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  • NS-Geschichtsaufarbeitung am BER

Die dunkle Seite Schönefelds

Die Flughafengesellschaft Berlin-Brandenburg stellt sich der NS-Geschichte des Luftfahrtstandortes - in Schönefeld pressten die Henschel Flugzeugwerke Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge in die Rüstungsproduktion

  • Tomas Morgenstern, Schönefeld
  • Lesedauer: 4 Min.

Als Ende Oktober 2020 der neu erbaute Flughafen Berlin-Brandenburg »Willy Brandt« (BER) mit neun Jahren Verspätung eröffnet wurde, schien nur wichtig, dass die bleierne Zeit des Wartens in Schönefeld vorüber war. Schon damals hatte Flughafenchef Engelbert Lütke Daldrup angekündigt, dass sich Flughafengesellschaft FBB auch mit der Geschichte des Standortes im Nationalsozialismus beschäftigen werde. Es ist eine düstere Geschichte, die die Flughafenmanager buchstäblich tagtäglich vor Augen haben, denn nicht zuletzt die Geschäftsführung der FBB hat ihren Sitz im Gebäudekomplex der einstigen Firmenzentrale eines der wichtigsten Luftrüstungsunternehmen des NS-Reiches.

»Die Flughafen Berlin Brandenburg GmbH hat ihren Sitz auf dem einstigen Gelände der Henschel Flugzeug-Werke. Während der Nazizeit war dies eine der bedeutendsten deutschen Rüstungsfabriken für Kampfflugzeuge und Gleitbomben.« So steht es im Editorial eines Buches, das am Montag am Sitz der FBB vorgestellt wurde. Die Flughafengesellschaft hatte ein Team von Historikerinnen und Historikern der TU Berlin und des Leibniz-Instituts für Raumbezogene Sozialforschung (IRS) Erkner mit wissenschaftlichen Recherchen über die NS-Vergangenheit des Ortes beauftragt. Unter dem Titel »Im Dienst des nationalsozialistischen Krieges - Der erste Flugplatz in Schönefeld« liegt das Ergebnis ihrer Forschungen nun vor. Im Verwaltungsgebäude wurde dazu auch eine kleine Ausstellung für die »interne Kommunikation« eingeweiht. Sie soll einen Beitrag dazu leisten, dass sich auch die Mitarbeiter intensiver mit der Historie ihres Arbeitsumfeldes auseinandersetzen können. Die FBB wendet sich mit diesem Symbol der Aufklärung in eigener Sache aber auch an ihre zahlreichen Besucher.

»Das Buch ist Ergebnis eines Projektes, bei dem wir uns mit der Frage beschäftigt haben: Wie kommen wir eigentlich hierher, an diesen Standort?«, sagte Flughafenchef Engelbert Lütke Daldrup bei der Präsentation. »Viele Menschen wissen nicht, dass es hier früher die Henschel-Werke gab, dass es hier Kriegsproduktion gab, dass wir hier eine Geschichte haben, die nicht erst nach dem Zweiten Weltkrieg beginnt, sondern weit davor.«

Der Standort Schönefeld war ein Großprojekt des von Hermann Göring geführten Reichsluftfahrtministeriums, errichtet für den »Totalen Krieg«, wie es in der Publikation heißt. Die Henschel Flugzeug-Werke wurden 1934 als Tochterunternehmen der Firma Henschel & Sohn aus Kassel gegründet und am Rande Berlins neu errichtet. Bereits vor Beginn des Zweiten Weltkrieges entwickelten sie sich zu einer der bedeutendsten deutschen Rüstungsfabriken für Kampfflugzeuge, Flugzeugteile und -ausrüstungen und sogar Fernlenkwaffen. Schon im Spanischen Bürgerkrieg (1936-1939) wurden Henschel-Sturzkampfflugzeuge HS 123 durch die von Deutschland zur Unterstützung der Franco-Putschisten aufgestellte »Legion Condor« gegen die Republik eingesetzt. Es folgten die verschiedensten Flugzeugmuster, die Henschel teils in Lizenz fertigte. Wenigen Lesern wird vielleicht bekannt sein, dass in Schönefeld auch der Spezialrechner S1 gebaut wurde, den der als »Vater des deutschen Computers« gerühmte Konrad Zuse zur Optimierung sogenannter Gleitbomben entwickelt hat. Bei Kriegsende waren rund 14 000 Flugzeuge - meist Bomber - von den Bändern gelaufen.

»In Schönefeld wurden Flugzeuge, Waffen und Waffensysteme entwickelt, getestet und gebaut, die Tod und Vernichtung in ganz Europa brachten«, schreibt dazu die Flughafengesellschaft. Die dort in Serie gebauten Flugzeuge haben unter anderem Städte in Spanien, England, Polen und der Sowjetunion zerstört, Soldaten und auch viele Zivilpersonen getötet.

Von anfangs 4000 schnellte die Beschäftigtenzahl der Henschel Flugzeug-Werke auf mehr als 15 000 Mitarbeiter im Frühjahr 1944 empor. Dabei ist viel zu wenigen Menschen bekannt, dass es sich dabei zu einem stetig wachsenden Teil um Arbeitssklaven aus vielen der von den Deutschen besetzten Länder handelte. Zu den dunkelsten Kapiteln gehöre, dass dieser Ort für viele Menschen ein Ort der Vernichtung, des Schreckens, des Hungers, der Krankheit und des Todes war, erinnerte Lütke Daldrup. »Sogenannte Fremdarbeiter aus den besetzten Gebieten, Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter, Kriegsgefangene, Frauen und Mädchen aus Konzentrationslagern mussten unter menschenunwürdigen Bedingungen Nachschub für die deutsche Vernichtungsmaschinerie produzieren, die ihre eigene Heimat zerstörte. Wir wollen darüber aufklären und uns offensiv damit auseinandersetzen«, erklärte der Flughafenchef.

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