Identitätspolitik und Currywurst

JEJA NERVT: Der Kulturkampf um die Wurst sendet auf der selben Freqeunz wie der um die angeblich verrückte lifestyle-linke Identitätspolitik

  • Jeja Klein
  • Lesedauer: 3 Min.

«Gerhard Schröder ist wütend. Im Internet. Eine Kantine bei irgend so einem Autobauer stellt auf fleischfreie Produkte um. Zugegeben: Es ist mir eigentlich zu blöd, jetzt zu googeln, zu welchem der ununterscheidbaren, milliardenschweren Syndikate des fossilen Kapitalismus die vegetarische Kantine gehört, über die sich Deutschland in den vergangenen Tagen echauffiert hat.

Will man sich in dem Montagewerk nun noch einen »Kraftriegel« reinschieben, wie Schröder die in Darm versteckten Schlachtabfälle genannt hat, muss man also ab jetzt Ungeheuerliches tun. Man muss zur nächsten Fressbude laufen. Droht nun der soziale Friede im Land auseinanderzubrechen? Sehen wir eine neue Arbeiter*innenbewegung aufziehen, wütend, unversöhnlich, hungrig?

Man könnte meinen, dass es sich bei dem Einwurf des Altkanzlers um ein klassisches Sommerlochthema handelt. Man könnte darauf verweisen, dass Schröder sich in den vergangenen Jahren in den sozialen Medien passioniert der Selbstdemontage, der Entwürdigung seiner eigenen Person gewidmet hat, um dem Currywurstgate Kontext zu geben.

Doch man sollte nicht übersehen, wie politische Identitätsbildung seit einigen Jahren funktioniert. Ein Grund dafür sind auch die Schröder’schen Arbeitsmarktreformen. Das Regime Hartz IV hat erheblichen Anteil daran gehabt, das politische Bewusstsein der Lohnarbeiter*innen, die politische Kultur des ganzen Landes mit Abstiegsängsten und Existenzsorgen zu vergiften, zu entsolidarisieren.

Das kann man dieser Tage wieder eindrucksvoll daran beobachten, wie hasserfüllt auf den Streik der Lokführer*innen reagiert wird oder dass der Ausstand selbst in eher linksliberal orientierten Medien bereitwillig als Intrige windiger Gewerkschaftsbosse umgedeutet worden ist. Für Arbeits- respektive Klassenkampf, für das Eintreten tatsächlicher Rechte der Lohnabhängigen, ist in diesem Land kein Platz vorgesehen.
Da kommt die »verbotene« Currywurst gerade recht: als bloß symbolischer Schauplatz eines Kampfes um Rechte, als Bühne für Selbstwirksamkeitsempfinden und Widerstandsinszenierung.

Dass es in dieser identitätspolitischen Schleife um nichts Substanzielles geht, lässt sich auch daran ablesen, dass ausgerechnet diesem Aufsichtsratsgenossen das Einschreiten für den kleinen Arbeiter abgenommen wird. Der Kulturkampf um die Wurst sendet auf derselben Frequenz, auf der man an anderen Tagen das Lied von verrückter, lifestyle-linker Identitätspolitik spielt, die die Arbeiter*innenklasse verraten habe und wegen der sich in diesem Land nun alles um die Rechte türkeistämmiger Transgender drehe. Nicht jedoch um das kleine Einkommen werktätiger, schweißgebadeter Familienväter.

Es ist beeindruckend, wie diese rechte Erzählung vom linken Verrat selbst unter sich eher links verortenden Menschen verfängt. Denn die Empörung über Omas als Umweltsäue, über sturmreif geschossene deutsche Grammatik oder über die Ersetzung von Spaghetti Bollo durch Lollo Rosso ist genuin »Lifestyle«: Es ist der Lebensstil der auf Privilegienerhalt pochenden und wütend auf den Boden stampfenden deutschen Mehrheitsgesellschaft.

Beeindruckend ist diese latent querfrontelnde Bräsigkeitsbewegung vor allem aufgrund ihrer Projektionsbereitschaft: ist sie es doch selbst, die den Werktätigen und Marginalisierten, den Ausgegrenzten und Durchschnittlichen in den Rücken tritt. Die sollen sich nämlich weiter mit antibiotikaverseuchtem, kriminell günstigem Gammelfleisch vollstopfen. Die sollen die Bürger*innenkinder nicht mit ihrer missratenen Brut belästigen, den Nachwuchs stattdessen den dafür geschaffenen Haupt- und Realschulen zur Verwahrung übergeben. Da lernt man zwar kein anständiges Deutsch, aber das wenigstens noch im generischen Maskulinum.

Ach, und die Oma: als Umweltsau musste die sich wirklich nicht beschimpfen, sich aber im Januar auf ihre letzten Tage mit einem Schlauch beatmen lassen. Wenigstens waren die Feiertage noch mal so richtig wie früher. Ohne dass die Besserwisser*innen »da oben« einem da mit ihren Verboten reinquatschen.

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