschaftliche Entwicklungen, hinterfragen angebliche Sachzwänge und erklären den Kapitalismus. SED-Parteiblatt sind wir seit 30 Jahren nicht mehr, aber diese Geschichte ist Teil von uns: Wir interessieren uns für Ostdeutschland nicht nur am 3. Oktober, wir schildern ostdeutsches Leben und ostdeutsche Geschichte in all ihren Facetten. Was wir sind: kritische Journalisten, die dafür brennen, zu informieren, zu recherchieren, zu debattieren und auch zu provozieren. Journalisten, die nicht aufhören, wenn es unbequem wird. Sondern erst richtig anfangen. Fragen stellen, wenn andere schweigen. Nie lockerlassen. Meinungen aufschreiben, die nicht allen schmecken. Die anecken.
Mit der Genossenschaft bekommt das »nd« eine Unternehmensform, die zu seinem inhaltlichen Anspruch passt. Die redaktionelle Unabhängigkeit, die unsere Arbeit seit 1990 prägt, drückt sich künftig auch in der Eigentümerschaft aus. In der Belegschaft gab es in den vergangenen Jahren öfter Diskussionen, wie es wäre, das »nd« in die eigene Hand zu nehmen. Die Umwandlung zum jetzigen Zeitpunkt und zu den jetzigen Bedingungen basiert dabei auf einer Entscheidung der bisherigen Gesellschafter. Als sie Anfang des Jahres ankündigten, sich aus dem »nd« zurückzuziehen, war das für viele von uns eine bittere Nachricht: mitten in der Corona-Pandemie – und schon zum 31. Dezember. Doch die Möglichkeit, eine Genossenschaft zu gründen, hat auch Hoffnung gegeben: Wir übernehmen den Betrieb! Und schreiben ein neues Kapitel in der Geschichte der Zeitung. Faktisch werden wir sogar Welterbe: 2016 wurde die Genossenschaftsidee von der Unesco als immaterielles Kulturerbe der Menschheit anerkannt.
Krise und Chance zugleich
Die Vorbereitung der Gründung dieser Genossenschaft hat uns einiges abverlangt. Vieles musste schnell gehen. Einiges zu schnell. Nicht alles ist innerhalb des Verlags und der Redaktion so früh und genau kommuniziert worden, wie es sein sollte. In Zukunft werden wir als Kolleginnen und Kollegen noch mehr miteinander aushandeln müssen. Das ist anstrengend – und eine Riesenchance: weil wir eine noch bessere Zeitung machen werden. In der neuen Genossenschaft verbinden sich verschiedene linke Erfahrungen, Sozialisierungen und Ansichten. Das wird auch in Zukunft zu Streit führen – und zu einer spannenden linkspluralistischen Zeitung.
Die Erneuerung hat uns vor schwierige Entscheidungen gestellt. Die Krise der Printmedien trifft auch das »nd«, was sonst? Unsere digitalen Angebote werden nachgefragt, tragen bisher aber zu wenig zur Finanzierung unserer Arbeit bei. Das Interesse an unseren Inhalten schlägt sich zu wenig in neuen Abos nieder, um die Abgänge an anderen Stellen auszugleichen. Wir haben gerechnet, gedrückt und geschoben. Und können doch nicht verhindern: Das »nd« muss sich verkleinern. Besonders für Kolleginnen und Kollegen im Verlag ist das bitter. Einige werden im Haus am Franz-Mehring-Platz übernommen, andere gehen früher in Rente oder bilden sich weiter. Und ja, sechs Menschen werden entlassen, wenn sich nicht noch in letzter Minute eine Lösung findet.
Wir begrenzen uns auf das, was unbedingt notwendig ist, um jeden Tag das Erscheinen einer anspruchsvollen Zeitung und relevanter digitaler Publikationen zu sichern. Umgekehrt heißt das aber auch: Die große Mehrheit der bislang etwas mehr als 100 Beschäftigten wird in der Genossenschaft weiterarbeiten können. Denn Sparen allein hilft ja nicht. Wir müssen unsere Einnahmen steigern. Dafür brauchen wir gute motivierte Leute, die kluge Artikel schreiben; und wir brauchen mehr Leserinnen und Leser, die bereit sind, für unsere Inhalte zu zahlen. Solidarische Einlagen in der Genossenschaft werden uns auf dem Weg dahin Sicherheit geben.
Wir haben einen Plan, wie sich die Genossenschaft finanziell tragen kann. Die bisherigen Gesellschafter – Die Linke und die Communio eG – legen die Zeitung, die Abos, die Infrastruktur in unsere Hände und geben uns eine Starthilfe für die nächsten drei bis vier Jahre. Das ist eine wichtige Unterstützung.
Wir wissen auch: Wir sind nicht allein. Denn es gibt Sie, unsere Leserinnen und Leser, die sich schon jetzt in über 100 Zuschriften erkundigten, wie sie Genossenschaftsanteile kaufen können – und das, obwohl wir noch nicht einmal dazu kamen, danach zu fragen. Das gibt Mut und bewegt uns sehr. Denn von Ihren Genossenschaftsanteilen, die Sie bald zeichnen können, lassen sich keine großen Gewinne erwarten. Dafür aber etwas ganz anderes, quasi eine ideelle Rendite: eine gute linke Zeitung.
All das, was wir hier machen, dient auch der Absicherung von Arbeitsplätzen. Vor allem aber soll diese Zeitung mit kritischem Journalismus zu einer besseren Welt beitragen. Zunächst einmal ändert sich nun unsere eigene Welt. Wir werden unsere eigenen Chefs. Die Zeitung soll uns gehören, nicht mehr einer Partei oder einem Verlag. Uns, den Redakteurinnen und Redakteuren und den Verlagsmitarbeiterinnen und -mitarbeitern. Und Ihnen. Sowie wir das Okay des genossenschaftlichen Prüfungsverbands haben, können Sie Mitglied werden.
Wir bekommen die Chance für einen Neustart. Wir nutzen sie!
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
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